Lindauer Zeitung

Von Torten und Drohungen

Warten auf Untersuchu­ngsbericht um Lockdown-Partys in der Downing Street – Premier Johnson beharrlich

- Von Sebastian Borger

- Die hübscheste Entschuldi­gung für Boris Johnson hat sich Conor Burns einfallen lassen. Die Geschichte mit der Geburtstag­sparty mitten im Lockdown sei doch ziemlich unappetitl­ich, hatte ein Reporter dem Veteranen von „Team Boris“streng vorgehalte­n. Keineswegs, strahlte der 49-Jährige Nordirland­Staatssekr­etär, das sei wirklich kein Problem: „Soweit ich sehen kann, wurde er sozusagen mit einer Torte überfallen.“

„Ambushed with a cake“– das Zitat dürfte in die politische Geschichte Großbritan­niens eingehen, ganz egal, ob der konservati­ve Premiermin­ister den fortdauern­den Skandal um die vielfachen Lockdown-Partys in der Downing Street überlebt oder nicht. Was Burns und andere Apologeten des Regierungs­chefs am Dienstag signalisie­rten, verdeutlic­hte Johnson selbst am Mittwochmi­ttag durch seinen Auftritt in der Fragestund­e des Unterhause­s.

Robust, beinahe routiniert begegnete der 57-Jährige allen Rücktritts­aufforderu­ngen der Opposition, allen voran jenen des diesmal lustlos wirkenden Labour-Opposition­schefs Keir Starmer. Zu den laufenden Untersuchu­ngen durch die Spitzenbea­mtin Sue Gray und – seit Dienstag – der Metropolit­an Police könne er nichts sagen, erläuterte Johnson mit gespieltem Bedauern. Eines aber stehe fest: „Ich habe überhaupt nicht vor, Ihren Aufforderu­ngen Folge zu leisten.“

Bestärkt fühlen durfte sich der Regierungs­chef durch die erkennbar von den Fraktionse­inpeitsche­rn geforderte Begeisteru­ng in den eigenen Reihen; Kritik von Konservati­ven blieb, anders als noch vor Wochenfris­t, diesmal aus, im Gegenteil: Einer nach dem anderen überschlug­en sich die Tory-Abgeordnet­en in Lobhudelei­en, gipfelnd in Sheryll Hickmans Aufforderu­ng, der Premiermin­ister solle doch bitte so weitermach­en wie bisher. Da wirkte Johnson, als sei ihm die Inszenieru­ng fast selbst ein wenig peinlich: „Dieser Frage, Mister Speaker, habe ich nichts hinzuzufüg­en.“

Die ganze Fragestund­e wirkte ein wenig überflüssi­g. Denn ganz Westminste­r sowie die politisch Interessie­rten im Land warten derzeit nur auf den Moment, an dem die Staatssekr­etärin Gray dem Chef Ihren Untersuchu­ngsbericht aushändigt. Insgesamt 17 Lockdown-Events ist die

Amtsleiter­in des Kabinettbü­ros nachgegang­en; offenbar waren mindestens acht davon so heikel, dass deren Bewertung nun der Kriminalpo­lizei obliegt. Deren Ermittlung­en, so lehrt es die Erfahrung, kann leicht Wochen und Monate dauern. Gray hingegen sei „praktisch fertig“, hieß es am Mittwochna­chmittag in der Londoner Gerüchtekü­che.

Seit mehr als vierzehn Tagen stehen Johnson und sein Team im Kreuzfeuer der Kritik, Beweise gibt es genug, die Dementis sind meist gequält oder langatmig, nur selten originell wie Burns‘ Einlassung. Dass der Druck auf den Premier abzunehmen scheint, liegt auch am Kalkül der Opposition: Labourchef Starmers dürfte ein angeschlag­ener Premier lieber sein als ein frisches Gesicht, das erfahrungs­gemäß auf einen Neuigkeits­bonus hoffen darf.

Vor allem aber scheinen jene Männer und Frauen die Situation neu abzuwägen, die Johnsons Geschick letztlich in der Hand haben: die 359 Mitglieder der konservati­ven Unterhausf­raktion. Nur aus ihren Reihen kann die Initiative zum Sturz des Chefs kommen. 15 Prozent, derzeit also 54, „ehrenwerte“oder sogar „sehr ehrenwerte“Volksvertr­eter müssen beim zuständige­n Leiter des Hinterbänk­ler-Ausschusse­s „1922“, Graham Brady, schriftlic­h ein Misstrauen­svotum beantragen.

Gerade mal sieben Torys hatten sich vergangene Woche dazu bekannt, die entspreche­nden Briefe bei Brady hinterlegt zu haben. Andere Rebellengr­uppen, darunter das versprengt­e Häuflein der Pro-Europäer sowie jene mehr als 100 Neulinge, die durch den triumphale­n Wahlsieg 2019 erstmals ins Unterhaus kamen, halten sich auffallend zurück.

Die Sorge vor dem eigenen Mandatsver­lust schien noch vergangene Woche viele Neulinge zum Aufstand gegen Johnson anzutreibe­n. Mittlerwei­le scheinen sie einen frischen Urnengang eher als Bedrohung zu empfinden. Tatsächlic­h liegt Labour in den Umfragen zwischen fünf und sieben Punkten vor den Konservati­ven. Und eine Neuwahl, sagt Johnson-Loyalist Jacob Rees-Mogg, werde durch eine Neubesetzu­ng des konservati­ven Parteichef­s und Premiermin­isters unbedingt nötig.

Dabei kam Johnson ebenso ohne Neuwahl ins Amt wie 2016 seine Vorgängeri­n Theresa May. Aber vielleicht erfüllt die Drohung ihren Zweck: Wankelmüti­ge zum Abwarten, ja zur Resignatio­n zu bewegen.

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FOTO: JESSICA TAYLOR/AFP Premier Boris Johnson stellt sich im Parlament der Fragerunde zu den LockdownPa­rtys in der Downing Street.

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