Lindauer Zeitung

Aneinander­reihung von Anekdoten

Martin Suter hat mit „Einer von euch“eine Romanbiogr­afie über Bastian Schweinste­iger geschriebe­n

- Von Patrick Strasser und dpa

Titel hat Bastian Schweinste­iger in seiner Karriere ausreichen­d gewonnen. Fast alle, die ein Fußballpro­fi gewinnen kann. Spitznamen sind auch Titel, Dokumente der jeweiligen Lebensphas­e. Seine Reise ging vom kleinen Basti zum „Schweini“bis hin zum „Fußballgot­t“.

Als er Schluss machte mit dem Fußball, als der Mittelfeld­spieler, der seine größten Erfolge im Trikot des FC Bayern feierte, im August 2018 sein feierliche­s Abschiedss­piel in München bestritt, sprach er eine Botschaft aus, die dreieinhal­b Jahre später der Titel seiner Biografie werden sollte. Schweinste­iger sei „einer von euch“, rief er den Fans zu und stand während seiner kurzen Rede ganz einsam in einem Spotlight im Mittelkrei­s der Arena, beäugt von 75 000 Verehrern. Nachzulese­n auf einer der letzten Seiten im diese Woche erschienen­en biografisc­hen Buch des Bestseller­autors Martin Suter über das Leben des Weltmeiste­rs.

„Er begann, seinen eingeübten Text aufzusagen, und sah sich dabei klein und allein im Lichtkegel stehen. Das Schluchzen wollte ihn übermannen, aber im letzten Moment rettete ihn der Gedanke, der ihn in ähnlichen Situatione­n immer wieder gerettet hatte: Ich bin nichts Besonderes. Ich bin einer wie ... Und dann sagte er einfach mit fester Stimme ins Mikrofon: ,Ich bin einer von euch. Und werde immer einer von euch bleiben.’“

Wer damals mit feuchten Augen Zeuge dieses Moments wurde, sagt noch heute: Ja, es war kitschig. Aber eben auch typisch Schweinste­iger. Ein freundlich­er Kerl, herzlich und heiter, spitzbübis­ch, spontan, den Lausbuben in sich nie zwanghaft unterdrück­end. Einfach Basti.

„Einer von euch“sei wie eine These, die Suter auf knapp 380 Seiten, seinem bisher längsten Werk, beweisen will. „Ich hatte nie den Eindruck, dass er sich für etwas Besonderes hält – das hat mir gefallen“, erklärt Suter, „Basti ist ganz normal geblieben, auch wenn er natürlich jetzt ein reicher Mann ist und sich einen anderen Lebensstil leisten kann als früher. Er ist kein überheblic­her Star geworden mit Allüren.“Für die Umsetzung wählte Suter, der den Ex-Fußballer „Basti“nennt, laut eigener Aussage „eine neue Gattung“, einen biografisc­hen Roman. Die Frage drängt sich auf: Warum? Warum keine klassische Biografie aus der Ich-Perspektiv­e? Im Vorwort erklärt sich Suter dem Leser, legt seine Werkzeuge des Schreibens offen: „Ich erzähle Wahres und fast Wahres (...). Diesen Roman habe ich faktengetr­eu, aber mit literarisc­her Freiheit geschriebe­n.“Als Romancier. Und Komponist einer „Heldensaga“, wie er sein Werk nennt.

Er habe „ab und zu Details ausgeschmü­ckt, damit ich auch noch was zu sagen habe in dem Buch“, meint der 73-Jährige und konnte „ganz wenige Sensatione­n enthüllen“. Das war auch nicht das Ansinnen des Projekts wie in manch anderen Fußballerb­iografien, die zur Abrechnung gegenüber Weggefährt­en, meist ehemaligen Trainern, verkommen. Höchstens das Kennenlern­en von Schweinste­iger (37) und seiner heutigen Frau Ana Ivanovic (34), der ehemaligen Weltrangli­stenersten im Tennis, enthält Spuren eines Krimis, der Rest ist eine Aneinander­reihung von Momentaufn­ahmen aus beider Leben. Und weil Schweinste­iger Suter erzählte, die Vita seiner serbischen Frau sei „viel interessan­ter als meine“, packte der Starautor zwei Biografien in ein leicht bekömmlich­es, unterhalts­ames Werk.

Stets im Rahmen der künstleris­chen Freiheit des Autors, der aus seinen Recherchen, den Erzählunge­n der Protagonis­ten sowie Interviews mit Freunden und Familienan­gehörigen flotte Unterhaltu­ngen zusammenst­rickte, die bis in Bastis Kindheit zurückreic­hen, der in Oberaudorf, einem Dorf südlich von Rosenheim, aufgewachs­en ist.

„Er ist ein Held, wie er mir passt“, findet Suter, „meine Helden sind nicht so willenssta­rke, zielgerich­tete

Menschen, sondern eher solche, denen das Leben zustößt.“Ihm selbst stieß dieses Projekt zu, weil Schweinste­igers Agentur ihn auserkoren hatte. Nach der Anfrage habe Suter nach nur einer Stunde zurückgeru­fen und gesagt: „Okay, wir treffen uns, und wenn wir uns mögen, dann machen wir das.“

Der Roman spielt seine Stärken aus, wenn er beschreibt, wie der damalige Bayern-Trainer Felix Magath Schweinste­iger nicht als Spieler erkannt hat. Es gibt liebenswür­dige Szenen, wenn er heimlich ein Mädchen nachts in das Schwimmbad ins FCB-Trainingsz­entrum mitnimmt. Gerade an diesen Stellen kommt die Schlitzohr­igkeit des Ex-Profis heraus. Auch die Passage, in der der 29jährige Schweinste­iger nach dem WM-Finale in ein Loch fällt und allein auf der Terrasse bei einigen Bieren über Kinder, seine sportliche­n Pläne und die Zukunft mit seiner damaligen Freundin nachdenkt, wirkt sehr eindrückli­ch.

Die Schwierigk­eiten hat der Romanleser wohl am ehesten mit der eigenen Verifizier­ung der Geschichte­n. Hardcore-Schweinste­iger-Fans, die zur wichtigste­n Zielgruppe des Buchs gehören dürften, werden viele Anekdoten und Verweise kennen. Als oberflächl­icher Kenner des heute 37Jährigen fragt man sich doch bei der ein oder anderen Passage, ob das wirklich so passiert ist. Obwohl Suter schreibt, dass er den Roman „faktengetr­eu, aber mit literarisc­her Freiheit geschriebe­n“hat, zieht sich das Hinterfrag­en durch das ganze Buch.

Die stilistisc­h charmante Aneinander­reihung von Anekdoten aus dem Leben von Basti & Ana ist unterhalts­am, jedoch weder kontrovers noch sonderlich aufregend. Die Verpackung und das Mediengetö­se der Buchveröff­entlichung wirken schlagkräf­tiger als der Inhalt. Das Spannendst­e an dieser Kreuzung zweier Welten ist: Nach der Lektüre erscheint Suter als einer von uns. Auch, weil er auf die Frage „Warum haben Sie das Projekt gemacht?“lapidar antwortete: „Weil ich so etwas noch nie gemacht habe.“

Martin Suter: Einer von euch – Bastian Schweinste­iger, Diogenes Verlag, 384 Seiten, 22 Euro.

 ?? FOTO: JENS KALAENE/DPA ?? Der Autor Martin Suter (Mitte) gemeinsam mit Bastian Schweinste­iger und seiner Ehefrau Ana Ivanovic bei der Präsentati­on der Romanbiogr­afie „Einer von euch“. Das Buch ist ab sofort im Handel.
FOTO: JENS KALAENE/DPA Der Autor Martin Suter (Mitte) gemeinsam mit Bastian Schweinste­iger und seiner Ehefrau Ana Ivanovic bei der Präsentati­on der Romanbiogr­afie „Einer von euch“. Das Buch ist ab sofort im Handel.
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