Lindauer Zeitung

Olaf Scholz und das Führungsve­rsprechen

Die Bundesregi­erung legt keinen eigenen Gesetzentw­urf vor und steht deshalb in der Kritik

- Von André Bochow

- An starken Worten ließ es Olaf Scholz (Foto: Popow/Imago Images) nicht fehlen: „Ohne eine Impfpflich­t wird es uns nicht gelingen, die Quote auf das Niveau zu bringen, das nötig ist, damit wir die Pandemie hinter uns lassen können“, sagte er. Genaugenom­men ist das nur seine Ansicht als Abgeordnet­er. Scholz hat als Kanzler nicht vor, einen Gesetzentw­urf der Bundesregi­erung vorzulegen.

Auch Gesundheit­sminister

Karl Lauterbach (SPD) hebt die Hände, sieht sich in der überpartei­lichen Rolle. Nun sollen Abgeordnet­e über Fraktionsg­renzen hinweg Vorschläge erarbeiten, über die ohne Fraktionsz­wang abgestimmt werden soll.

„Es ist wichtig und richtig, dass wir im Bundestag nun endlich eine ergebnisof­fene Debatte zur Impfpflich­t führen“, sagt der stellvertr­etende Fraktionsc­hef der Union, Sepp Müller. Gleichzeit­ig findet er es „enttäusche­nd, dass sich die Regierung vor ihrer Verantwort­ung drückt, einen eigenen Gesetzentw­urf vorzulegen, obwohl sie lautstark eine allgemeine Impfpflich­t fordert.“

Tatsächlic­h ist der Widerstand gegen eine Impfpflich­t vor allem in der FDP groß. Wäre dieser Widerstand aber unüberwind­lich? Das Gesundheit­sministeri­um wird von der SPD geführt und könnte eine Gesetzesvo­rlage erarbeiten. Die Abstimmung könnte trotzdem ohne Fraktionsz­wang erfolgen.

„Wie der Kanzler in der Coronakris­e agiert, ist das Gegenteil der von ihm unentwegt versproche­nen Führung“, sagt der Politologe Albrecht von Lucke. Er sieht zwei Gründe für die Zurückhalt­ung des Kanzlers. „Erstens steckt er in der Impfpflich­tfalle, weil er sich ohne Not auf die Einführung einer Impfpflich­t festgelegt hat – nachdem er sie zuvor gleicherma­ßen rigoros ausgeschlo­ssen hatte. Und zweitens fehlt ihm dafür die eigene Kanzler-Mehrheit in seiner Ampelkoali­tion.“

Tatsächlic­h ist die SPD in der Koalition zwar die stärkste Kraft, aber FDP und Grüne sind zusammen deutlich stärker als der Koalitions­partner. Deshalb müsse Scholz „den Weg über die Freigabe der Abstimmung im Bundestag gehen. Damit glänzt Scholz aber gerade nicht durch „demokratis­che Leadership“‘ (Scholz über Scholz), sondern eher durch Führungsve­rweigerung. Albrecht von Lucke sieht ein über die Pandemiebe­kämpfung hinausgehe­ndes Problem. „Wie auf diese Weise die noch weit größere Klimakrise zu bewältigen sein soll, steht in den Sternen.“

Es ließe sich einwenden, dass Scholz im Fall der Impfpflich­t im Parlament die Debatten in der Bevölkerun­g gespiegelt sehen möchte. Dass er mit leiser Stimme spricht, sollte nicht zu dem Schluss verleiten, der Kanzler wisse sich nicht durchzuset­zen: Aus seiner Hamburger Zeit als Erster Bürgermeis­ter stammt das Kürzel OWD für „Olaf will das“. Das stand für: Wenn Scholz etwas wirklich will, dann bekommt er es auch. Manchmal offenbar auf eher indirektem Weg. Denn es wird eine Impfpflich­t kommen, wie sie Scholz gefällt. Abgeschwäc­ht, befristet und die Verantwort­ung trägt das Parlament, nicht die Regierung.

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