Lindauer Zeitung

Ein Bild voller Widersprüc­he

In „Ich sammle mein Leben zusammen“gibt Manfred Krug Einblick in Tagebücher aus zwei Jahren

- Von Sven Gösmann

Was für ein Leben. Größer als jede seiner Rollen: Manfred Krug war erst der Schauspiel­star in der DDR, nach seiner Übersiedel­ung in die Bundesrepu­blik 1977 auch dort ein Publikumsl­iebling. Dazu avancierte er als notenunkun­diger Autodidakt zum hörenswert­en Jazzsänger. Machte Karriere als Buchautor, war außerdem noch kahlköpfig­er Casanova, vierfacher Vater, umstritten­er Telekom-Aktien-Werbestar.

Als der herzkranke Krug 2016 schließlic­h an den Folgen einer Lungenentz­ündung in Berlin starb, blieb für eine Sekunde in Ost und West die Zeit stehen. Fast jeder Fernsehzus­chauer hatte einen Film mit Krug im Kopf. Ob „König Drosselbar­t“(1965) oder der in der DDR auf den Index gesetzte „Spur der Steine“(1966), seine späteren Serienroll­en in „Auf Achse“, „Liebling Kreuzberg“oder „Tatort“– den Brummbär mit der markanten Narbe auf der sehr hohen Stirn hatte jeder gern in sein Wohnzimmer gelassen.

Manfred Krug ist in Ost und West unvergesse­n. Pünktlich zum 85. Geburtstag am 8. Februar haben seine Nachkommen deswegen Tagebücher von ihm freigegebe­n. In „Manfred Krug: Ich sammle mein Leben zusammen“geht der Schauspiel­er weder mit sich noch mit anderen zimperlich um.

Es ist ein fasziniere­nder Einblick in das Leben des Stars. Dass intimste Dinge weggelasse­n wurden, dafür trug offenbar seine langjährig­e Beraterin Krista Maria Schädlich Sorge, die mit ihrem Mann, dem Schriftste­ller und Krug-Freund Hans Joachim Schädlich, ebenfalls 1977 aus der DDR in die Bundesrepu­blik übersiedel­te.

Dennoch lässt Manfred Krug uns teilhaben an zwei schwierige­n Jahren in seinem Leben. 1997 trifft ihn ein Schlaganfa­ll, mit dessen körperlich­en Folgen er nach eigener Beschreibu­ng kämpft. Der Baum von einem Mann – hilflos. Der wortgewalt­ige Zyniker – kurzzeitig sprachlos. Wir müssen uns die Rehaklinik als Hölle für ihn vorstellen. Doch Krug berappelt sich. Einsichtig­er wird er aber nur in Maßen: Die Zigarren etwas weniger und kürzer, das Essen mitunter weniger deftig, nur noch drei Glas Rotwein dazu – das muss wenigstens manchmal reichen.

Krug schont sich nicht, seine Umwelt aber auch nicht. Seine Frau Ottilie leidet wohl eher stumm. Oder er will es nicht wahrnehmen. Krug hat nach drei inzwischen großen Kindern aus der Ehe mit Ottilie mit einer Kollegin 1995 noch ein Mädchen gezeugt, das mit der Mutter häufig im Hinterhaus wohnt, sodass Krug beide sehen kann. Die beiden Familien gehen sich meist aus dem Weg. Marlene, so heißt das Kind, weckt in Krug noch einmal ganz zärtliche Vaterseite­n. Ottilie Krug kommt in „Ich sammle mein Leben zusammen“dagegen häufig nur vor, wenn sie für ihre Kochkünste gelobt wird.

Der alternde Krug ärgert sich über schlechter werdende „Tatort“Drehbücher, die ARD-Bürokratie oder seinen Erzfreund „Minchen“Armin Mueller-Stahl, der mit ihm in der DDR um die Krone des beliebtest­en Schauspiel­ers rang und nach der Übersiedel­ung in den Westen weiter in die USA zog und als OscarKandi­dat Karriere macht.

Schwarz auf weiß daneben sind Krugs Wertungen anderer Schauspiel­erinnen, die er gern auf ihr Äußeres reduziert. Da begegnet man einem mit dem Älterwerde­n hadernden Mann im Fernsehses­sel, den man nicht so gerne trifft.

Das Tagebuchsc­hreiben ist nachlesbar immer Trostspend­er und Klagemauer in einem. Krug selbst fasst es so zusammen: „Jeder ab 50 sollte ein Tagebuch schreiben, weil er dann mehr erlebt.“

Da sind dann wieder der Wortwitz, der Mut, sich auch selbst kritisch zu sehen und das zu notieren. Das macht „Ich sammle mein Leben zusammen“bei manchen Längen in der Beschreibu­ng von Alltagsein­erlei zu einem Dokument, das nach so vielen Jahren immer noch Respekt für Manfred Krug abnötigt. Dieses charmante Ekel, dieser begnadete Bollerkopf fehlt. (dpa)

Manfred Krug: Ich sammle mein Leben zusammen, Kanon Verlag, 220 Seiten, 22 Euro.

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FOTO: SEBASTIAN KAHNERT/DPA Am 8. Februar 2022 wäre Manfred Krug 85 Jahre alt geworden. Nun erscheinen Tagebücher der Jahre 1996 und 1997.
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