Ein Protokoll der Panik
Ermittler suchen nach dem Motiv des Amokläufers von Heidelberg – Schweigeminute im Kabinett
(dpa) - Es ist ein Protokoll der Panik, über das Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl am Dienstag minutiös referiert: Um 12.24 Uhr am Montag gehen in Heidelberg sieben Notrufe bei der Polizei ein. Sechs Minuten später fahren drei Streifenwagen auf dem Campus vor. Um 12.33 Uhr haben die Beamten ihre Schutzausrüstung angelegt und beginnen, das Universitätsgebäude zu durchkämmen. Um 12.43 Uhr stehen sie in dem Hörsaal, in dem die Schüsse gefallen sind, die nicht nur Heidelberg in Schockstarre versetzen: Ein 18-jähriger Student läuft Amok, schießt einer 23-Jährigen in den Kopf, sie stirbt an den Folgen. Drei weitere Studenten werden verletzt. Um 12.51 finden die Polizisten den Täter außerhalb des Gebäudes – er hat sich wohl selbst erschossen.
Was den jungen Mann dazu brachte, um sich zu schießen, ist auch einen Tag nach der Tat rätselhaft. Um 12.32 Uhr, also nur wenige Minuten nach den Notrufen, meldete sich der Vater des Täters bei der Polizei, teilte den Beamten mit, sein Sohn habe ihm die Tat per WhatsApp angekündigt. Der Student schrieb dabei nach Polizeiangaben, „dass Leute jetzt bestraft werden müssen“. Wann die Nachricht des Sohnes genau beim Vater eintraf, konnte Strobl am Dienstag nicht sagen.
Eine Ermittlungsgruppe mit 32 Beamten und dem Namen „Botanik“hat die Arbeit aufgenommen. Der Name ist darauf zurückzuführen, dass das betroffene Uni-Gebäude an den botanischen Garten grenzt. Die Ermittler konzentrieren sich vor allem auf das Motiv des Attentäters, durchleuchten das Umfeld des Studenten. Die Polizei wertet zudem digitale Geräte aus, die das Spezialeinsatzkommando (SEK) bei der Durchsuchung
seiner Wohnung sichergestellt hat. Zudem werden die Leichen am Universitätsklinikum Heidelberg rechtsmedizinisch untersucht.
Klar ist: Der Schütze war erst 18 Jahre alt und Deutscher, er lebte in Mannheim, studierte Biologie und war der Polizei bislang nie aufgefallen. Es gebe keinerlei Hinweise auf eine politisch oder religiös motivierte Tat, sagt Strobl. Er habe gehört, dass der Täter in psychiatrischer Behandlung gewesen sein soll, aber das sei Gegenstand laufender Ermittlungen. Der Innenminister konnte auch nicht sagen, ob sich der Täter und das Todesopfer kannten.
Auch die Frage, wie der BiologieStudent an die beiden Langwaffen kam, von denen er eine für den Amoklauf nutzte, ist noch unbeantwortet. Der 18-Jährige soll die Gewehre vor wenigen Tagen im Ausland gekauft haben. In seinem Rucksack hatte er noch 100 Schuss Munition.
Das baden-württembergische Kabinett hat am Dienstag der Opfer in einer Schweigeminute gedacht. „Diese schreckliche Gewalttat hat uns wirklich tief getroffen und erschüttert“, sagt Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Er und Strobl rufen die Betroffenen auf, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Man sei auf 26 Studenten und auf zwei Angehörige bereits zugegangen, berichtet Strobl. „Die Universität soll und wird ein angstfreier Raum bleiben für junge Menschen.“
Das Erlebte könne zu posttraumatischen Belastungsstörungen führen, wenn die Betroffenen nicht behandelt würden, warnt der Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Ralf Kusterer. Die drei Verletzten werden derweil am Dienstag nach ihren ambulanten Behandlungen in einer Klinik wieder entlassen. Sie befinden sich laut Polizei auf dem Weg der körperlichen Besserung.