Aneinanderreihung von Anekdoten
Martin Suter hat mit „Einer von euch“eine Romanbiografie über Bastian Schweinsteiger geschrieben
Titel hat Bastian Schweinsteiger in seiner Karriere ausreichend gewonnen. Fast alle, die ein Fußballprofi gewinnen kann. Spitznamen sind auch Titel, Dokumente der jeweiligen Lebensphase. Seine Reise ging vom kleinen Basti zum „Schweini“bis hin zum „Fußballgott“.
Als er Schluss machte mit dem Fußball, als der Mittelfeldspieler, der seine größten Erfolge im Trikot des FC Bayern feierte, im August 2018 sein feierliches Abschiedsspiel in München bestritt, sprach er eine Botschaft aus, die dreieinhalb Jahre später der Titel seiner Biografie werden sollte. Schweinsteiger sei „einer von euch“, rief er den Fans zu und stand während seiner kurzen Rede ganz einsam in einem Spotlight im Mittelkreis der Arena, beäugt von 75 000 Verehrern. Nachzulesen auf einer der letzten Seiten im diese Woche erschienenen biografischen Buch des Bestsellerautors Martin Suter über das Leben des Weltmeisters.
„Er begann, seinen eingeübten Text aufzusagen, und sah sich dabei klein und allein im Lichtkegel stehen. Das Schluchzen wollte ihn übermannen, aber im letzten Moment rettete ihn der Gedanke, der ihn in ähnlichen Situationen immer wieder gerettet hatte: Ich bin nichts Besonderes. Ich bin einer wie ... Und dann sagte er einfach mit fester Stimme ins Mikrofon: ,Ich bin einer von euch. Und werde immer einer von euch bleiben.’“
Wer damals mit feuchten Augen Zeuge dieses Moments wurde, sagt noch heute: Ja, es war kitschig. Aber eben auch typisch Schweinsteiger. Ein freundlicher Kerl, herzlich und heiter, spitzbübisch, spontan, den Lausbuben in sich nie zwanghaft unterdrückend. Einfach Basti.
„Einer von euch“sei wie eine These, die Suter auf knapp 380 Seiten, seinem bisher längsten Werk, beweisen will. „Ich hatte nie den Eindruck, dass er sich für etwas Besonderes hält – das hat mir gefallen“, erklärt Suter, „Basti ist ganz normal geblieben, auch wenn er natürlich jetzt ein reicher Mann ist und sich einen anderen Lebensstil leisten kann als früher. Er ist kein überheblicher Star geworden mit Allüren.“Für die Umsetzung wählte Suter, der den Ex-Fußballer „Basti“nennt, laut eigener Aussage „eine neue Gattung“, einen biografischen Roman. Die Frage drängt sich auf: Warum? Warum keine klassische Biografie aus der Ich-Perspektive? Im Vorwort erklärt sich Suter dem Leser, legt seine Werkzeuge des Schreibens offen: „Ich erzähle Wahres und fast Wahres (...). Diesen Roman habe ich faktengetreu, aber mit literarischer Freiheit geschrieben.“Als Romancier. Und Komponist einer „Heldensaga“, wie er sein Werk nennt.
Er habe „ab und zu Details ausgeschmückt, damit ich auch noch was zu sagen habe in dem Buch“, meint der 73-Jährige und konnte „ganz wenige Sensationen enthüllen“. Das war auch nicht das Ansinnen des Projekts wie in manch anderen Fußballerbiografien, die zur Abrechnung gegenüber Weggefährten, meist ehemaligen Trainern, verkommen. Höchstens das Kennenlernen von Schweinsteiger (37) und seiner heutigen Frau Ana Ivanovic (34), der ehemaligen Weltranglistenersten im Tennis, enthält Spuren eines Krimis, der Rest ist eine Aneinanderreihung von Momentaufnahmen aus beider Leben. Und weil Schweinsteiger Suter erzählte, die Vita seiner serbischen Frau sei „viel interessanter als meine“, packte der Starautor zwei Biografien in ein leicht bekömmliches, unterhaltsames Werk.
Stets im Rahmen der künstlerischen Freiheit des Autors, der aus seinen Recherchen, den Erzählungen der Protagonisten sowie Interviews mit Freunden und Familienangehörigen flotte Unterhaltungen zusammenstrickte, die bis in Bastis Kindheit zurückreichen, der in Oberaudorf, einem Dorf südlich von Rosenheim, aufgewachsen ist.
„Er ist ein Held, wie er mir passt“, findet Suter, „meine Helden sind nicht so willensstarke, zielgerichtete
Menschen, sondern eher solche, denen das Leben zustößt.“Ihm selbst stieß dieses Projekt zu, weil Schweinsteigers Agentur ihn auserkoren hatte. Nach der Anfrage habe Suter nach nur einer Stunde zurückgerufen und gesagt: „Okay, wir treffen uns, und wenn wir uns mögen, dann machen wir das.“
Der Roman spielt seine Stärken aus, wenn er beschreibt, wie der damalige Bayern-Trainer Felix Magath Schweinsteiger nicht als Spieler erkannt hat. Es gibt liebenswürdige Szenen, wenn er heimlich ein Mädchen nachts in das Schwimmbad ins FCB-Trainingszentrum mitnimmt. Gerade an diesen Stellen kommt die Schlitzohrigkeit des Ex-Profis heraus. Auch die Passage, in der der 29jährige Schweinsteiger nach dem WM-Finale in ein Loch fällt und allein auf der Terrasse bei einigen Bieren über Kinder, seine sportlichen Pläne und die Zukunft mit seiner damaligen Freundin nachdenkt, wirkt sehr eindrücklich.
Die Schwierigkeiten hat der Romanleser wohl am ehesten mit der eigenen Verifizierung der Geschichten. Hardcore-Schweinsteiger-Fans, die zur wichtigsten Zielgruppe des Buchs gehören dürften, werden viele Anekdoten und Verweise kennen. Als oberflächlicher Kenner des heute 37Jährigen fragt man sich doch bei der ein oder anderen Passage, ob das wirklich so passiert ist. Obwohl Suter schreibt, dass er den Roman „faktengetreu, aber mit literarischer Freiheit geschrieben“hat, zieht sich das Hinterfragen durch das ganze Buch.
Die stilistisch charmante Aneinanderreihung von Anekdoten aus dem Leben von Basti & Ana ist unterhaltsam, jedoch weder kontrovers noch sonderlich aufregend. Die Verpackung und das Mediengetöse der Buchveröffentlichung wirken schlagkräftiger als der Inhalt. Das Spannendste an dieser Kreuzung zweier Welten ist: Nach der Lektüre erscheint Suter als einer von uns. Auch, weil er auf die Frage „Warum haben Sie das Projekt gemacht?“lapidar antwortete: „Weil ich so etwas noch nie gemacht habe.“
Martin Suter: Einer von euch – Bastian Schweinsteiger, Diogenes Verlag, 384 Seiten, 22 Euro.