Olaf Scholz und das Führungsversprechen
Die Bundesregierung legt keinen eigenen Gesetzentwurf vor und steht deshalb in der Kritik
- An starken Worten ließ es Olaf Scholz (Foto: Popow/Imago Images) nicht fehlen: „Ohne eine Impfpflicht wird es uns nicht gelingen, die Quote auf das Niveau zu bringen, das nötig ist, damit wir die Pandemie hinter uns lassen können“, sagte er. Genaugenommen ist das nur seine Ansicht als Abgeordneter. Scholz hat als Kanzler nicht vor, einen Gesetzentwurf der Bundesregierung vorzulegen.
Auch Gesundheitsminister
Karl Lauterbach (SPD) hebt die Hände, sieht sich in der überparteilichen Rolle. Nun sollen Abgeordnete über Fraktionsgrenzen hinweg Vorschläge erarbeiten, über die ohne Fraktionszwang abgestimmt werden soll.
„Es ist wichtig und richtig, dass wir im Bundestag nun endlich eine ergebnisoffene Debatte zur Impfpflicht führen“, sagt der stellvertretende Fraktionschef der Union, Sepp Müller. Gleichzeitig findet er es „enttäuschend, dass sich die Regierung vor ihrer Verantwortung drückt, einen eigenen Gesetzentwurf vorzulegen, obwohl sie lautstark eine allgemeine Impfpflicht fordert.“
Tatsächlich ist der Widerstand gegen eine Impfpflicht vor allem in der FDP groß. Wäre dieser Widerstand aber unüberwindlich? Das Gesundheitsministerium wird von der SPD geführt und könnte eine Gesetzesvorlage erarbeiten. Die Abstimmung könnte trotzdem ohne Fraktionszwang erfolgen.
„Wie der Kanzler in der Coronakrise agiert, ist das Gegenteil der von ihm unentwegt versprochenen Führung“, sagt der Politologe Albrecht von Lucke. Er sieht zwei Gründe für die Zurückhaltung des Kanzlers. „Erstens steckt er in der Impfpflichtfalle, weil er sich ohne Not auf die Einführung einer Impfpflicht festgelegt hat – nachdem er sie zuvor gleichermaßen rigoros ausgeschlossen hatte. Und zweitens fehlt ihm dafür die eigene Kanzler-Mehrheit in seiner Ampelkoalition.“
Tatsächlich ist die SPD in der Koalition zwar die stärkste Kraft, aber FDP und Grüne sind zusammen deutlich stärker als der Koalitionspartner. Deshalb müsse Scholz „den Weg über die Freigabe der Abstimmung im Bundestag gehen. Damit glänzt Scholz aber gerade nicht durch „demokratische Leadership“‘ (Scholz über Scholz), sondern eher durch Führungsverweigerung. Albrecht von Lucke sieht ein über die Pandemiebekämpfung hinausgehendes Problem. „Wie auf diese Weise die noch weit größere Klimakrise zu bewältigen sein soll, steht in den Sternen.“
Es ließe sich einwenden, dass Scholz im Fall der Impfpflicht im Parlament die Debatten in der Bevölkerung gespiegelt sehen möchte. Dass er mit leiser Stimme spricht, sollte nicht zu dem Schluss verleiten, der Kanzler wisse sich nicht durchzusetzen: Aus seiner Hamburger Zeit als Erster Bürgermeister stammt das Kürzel OWD für „Olaf will das“. Das stand für: Wenn Scholz etwas wirklich will, dann bekommt er es auch. Manchmal offenbar auf eher indirektem Weg. Denn es wird eine Impfpflicht kommen, wie sie Scholz gefällt. Abgeschwächt, befristet und die Verantwortung trägt das Parlament, nicht die Regierung.