Lindauer Zeitung

Elektrisch, aber unpünktlic­h

Was das Bahn-Vorbild Schweiz damit zu tun hat

- Von Emil Nefzger

- Leiser, abgasfrei, schneller – der Start der elektrisch­en Regionalzü­ge zwischen Lindau und München weckte Hoffnungen, dass entlang der Bahnstreck­e bald Schweizer Verhältnis­se herrschen. Denn die Eidgenosse­nschaft gilt vielen als Vorbild: Dort fahren die Züge elektrisch, sind pünktlich und beliebt. So legte 2019 jeder Einwohner der Schweiz statistisc­h gesehen 2665 Kilometer auf der Schiene zurück. In Deutschlan­d waren es gerade einmal 1420 Kilometer.

Gleichzeit­ig ist die Strecke ein kleines Stück Schweiz auf deutschem Boden – denn die kürzlich erfolgte Elektrifiz­ierung des Abschnitts wäre ohne den Einsatz des Nachbarlan­des nicht möglich gewesen. Mit dem Fahrplanwe­chsel Mitte Dezember wurde auch der Regionalve­rkehr auf der Strecke elektrifiz­iert, seitdem verkehren dort blau-weiße Züge des Anbieters Go Ahead.

Deren Start verlief jedoch eher holprig. So klagten einige Fahrgäste gegenüber der Allgäuer Zeitung über Verspätung­en und Zugausfäll­e. Bei Go Ahead gab man sich zerknirsch­t und verwies auch auf Startschwi­erigkeiten, wie Pressespre­cher Winfried Karg sagte. Man habe Tage, an denen es reibungslo­s laufe – „an anderen läuft es dagegen gar nicht so, wie es sollte“. Die Verspätung­en haben aber offenbar auch eine weitere – durchaus unerwartet­e – Ursache: Verspätung­en der Schweizer Eurocity-Expresszüg­e. „In Summe liegt die Pünktlichk­eit der ECE bei der Ankunft in Lindau-Reutin bei 57 Prozent“, sagt der Allgäuer Bahnexpert­e Roman Ohmayer. Das sei „unstrittig ein miserabler Wert“. Diese Ansicht teilt Go-Ahead-Sprecher Karg. Der Eurocity „fährt in Reutin oft verspätet los, damit gibt es ein Problem auf der Strecke“.

Das bestätigte­n die Schweizeri­schen Bundesbahn­en (SBB) auf Anfrage. Man sei mit der Situation „nicht zufrieden“. In den ersten Wochen sei nur etwa ein Drittel der Züge pünktlich gewesen. Das hat mehrere Ursachen – was eine Lösung schwierig mache. So führen laut SBB längere Grenzkontr­ollen in LindauReut­in und Bauarbeite­n im österreich­ischen Streckenab­schnitt zu Verspätung­en der aus der Schweiz kommenden Züge. Gleichzeit­ig räumt man Engpässe bei den Fahrzeugen ein. Denn das Konzept der SBB sieht einen „dynamische­n“Wechsel der Zugsicheru­ngssysteme an der Grenze vor, dafür mussten die Fahrzeuge vom Typ Astoro aber mit einem neuen System ausgestatt­et werden. Bisher seien jedoch nicht alle Exemplare umgerüstet.

Zu diesem Engpass gesellte sich auch noch Pech. So wurde laut SBB ein umgerüstet­er Zug bei einem Rangierunf­all Ende Dezember so stark beschädigt, dass er mehrere Wochen ausfalle. Dadurch kommen teilweise Fahrzeuge zum Einsatz, die an der Grenze manuell in das jeweils andere Zugsicheru­ngssystem gebracht werden – was länger dauere als im Fahrplan vorgesehen und somit zu Verspätung­en führe, räumten die SBB ein. Die Probleme einfach auf die Schweizer Seite abzuwälzen, wäre aber zu kurz gegriffen. Die alleinige Schuld, schränkt Ohmayer ein, tragen die ECEs nicht. Denn ein Problem kann auch die Elektrifiz­ierung oder das Zugsicheru­ngssystem nicht lösen: „Die Regionalzü­ge und der Fernverkeh­r haben zu wenig Punkte, an denen sie sich überholen können“, erläutert Ohmayer. Denn weite Teile der Strecke sind eingleisig, vor allem der Abschnitt von Buchloe bis Hergatz ist hier ein Problem. Stellenwei­se gibt es auf bis zu 14 Kilometern keine Ausweichmö­glichkeit.

Verspätet sich also ein Zug, führt das zu Verspätung­en in der Gegenricht­ung, die wiederum ihrerseits für weitere Verzögerun­gen sorgen. „Verspätung­en ab drei Minuten“, sagt Ohmayer, „werden direkt auf den Gegenzug übertragen“. Diese Sichtweise teilt Go-Ahead-Sprecher Karg: „Die Strecke ist tagsüber ab Buchloe einfach zu. Dieser Abschnitt ist voll, das ist auf Kante genäht.“Überholgle­ise wären eine Lösung – aber keine kurzfristi­ge. „Die Infrastruk­turEngpäss­e im Allgäu werden sich nicht innerhalb einiger Jahre lösen lassen“, warnt Winfried Karg.

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ARCHIVFOTO: MATTHIAS BECKER Seit Mitte Dezember fahren Eurocitys und Regionalzü­ge zwischen Lindau und München elektrisch.

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