Am Ende eine Lehrstunde
Titelverteidiger Spanien zu stark für corona-geschwächtes DHB-Team – Schon am Freitag wartet Norwegen
(dpa) - Torwart Johannes Bitter und seine Teamkollegen schlichen unmittelbar nach dem ersten EM-Rückschlag mit Masken über das Spielfeld in Bratislava, verbergen konnten sie die Enttäuschung aber nicht. Beim 23:29 (12:14) gegen Titelverteidiger Spanien haben die coronageplagten deutschen Handballer erstmals bei dieser Europameisterschaft die Grenzen aufgezeigt bekommen. „Heute haben wir eine Lehrstunde bekommen“, sagte Shootingstar Julian Köster in der ARD. Beste Werfer der sich mit allen Kräften wehrenden deutschen Mannschaft waren Linksaußen Patrick Zieker und Kreisläufer Johannes Golla mit jeweils vier Treffern. Trotzdem reichte es ohne elf positiv getestete Spieler nicht zu einer Sensation gegen den abgezockten Europameister.
„Das war definitiv unser schlechtestes Spiel bisher“, sagte Christoph Steinert, der erst kurz vor dem Spiel aus der Corona-Quarantäne gekommen war. „Das Spiel war nie so richtig flüssig bei uns“, meinte Bundestrainer Alfred Gislason und bemängelte die vielen technischen Fehler seines Teams. „Dann haben wir gegen so routinierte Spanier keine Chance.“Kapitän Johannes Golla stufte seine Mannschaft „als nicht clever genug“ein.
Viel Zeit zum Hadern bleibt dem Team von Gislason jetzt nicht: Um den Traum vom EM-Halbfinale nicht komplett aus den Augen zu verlieren, soll an diesem Freitag (20.30 Uhr/ZDF) gegen die ebenfalls zum Favoritenkreis zählenden Norweger der erste Hauptrunden-Sieg her. „Jetzt müssen wir uns sehr auf Norwegen konzentrieren. Es ist immer noch alles möglich“, meinte der Bundestrainer. Sein Kapitän sagte: „Es ist eine verrückte Situation, aber wir nehmen das so an. Wir wollen in den nächsten Spielen besseren Handball zeigen.“
Dabei war der Tag aus deutscher Sicht so gut losgegangen. Anders als in den vergangenen Tagen war kein weiterer Nationalspieler positiv getestet worden. Die DHB-Auswahl konnte gegen die Spanier mit 16 Akteuren antreten, diesmal standen sogar zwei Torhüter
im Aufgebot. Ganz ohne Kuriositäten ging es dann aber doch nicht: Der erst am Mittwoch positiv getestete Christoph Steinert hatte in den Stunden vor dem Anpfiff plötzlich nur noch negative Tests – sodass der 32Jährige überraschend doch im deutschen Kader stand. Steinert war sogar vom Teamhotel zur Halle gelaufen, um dabei sein zu können.
In den Fokus dieses Klassikers spielten sich aber zunächst andere. Die deutsche Abwehr um Patrick Wiencek, Simon Ernst und Kapitän Golla stellten die abgezockten Spanier in der Anfangsphase vor einige Schwierigkeiten. Und was der Innenblock nicht abwehren konnte, parierte der erneut starke Torwart-Oldie Johannes Bitter. Zumindest einige Male. Denn obwohl die DHB-Auswahl von Beginn an hellwach agierte, kamen auch die Spanier zu ihren Toren. Es entwickelte sich zunächst eine extrem enge Partie gegen den bislang stärksten deutschen Gegner bei diesem Turnier. Doch im Laufe des Abends baute die deutsche Mannschaft immer mehr ab.
Die Spanier nutzten eine Schwächephase mit 15 Minuten (!) ohne deutsches Tor gnadenlos aus. Als erste Mannschaft überhaupt könnten sie in diesem Jahr zum dritten Mal in Serie den EM-Titel gewinnen. Ihre größte Stärke: Sie lassen sich von nichts aus der Ruhe bringen. Auch nicht von einem zusammengewürfelten und mit neun nachnominierten Spielern angetretenem DHB-Team. Elf positiv getestete Spieler wie Timo Kastening oder
Keeper Andreas Wolff hockten dagegen isoliert auf ihren Hotelzimmern vor dem Fernseher. Auch Co-Trainer Erik Wudtke fehlte kurzfristig beim Spiel gegen die Spanier, weil die jüngsten Corona-Tests ein „unklares Bild“ergeben hatten, wie der DHB mitteilte.
Um weitere Infektionen zu vermeiden, saßen die deutschen Ersatzspieler sogar mit Masken auf der Bank – es bleibt eine bizarre EM für dieses Team. Doch trotz aller Widrigkeiten gab die Mannschaft alles. Etwas Entscheidendes fehlte jedoch: die Präzision im Angriff. Immer wieder erspielte sich Gislasons Team zwar beste Chancen – immer wieder scheiterte es jedoch am teils überragenden spanischen Torhüter Gonzalo Perez de Vargas. Gegen Norwegen soll es besser werden.
Der positiv auf Corona getestete Handballer Timo Kastening hat die Quarantäne-Bedingungen bei der Europameisterschaft gelobt. „Ich muss ganz klar sagen, dass wir hier top verpflegt werden. Wir werden jeden Tag vom Doc gecheckt, wir bekommen super Mahlzeiten. Unsere Wäsche wird gewaschen. Man kann sich hier nicht beschweren“, sagte der 26-Jährige im Interview mit der ARD. „Es ist natürlich nicht schön, hier im Hotel zu sitzen und die Mannschaften ein paar Hundert Meter weiter beim Spielen zu sehen.“Wie alle Infizierten ist Kastening vom Rest der Mannschaft isoliert und befindet sich allein auf seinem Hotelzimmer.