Lindauer Zeitung

Wohnen über dem Supermarkt-Parkplatz

Bauunterne­hmer Ernst Böhm wirbt dafür, auf bereits erschlosse­nen Flächen in Städten Wohnraum zu schaffen

- Von Hanna Gersmann

- Droht da die triste Stadt, eine neue Ära des Plattenbau­s, architekto­nische Einöde? Denn jetzt soll alles zack, zack gehen, gebaut und gebaut werden, damit Wohnen bezahlbar wird. Die neue Bundesregi­erung verspricht 400 000 neue Wohnungen im Jahr, davon 100 000 Sozialwohn­ungen. SPD-Bundesbaum­inisterin Klara Geywitz will dafür „den Bauprozess beschleuni­gen“und in Serie bauen. Gut und machbar?

Wer mit dem Bauunterne­hmer Ernst Böhm spricht, glaubt zunächst: nein. Und ist erstaunt. Böhm ist mit seiner B&O-Gruppe nach eigenen Angaben Marktführe­r im sozialen Wohnungsba­u. Das Unternehme­n mit Sitz im oberbayeri­schen Bad Aibling, 2400 Mitarbeite­r, baut 1000 Wohnungen im Jahr, in Berlin, Hamburg, München, deutschlan­dweit. Für Böhm trifft die Frage nach dem seriellen Bau nicht den Kern des Problems. Ihn treibt aber ganz anderes um: Genehmigun­gen („dauern“), DIN-Normen („rigide“), Erschließu­ng von Grundstück­en („aufwändig“). Wasserrohr­e müssen verlegt, Straßen gebaut werden. Zudem steigen die Grundstück­preise. Erst mit der Frage: „Ja, was würden Sie denn dann Klara Geywitz raten?“dreht sich das Gespräch, zeigt sich plötzlich: Einfacher, schneller, effiziente­r zu bauen – das geht. Auch klimafreun­dlicher.

Böhms Vorschlag: „Bebauen Sie die Parkplätze der Edekas und Lidls, der 12 000 Supermärkt­e in Deutschlan­d oder die an S-Bahnhöfen oder Sportplätz­en.“Das seien bereits versiegelt­e, erschlosse­ne Grundstück­e, da gehe es schneller, die Genehmigun­g, das Bürokratis­che, billiger seien sie zudem. Er habe damit „gute Erfahrunge­n“gemacht.

Beispiel München: Im hochpreisi­gen Stadtteil Gern im Bezirk Neuhausen-Nymphenbur­g hat er für die bayerische Landeshaup­tstadt, genauer: für die städtische Wohnungsba­ugesellsch­aft Gewofag, über dem Parkplatz eines Schwimmbad­s schon vor fünf Jahren in nur zwölf Monaten Sozialwohn­ungen gebaut: „Dante I“heißt der lang gestreckte Bau, graublaue Holzfassad­e, dunkelrot gerahmte Fenster, der auf einer aufgeständ­erten Betonplatt­e steht, also auf Stelzen.

Außer dort, wo das Treppenhau­s ist, sind die Parkplätze geblieben. Nur liegen darüber jetzt vier Stockwerke mit 86 Einzimmerw­ohnungen mit bis zu 30 Quadratmet­ern und 14 Wohnungen mit zweieinhal­b Zimmern mit 50 Quadratmet­ern. Auf dem Dach: eine Terrasse mit Grün und Spielplatz. Die Kaltmiete: 9,40 Euro je Quadratmet­er. In München liegt die im Schnitt bei gut 17,30 Euro. Die Wohnungen sind gefördert. Das ist das eine. Der effiziente­re und damit günstigere Bauprozess das andere. Dante I besteht aus klimafreun­dlichen Holzmodule­n, die in der Fabrik gefertigt und dann auf der Baustelle zusammenge­setzt wurden.

Böhm macht für das Bauen in Serie zwei Herangehen­sweisen aus: „2-D“und „3-D“. Dante I ist „2-D“. Wände

Mehr als elf Millionen Mieterhaus­halte haben in Deutschlan­d einen Anspruch auf einen Wohnberech­tigungssch­ein (WBS) und damit auf eine Sozialwohn­ung, doch gibt es nur für jeden Zehnten eine. Das rechnete jetzt das Bündnis „Soziales Wohnen“vor. Dahinter stecken der Deutsche Mieterbund, die Industrieg­ewerkschaf­t Bauen-AgrarUmwel­t, die Caritas sowie zwei Bauverbänd­e. Sie halten eine Wende auf dem Wohnungsma­rkt aber für möglich. Voraussetz­ung: Neben dem Neubau von jährlich 100 000 Sozialmiet­wohnungen mit 6,50 werden vorproduzi­ert und dann zu verschiede­nen Zimmern und Wohnungen zusammenge­setzt. Längst gibt es „Dante II“über dem Parkplatz auf der anderen Seite des Schwimmbad­s. Diesmal ist es ein grünliches Karree mit 144 Wohnungen. Dort wurden die Wände so zusammenge­stellt, dass darunter 90 Drei- bis Fünfzimmer­wohnungen sind, sodass Familien mehr Platz haben.

Bei „3-D“hat jeder Raum dieselbe Form. Das sei weniger für Wohnhäuser

Euro Kaltmiete pro Quadratmet­er, werden pro Jahr weitere 60 000 bezahlbare Wohnungen mit 8,50 Euro Kaltmiete errichtet. Und: Die Regierung stellt mindestens sechs Milliarden Euro pro Jahr für soziales Wohnen bereit.

Laut dem Bündnis spielt sich derzeit ein „soziales Drama“auf dem Wohnungsma­rkt ab. In Deutschlan­d gebe es 15,5 Millionen Menschen, die als „arm“bezeichnet werden müssten. Drei Millionen davon seien im Rentenalte­r. Die Zahl der Älteren, die in Armut leben, wachse „rasant“. (hge)

gedacht, eher für Büros, Hotels, Bundeswehr­kasernen, sagt Böhm. Als Baustoff eigne sich bei beiden Prinzipien am besten Holz, denn Zement sei schwerer zu transporti­eren, er bekomme leichter Risse. Vorausgese­tzt, es gibt genügend nachhaltig produziert­es Holz, könnte das eine Chance für mehr Klimaschut­z werden. Die Herstellun­g von Zement ist energieint­ensiv, verursacht viele CO2-Emissionen. Eintönig müsse es jedenfalls nicht werden, sagt der Bauunterne­hmer. Es hänge immer von der Planung ab.

Bestes Beispiel seien die 400 neuen Büros, die der Bundestag in Berlin jetzt bekomme – der siebengesc­hossige „Luisenbloc­k West“. Für ihn sind vorgeferti­gte Holzmodule per Kran aufeinande­rgestapelt worden. Das verantwort­liche, berühmte Berliner Architektu­rbüro Sauerbruch Hutton entwarf eine farbige Fassade aus recyceltem Aluminiumb­lech. Die Kosten hielten die Bauleute ein, die Planungsun­d Bauzeit von 20 Monaten unterschri­tten sie sogar um vier Wochen. Es ist das Prinzip Baukasten, ausgeklüge­lter als bisher etwa für Fertighäus­er.

Einen „Industrial­isierungsp­rozess, den anderes Handwerk längst durchlaufe­n hat“, nennt das Florian Pronold. Er hat das Bauen als parlamenta­rischer Staatssekr­etär der SPD im Bundesumwe­ltminister­ium einst selbst verantwort­et, beobachtet den Markt immer noch besonders gut. Bleiben die Handwerker nicht auf der Strecke? Nein, sagt er, „die fehlen ja eher“.

Der deutsche Immobilien­markt sei ein „Hotspot“, meint Pronold, im internatio­nalen Vergleich „eher günstig“. Das ziehe Investoren an, darum würden auch viele neue Häuser gebaut. Für viele unbezahlba­r. Der Stil: eher billig. „Wenn in 500 Jahren Archäologe­n auf die Bauten stoßen, die derzeit emporwachs­en, dann werden sie denken, wir seien ein kriegerisc­hes Volk gewesen“, sagt Pronold. „Das sind vielfach grobe Betonklötz­e mit Tausenden Fenstern, die wie Schießscha­rten aussehen.“Die Käufer aber seien mittlerwei­le bereit, „das 60-fache der Jahresnett­okaltmiete für eine Wohnung zu zahlen, statt wie vor gut 15 Jahren noch das Zwölffache“. Denn sie setzten auf Wertsteige­rungen, etwa durch höhere Mieten.

Dante I in München sieht nicht aus wie ein Betonbunke­r, auch wenn das Haus über einem Parklatz steht. Bezahlbare Wohnungen in Serie zu bauen mache nichts trister – im Gegenteil. Davon ist Ernst Böhm überzeugt.

 ?? FOTO: STEFAN MÜLLER-NAUMANN/B&O-GRUPPE ?? Ostfassade des Wohnprojek­ts Dante 1 im Münchner Stadtteil Gern: Über dem Parkplatz eines Schwimmbad­es hat die bayerische B&O-Gruppe für die städtische Wohnungsba­ugesellsch­aft Gewofag Sozialwohn­ungen gebaut.
FOTO: STEFAN MÜLLER-NAUMANN/B&O-GRUPPE Ostfassade des Wohnprojek­ts Dante 1 im Münchner Stadtteil Gern: Über dem Parkplatz eines Schwimmbad­es hat die bayerische B&O-Gruppe für die städtische Wohnungsba­ugesellsch­aft Gewofag Sozialwohn­ungen gebaut.

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