Pleite bei der Wolfsjagd
In Bayern war bereits eines der Raubtiere zum Abschuss freigegeben – Die Begründung hielt einer gerichtlichen Beurteilung aber nicht stand
- Wolfsjagd in Südostbayern? Klingt aufregend, ist aber vor allem eine Blamage für die politisch Verantwortlichen von
CSU und Freien Wählern. Dazu kommen einige Überraschungen – zumindest vordergründiger Natur. Eine davon stammt von Ernst Weidenbusch, dem Präsidenten des Bayerischen Jagdverbandes und damit oberstem Vertreter von rund 50 000 organisierten Waidfrauen und -männern im Freistaat. „Wir empfehlen unseren Mitgliedern dringend, sich nicht auf die Liste von potenziellen Wolfskillern setzten zu lassen“, hat der gerne energisch auftretende Mann rigoros gesagt, als Mitte Januar die Frage nach dem Beseitigen eines solchen Raubtiers aktuell geworden war.
Mit Blick auf das allgemeine Klischee der Jägerschaft wäre wohl eher „Feuer frei!“zu erwarten gewesen. Doch es gibt noch einen weiteren bemerkenswerten Begleitumstand zu Weidenbuschs Äußerung. Hauptberuflich sitzt er nämlich für die CSU im bayerischen Landtag. Es sind aber vor allem Vertreter seiner Partei, die einem Wolf den Garaus machen wollen, sekundiert von Vertretern des Koalitionspartners Freie Wähler.
Anvisiert wird dabei ein Wolfsrüde mit dem genetischen Code GW 2425m, eines von rund 30 solcher Raubtiere im bayerischen Raum. Dieser Meister Isegrim hat sich während des Dezembers im Bergland zwischen Rosenheim, Traunstein und Berchtesgaden bei vielen Einheimischen unbeliebt gemacht: zum einen, weil er über Nutzvieh wie Schafe herfiel, des Weiteren wegen eines lockeren Spaziergangs durch die Gemeinde Bergen, einen Luftkurort, von wo aus es in die Chiemgauer Alpen hineingeht. Dazu gibt es im Internet sogar ein viel beachtetes Video.
Jedenfalls hat die Obrigkeit befunden, dass ein Problemwolf durch die urbayerische Gegend streift. Die zuständige Bezirksregierung von Oberbayern wollte daraufhin Nägel mit Köpfen machen. Am späten Abend des 17. Januars veröffentlichte sie eine Allgemeinverfügung. Darin steht unter anderem: „Die Entnahme des Wolfes durch Tötung mittels Schusswaffe hat nach jagdrechtlichen Grundsätzen zu erfolgen.“
Bis Ende März sollte die Jagd auf das Tier frei sein. Doch schon vier Tage nach dem Vorpreschen der Bezirksregierung gab es neben dem unwilligen Jagdpräsidenten für die Wolfsaustilger eine weitere Überraschung: angenehm für das Tier, unangenehm für all jene, die an dessen Tod gearbeitet haben. Das Verwaltungsgericht München beschloss in einem Eilverfahren, der Abschussbeschluss sei voraussichtlich rechtswidrig.
Der Hintergrund des Richterspruches: Eine Gefahr für Menschen oder die öffentliche Sicherheit, die eine sofortige Tötung des Wolfes erfordere, sei nicht vorhanden. Aus keinem der bisher bekannten Vorfälle könne geschlossen werden, dass sich der besagte Wolf Menschen in nicht arttypischer Weise genähert hätte.
Das Interpretieren des animalischen Verhaltens ist dabei ein weites Feld. So stuft die Wolfsforschung auch den Blutrausch auf einer Weide mit zig gerissenen Schafen als arttypisch ein. So weit lehnte sich das Verwaltungsgericht nicht aus dem Fenster. Es mahnte aber an, bevor überhaupt an eine Kugel zu denken wäre, seien weitere Recherchen zu diesem Tier und gegebenenfalls eine Besenderung sowie dessen Vergrämung, also Vertreibung, geboten.
Befriedigt nahmen die Kläger den Spruch auf: der Bund Naturschutz in Bayern und die Gesellschaft zum Schutz der Wölfe. „Die Begründung für den Abschuss des Wolfes war wirklich an den Haaren herbeigezogen“, kommentierte Richard Mergner, Vorsitzender des Bundes Naturschutz.
Endgültig ist der Gerichtsentscheid aber nicht. Gegen ihn kann Beschwerde beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingelegt werden. Zudem steht das Hauptsacheverfahren noch aus. Aber fürs Erste hat sich die bayerische Politik selbst ins Bein geschossen. Der Umgang mit dem Wolf ist offenbar komplexer als man es sich in weißblauen Amtsräumen vorstellen kann – speziell wenn es der erste sein soll, den man nach 140 Jahren Pause wieder beseitigen will.
Dabei hätten die Verantwortlichen bloß einen Blick über die nahe Tiroler Grenze werfen müssen. Dort ist es zu einem ähnlichen Richterspruch gekommen. Zuvor war ein Wolf von der Landesregierung in Innsbruck für vogelfrei erklärt worden. Er hatte in Sellrain, im Ötz- und Inntal mehrere Nutztiere gerissen. Diese AbschussGenehmigung wurde aber am 2. Dezember vom Landesverwaltungsgericht Tirol wieder kassiert. Die Ausführungsbestimmungen zur Wolfsjagd hätten nicht sichergestellt, dass tatsächlich der Problemwolf – und zwar nur der – getroffen würde, hieß es.
Dass im Zweifelsfall ein Fiasko droht, musste zuvor bereits das Land Niedersachsen erleben. Dessen SPD-geführtes Umweltministerium hatte in der ersten Jahreshälfte 2021 drei Wölfe schießen lassen. Ihre Obduktion ergab laut staatlichen Wolfsexperten, dass es sich nicht um die eigentlich anvisierten problematischen Tiere gehandelt hat. Seitdem herrscht Zoff im Norden. Öko-Verbände und Grüne gegen Umweltminister Olaf Lies.
Die Krux mit dem richtigen Identifizieren hätte jeder potenzielle Schütze auch beim bayerischen Problemwolf. Sein Gencode steht schließlich nicht auf dem Fell. Deshalb wollte die oberbayerische Bezirksregierung folgende Lösung: Ist ein Wolf von der Kugel gestreckt, wird erst einmal untersucht, ob er der richtige ist. Wenn feststeht, dass der falsche liegt, sollte weiter gejagt werden. Salopp gesagt: erst schießen und dann schauen, wen man getroffen hat. Eine Zumutung für Jäger, die ihrer Passion waidgerecht nachgehen wollen. Gemeint ist damit ein Ehrenkodex der Diana-Jünger.
Vor dem gerichtlichen Kassieren der Abschussverfügung hat sich dazu der Rosenheimer Kreisjägermeister Franz Sommer in den Medien zitieren lassen. Von ihm wurde das Vorhaben der Bezirksregierung in der Tat als „alles andere als waidmännisch“abqualifiziert. „Dass wir uns jetzt bis zu den Zähnen bewaffnen und losziehen, dazu sind wir Hobbyjäger nicht bereit.“
Sein Kollege Josef Freutsmiedl vom Kreis Traunstein betonte in einem Interview, er würde den Wolf nicht schießen. Womit die beiden Ehrenamtler die Haltung ihres jagdlichen Oberpräsidenten Weidenbusch teilen. Im Rückgriff auf solche Aussagen hat die „Bild“seinerzeit gewitzelt: „Die Jagd ist eröffnet und keiner geht hin.“
Dies hatten sich die Behörden wohl anders vorgestellt – schon weil ihr genereller Beschluss lautete, dass jeder, der zwischen Rosenheim und Berchtesgaden jagdberechtigt sei, auch tätig werden könne. Offenbar wurde blauäugig auf ein schnelles Ende von GW 2425m hingearbeitet. Andererseits sind die Behörden prinzipiell angehalten, sorgsam diverse Nachweise zu sammeln, die eine Gefahr nahelegen. Was daran liegt, dass die Raubtiere in Europa strengstens geschützt sind. Ihr Abschuss ist nach dem hiesigen Naturschutzrecht nur in absoluten Ausnahmefällen möglich.
Dass es sie geben kann, wird sogar von Grünen zugestanden – etwa der baden-württembergischen Umweltministerin Thekla Walker. In ihrem Bundesland sind bisher vier solche Raubtiere ausgemacht. Vergangenen Sommer hat sie dazu erklärt: „Wenn ein Wolf zu nahe kommt oder ein problematisches Verhalten an den Tag legt, dann muss man den auch entnehmen und dazu sind wir dann grundsätzlich auch bereit.“
Nun unterliegt es durchaus individueller Ansichten, ab wann ein Wolf weggehört. Nie, würde wohl mancher eingefleischte Tierschützer attestieren. Im Fall der südostbayerischen Abschussdiskussion hat hingegen der Traunsteiner Landrat Siegfried Walch als erster Amtsträger das dringende Bedürfnis empfunden, die Frage via Büchse zu klären. Wobei er ein seit Jahren bekennender Gegner der Rückkehr solcher Raubtiere nach Oberbayern ist.
Weidehaltung von Schafen oder
Richard Mergner, Vorsitzender des Bundes
Naturschutz in Bayern
Rindern würde sich mit ihnen nicht vertragen, lautet das Glaubensbekenntnis dieses CSU-Politikers. Nun hat sich bereits Ende Oktober, Anfang November in seinem Gäu ein bis dahin noch unidentifizierter Wolf an leichter Beute gütlich getan. Sanfte Schafe waren ein gefundenes Fressen – bis Walch zeitnah attestierte, genug sei genug. Er stellte einen Antrag an die Regierung von Oberbayern, diesen Wolf aus dem Leben zu entfernen.
Das bis dahin Vorgefallene hätte aber wohl noch nicht für eine Abschussverfügung gereicht. Der bayerische „Aktionsplan Wolf“von 2019 fordert da schon mehr Gründe. Aber der Weg zur Kugel war wenigstens verbal beschritten. Wie man jedoch inzwischen durch DNA-Proben weiß, ist Walchs Täter nicht jener Wolf GW 2425m gewesen, der kurz vor Weihnachten die Gegend aufschreckte. Eine verwirrende Situation, die einmal mehr die schwierige Suche nach einem wahren Problemwolf beleuchtet.
Dass nun GW 2425m ins Visier geriet, hat nicht bloß mit dessen dezemberlichen Rissen zu tun. Wegen eines räumlichen und zeitlichen Zusammenhangs wiesen ihm die Behörden außer dem Spaziergang durch den Luftkurort Bergen auch Besuche auf zwei Bauernhöfen zu. Dies verschlechterte die Beurteilung des hungrigen Tiers einmal mehr. Worauf Bayerns Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber einen Schnitt machen wollte.
Sie betonte, diese Ereignisse würden von einem „sehr massiven Übergriff“zeugen. Dies zeige, „dass der Wolf seine Scheu verloren hat“. Was heißen sollte: Gefahr ist im Verzug. Umweltminister Thorsten Glauber schloss sich der Sichtweise an. Damit herrschte in Bayerns Regierungskoalition Einigkeit, repräsentiert doch Kaniber die CSU und Glauber die Freien Wähler.
Demnach müsse etwas geschehen, bevor der Wolf womöglich noch Menschen anfalle, lautete die ministerielle Argumentationslinie. Sie deckt sich auch nach örtlichen Medienberichten mit dem Meinungsbild unzähliger Einheimischer. Man ist hier weit weg von den Ballungszentren wie München. Natur kann schon unvermittelt am Gartenzaun auftauchen. Die Koalition der Wolfsgegner beginnt deshalb bei besorgten Müttern. Eine solche hat sich nach dem Wolfsspaziergang im Dorf Bergen kurzangebunden damit zitieren lassen, dass „solch ein Raubtier hier einfach nicht hergehört“.
Wenig überraschend ist die ablehnende Haltung der Bauernschaft. Vorstellungen, Weidetiere ließen sich in Gebirgsgegenden durch Zäune schützen, hält sie für eine fixe Idee ahnungsloser Städter. „Über Stock und Stein zäunen? Wie soll das mit vertretbarem Aufwand gehen?“, heißt es dazu immer wieder. Auch das Anschaffen von Herdenschutzhunden wird oft in Frage gestellt – vor allem wenn solch mächtige Hunde nur jeweils eine Handvoll Schafe sichern sollen oder vielleicht ein paar Stück Jungvieh auf der sommerlichen Alm.
Unter den Jägern in der betroffenen Gegend dürfte die Zahl der Wolfsfreunde ebenso überschaubar sein – schon deshalb, weil sie Teil des dortigen ländlichen Milieus sind. So hat sich der Kreisjagdverband Traunstein mit seinen 800 Mitgliedern in einer öffentlichen Stellungsnahme klar für den Abschuss des Raubtiers ausgesprochen. Wie passt dies aber nun damit zusammen, dass die Waidmänner lieber nicht selber zur Tat schreiten wollen? Immerhin könnte sich ein offiziell erbeutetes Wolfsfell durchaus gut an der Trophäenwand machen.
Um zu verstehen, was hier vorgeht, braucht es mehr als den Verweis auf die hehre Waidgerechtigkeit. Die Wiederborstigkeit innerhalb der Jägerschaft hat nämlich weitere Gründe. Einer davon ist sehr pragmatisch und hat mit Bär Bruno zu tun. Man erinnere sich: Vor 16 Jahren befand die bayerische Staatsregierung, Bruno sei ein Problembär. Worauf er im Mangfallgebirge südwestlich von Rosenheim an zwei Kugeln starb, also unweit von der gegenwärtigen Krisenregion.
Eine höchst umstrittene Aktion. Tierschützer schäumten. Angelegt hatte ein bis heute anonym gebliebenes Einsatzteam des Umweltministeriums. Den Ärger bekamen jedoch örtliche Jäger ab. In Berichten aus ihren Reihen ist von Morddrohungen die Rede, von Hetz-Schmierereien an Hauswänden, anonymen Anrufen bis hin zum Wurf von Böllern Richtung Eigenheim. „Das will sich doch keiner antun“, lautet die Reaktion aus den jagdlichen Kreisverbänden in Südostbayern.
Jäger-Präsident Weidenbusch treibt währenddessen noch etwas anderes um. Er hat die Abschussverfügung „weltfremd“und „nicht sachgerecht“genannt. Fast schon beleidigt klingt seine Feststellung, sie sei „ohne unsere jagdliche Expertise geschrieben worden“. Im Umkehrschluss legt dieses Statement nahe, dass man unter anderen Umständen doch noch zur Pirsch bereit wäre. Andere aus seiner
Zunft halten wiederum grundsätzlich das Engagieren eines Spezialkommandos für sinnvoller – so wie bei Bär Bruno. Eventuell Berufsjäger oder Staatsförster.
Erst einmal steht aber der
Spruch des Verwaltungsgerichtes im Raum. Die Jagd ruht. Aber selbst wenn es nicht so wäre, stünden die Häscher vor einem weiteren Problem. Der besagte Wolf ist das bisher letzte Mal am 19. Dezember in der fraglichen Gegend festgestellt worden. Seitdem fehlt von ihm jede Spur.
wolf
Der Wolf im Südwesten – Info-Video auf www.schwaebische.de/