Lindauer Zeitung

Unterwegs in dunklen Ecken

Philipp Winkler entführt in „Creep“ins Darknet

- Von Birgit Zimmermann

Der Titel von Philipp Winklers neuem Roman, „Creep“, ist in der Popkultur schon lange verwurzelt. Die britische Band Radiohead schrieb 1992 einen unvergängl­ichen Song dieses Titels. Darin wird ein „Creep“, ein „Weirdo“besungen, der jemanden begehrt, aber selbst nicht klarkommt und sich fragt: „What the hell am I doing here?“(„Was zur Hölle mache ich hier?“) und bilanziert: „I don’t belong here.“(„Ich gehöre hier nicht her.“). Radioheads „Creep“wirkt wie die gesungene Grundidee von Winklers Buch – nur dass seine Titelfigur­en sich zusätzlich in die düsteren Ecken des Internets flüchten.

„Creep“ist der Nachfolger von Winklers Debütroman und Bestseller „Hool“über einen jungen Mann aus der Hannoversc­hen Hooligan-Szene. Das Buch wurde viel gelobt, ausgezeich­net, in mehrere Sprachen übersetzt und für die Bühne umgearbeit­et. Eine Verfilmung ist in Vorbereitu­ng. Nun hat sich der 1986 geborene Autor an die nächste, für die meisten Menschen verschloss­ene Welt herangewag­t: die des Darknets, jenen entgrenzte­n Teil des Internets, der allgemein auch als Tummelplat­z für Verzweifel­te, Gestörte und Kriminelle gilt.

Winkler, der bei Hannover aufgewachs­en ist und dem Aufbau Verlag zufolge in Niedersach­sen auf dem Land lebt, schreibt über zwei unglücklic­he, isolierte Außenseite­r: Fanni (Fabienne) Behrends, technikaff­ine Tochter aus einem sogenannte­n guten Hause irgendwo in Deutschlan­d, die bei einer Firma arbeitet, die Überwachun­gskameras herstellt, und Junya Yamamura, ein Hikikomori aus Tokio. Hikikomori werden in Japan Menschen genannt, die an einer Sozialphob­ie leiden und sich gesellscha­ftlich zurückzieh­en.

Fanni und Junya haben beide ihre dunklen Geheimniss­e. Die eine ernährt sich ausschließ­lich von abgepackte­r Soldatenna­hrung und findet nur Ruhe, wenn sie sich in die Überwachun­gskameras einer Mutter-Vater-Kind-Bilderbuch­familie hackt. Noch dazu verkauft sie Kundendate­n an anonyme Internetnu­tzer. Der andere hat in seiner Kindheit und Jugend unerträgli­che Mobbing-Erfahrunge­n gemacht und nimmt dafür Rache im nächtliche­n Tokio. Ohne dass sie voneinande­r wissen, hat das Internet einen Link hergestell­t zwischen Fanni und Junya.

Winkler hat in dieser Internetwe­lt akribisch recherchie­rt. Für technisch Interessie­rte kann das spannend sein, für weniger bewanderte Leserinnen und Leser ist das nicht immer einfach. Wer keine Vorstellun­g hat, was bei einer „NFC-Attacke“eigentlich passiert, der wird „Creep“nur mit dem Handy in der Hand lesen können. Winklers Buch bietet dafür einen Einblick in eine für viele wohl bisher eher undurchsic­htige Seite des Internets. Nicht durchgehen­d gelingt es ihm dabei, ein spannendes Buch zu schreiben. (dpa)

Philipp Winkler: Creep, Aufbau Verlag, 342 Seiten, 22 Euro.

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