Ausgegrenzt, verschleppt, ermordet
Landtag gedenkt in Ravensburg der Opfer des Nationalsozialismus – Schicksal der Sinti im Fokus
- Guttenberger. Johann. Reinhardt. Schneck. Die Nachnamen sind auf einer Stele an der Ravensburger Kirche St. Jodok zu lesen. Insgesamt 29 Menschen. Am 13. März 1943 wurden sie aus Oberschwaben in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Dort wurden sie im selben Jahr und im Folgejahr ermordet.
Die Menschen, derer mit dieser Stele gedacht wird, waren Ravensburger, sie waren Angehörige der Pfarrei St. Jodok, und sie waren Sinti.
Schon 1937 hatte man am Rande der Stadt ein Zwangslager eingerichtet für die Angehörigen dieser „Mischlingspopulation“, wie es in einem Brief des Rassenhygienikers Robert Ritter an den Ravensburger Oberregierungsrat verächtlich hieß. Insassen des Lagers im Ummenwinkel, jenseits der Schussen
abseits vom Stadtzentrum gelegen, wurden zu Untersuchungen der Berliner „Rassenhygienischen Forschungsstelle“herangezogen, viele zwangssterilisiert. Für das städtische Bau- und Forstamt und für Unternehmen aus der Region mussten sie Zwangsarbeiten verrichten, bevor sie schließlich nach Auschwitz und in andere Konzentrationslager geschickt wurden.
„Ihre Geschichte steht exemplarisch für die Verfolgung aller Sinti und Roma auf dem Gebiet des heutigen Baden-Württembergs“, heißt es in einer Einladung des Landtags zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus an diesem Donnerstag. Der Gedenktag findet in diesem Jahr in Ravensburg statt – und im virtuellen Raum.
Ein Vortrag der Heidelberger Antiziganismus-Forscherin Karola Frings über den „Völkermord an den Sinti und Roma: eine Herausforderung für die Gegenwart“wird ausschließlich im Internet übertragen, ebenso wie ein Filmbeitrag, in dem fünf junge Menschen sich auf Spurensuche begeben. Im Zuge der ansonsten virtuellen Gedenkfeier
wird Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) vor Ort an der Jodokskirche um 11.30 Uhr einen Kranz niederlegen. Neben Vertretern der Sinti und Roma sind auch Repräsentanten anderer Gruppen vertreten, die vom nationalsozialistischen Regime verfolgt wurden.
Mit der Geschichte der Sinti in Ravensburg befasst sich seit dem vergangenen Sommer auch die Ausstellung „Ausgrenzung und Verfolgung“im Museum HumpisQuartier. Sie thematisiert nicht nur die sich verschärfende Ausgrenzung der Minderheit, sondern auch, wie die Mehrheitsgesellschaft davon profitierte. Die Ausstellung läuft noch bis Ende Januar.
Die Gedenkveranstaltung des Landtags wird öffentlich im Internet übertragen unter: www.ltbw.de/gedenken
Baden-Württemberg unterhält als einziges Bundesland einen Rat für die Angelegenheiten der deutschen Sinti und Roma. Er berät die Landespolitik bei Angelegenheiten, die die Minderheit betreffen. Wo hat sich der Einfluss dieses Gremiums bemerkbar gemacht? Auf jeden Fall bei der Einrichtung der bundesweit ersten Antiziganismus-Forschungsstelle in Heidelberg. Und es gibt Fördergelder für Projekte, da spricht der Rat mit. Das sind erste kleine Schritte. Jetzt geht es darum, noch einmal mehr ins öffentliche Bewusstsein zu holen, dass Sinti und Roma ein Teil unserer Gesellschaft sind. Sie sind deutsche Staatsbürger mit allen Rechten und Pflichten. Da haben wir noch sehr viele Hausaufgaben zu machen.