Mit Schnutenpulli an die Hamsterfront
Eine Meldung des Bayerischen Rundfunks von letzter Woche blieb einem im Ohr: Da war von CoronaSternsingern die Rede, die sich auf den Weg machten, und zwar coronagerecht im Corona-Modus – mit einer „Sternlänge Abstand“.
Man merke: In einem Punkt ist das neue Jahr leider überhaupt nicht neu. Corona blieb uns erhalten – und damit auch ein Dauerbombardement unserer Sprache. Sich zu fragen, wie oft das Wort Corona wohl deutschlandweit schon gefallen ist seit dem ersten Auftauchen dieses Virus-Typs Anfang 2020, bringt leider nichts. Man darf zwar annehmen, dass es in unserem Land mit seinen 83 Millionen Menschen permanent im Munde geführt wird, aber das entzieht sich jeder Messung. Allenfalls der schriftliche Niederschlag lässt sich beziffern. Das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache wartet hier mit Zahlen auf. In dessen Referenzkorpus, einem elektronischen Archiv von Texten verschiedener Quellen, schnellte das Wort Corona von 323 Einträgen im Jahr 2019 auf 141 294 im Jahr 2020. Die Zahl für 2021 liegt noch nicht vor. Ähnlich sieht die Tendenz in der „Schwäbischen Zeitung“aus: Stand das Wort Corona 2019 nur ganze zwölfmal in der Ausgabe Ravensburg, so stieg die Anzahl im Jahr 2020 auf 5256 und letztes Jahr auf 5537.
Überhaupt sorgt das Infektionsgeschehen fortlaufend für eine Flut von Neuschöpfungen, die das Institut akribisch erfasst. Rund zweitausend neue Begriffe haben allein 2021 Eingang in sein Neologismen-Wörterbuch gefunden, und sich damit zu beschäftigen, ist recht aufschlussreich. Die erhebliche Anzahl von Wörtern mit englischem Hintergrund – von Attack Rate (Ansteckungsrate) bis Zero Covid (Infektionsgeschehen bei null) – lassen wir dabei außer Acht. Sie beweisen eh nur, wie weit der angloamerikanische Einfluss auf unsere Sprache schon gediehen ist.
Allein rund 400 Wortverbindungen mit Corona hat das Institut aufgelistet, die meisten selbsterklärend – Corona-Angst, Corona-Baby, CoronaBauch, Corona-Koller, CoronaKnast, Corona-Knigge, Corona-Stau, Corona-Tief, Corona-Wolke etc. Dazu kommen viele neue Kreationen, die nebenbei die Dynamik der Pandemie spiegeln, das andauernde Reagieren auf wechselnde Gegebenheiten. Manche sind flapsig, manche kurz und prägnant, manche nicht ohne Wortwitz. Dass einer sich auf dem Weg an die Hamsterfront in die Distanzschlange vor der Einkaufsampel einreiht, geht heute als normaler Satz durch. Am Sonntag fährt man zum Autogottesdienst oder aber zieht eine Videoandacht zu Hause vor. Geistermeister für den Sieger bei einem Wettbewerb ohne Zuschauer ist reimtechnisch recht nett, desgleichen Fußgruß für die neue Art, sich mit den Schuhen Hallo zu sagen. Auch Balkonchor (gemeinsames Singen im Freien) oder Teleprost (virtueller Glückwunsch) sind hübsche Einfälle. Und vor allem beim MundNasen-Schutz – kurz Munaschu – ist die Fantasie ins Kraut geschossen: Schnutenpulli, Kinnwindel, Maul-täschle,
Trikini (Maske und Bikini im selben Stoff) etc.
Vieles lässt sich auch direkt in das Unwörterbuch der deutschen Bürokratie übernehmen: Ungetüme wie Basisreproduktionszahl, Freihaltepauschale, Kontaktpersonennachverfolgung, Verdachtsquarantäne oder Voll-immunisierungsquote steigern noch das Unbehagen, das uns ohnehin seit zwei Jahren begleitet. Und schließlich sind da noch etliche aggressive Begriffe, mit denen sich Impfwillige und Impfunwillige bekriegen – von Leerdenker bis Virolügner …. Zum Pandemüdewerden! Also hören wir auf.
Wie schön waren doch die Zeiten vor 2020, da man bei Corona noch an den Strahlenkranz der Sonne dachte, an einen Heiligenschein, an Fußballclubs, Biermarken, Gasthäuser … Und auch Mädchen hießen so. Das dürfte sich allerdings erledigt haben.
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Karlstraße 16, 88212 Ravensburg