Eine Frage des Anstands
Wie soll die Erinnerungskultur weiter gestaltet werden, wenn die letzten Überlebenden der Shoa gestorben sind? Über diese Frage wird seit Jahren diskutiert. Es gibt nur noch wenige Zeitzeugen, die die Geschichte der Verfolgung und Ermordung von sechs Millionen Juden mit ihren persönlichen Biografien lebendig werden lassen können. Wer diesen Menschen zugehört hat, der weiß, dass es – unabhängig von der Bekämpfung von Rechtsradikalen und den unerträglichen Versuchen der HolocaustRelativierung – eine Frage des Anstands ist, das Andenken aufrechtzuerhalten.
Dafür braucht es auch die rechtsstaatlichen Prozesse gegen heute Hochbetagte, denen die Beteiligung an den fürchterlichen Verbrechen vorgeworfen wird. Diese Verfahren sind keine Willkür. Sie dienen der Aufklärung, auch wenn sie sehr spät kommen. Doch erfahrungsgemäß ist die juristische Aufarbeitung keine Tätigkeit, die abseits der Zeitungen eine große Resonanz auslöst.
Anders verhält es sich mit Spielfilmen, die auf prominenten Sendeplätzen ausgestrahlt werden. Wie zu Beginn der Woche geschehen: Statt seichte Bodensee-Krimis oder Wiederholungen zu bringen, zeigte das ZDF mit Topschauspielern besetzt den Ablauf der Wannseekonferenz. Es mag künstlerische Dramaturgie auch dabei gewesen sein, aber der exzellente Film blieb sehr nah an den historischen Fakten. Über fünf Millionen Menschen sahen sich an, wie nationalsozialistische Bürokraten und Karrieristen 1942 in der herrschaftlichen Villa am Berliner Wannsee die systematische Ermordung der Juden in Europa planten.
Diese Manager des Todes analysierten eiskalt die Voraussetzungen und Umsetzungsmöglichkeiten des industriellen Massenmordes, rechneten Kosten gegen Nutzen auf, legten Wert auf Effizienz und Gnadenlosigkeit. Einige dieser durchtriebenen Mörder lebten nach dem Krieg unbehelligt ein angenehmes Leben. Vielleicht bewirkt so ein Film deutlich mehr als ein fast abstrakt wirkendes Gerichtsurteil. Wir brauchen beides, das eine wie das andere.