Lindauer Zeitung

Liebe, Lakritz und der perfekte Film

Paul Thomas Anderson erzählt in „Licorice Pizza“eine bittersüße Liebesgesc­hichte – Der 18-jährige Cooper Hoffman brilliert in seinem ersten Film

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AVon Rüdiger Suchsland

lana und Gary sind ein Liebespaar. Allerdings eines der ungewöhnli­chsten der Filmgeschi­chte und eines, dessen zwei Seiten nie gleichzeit­ig ineinander verliebt zu sein scheinen. Die zwei Hauptdarst­eller sind Newcomer: Alana Haim ist die Gitarristi­n und Sängerin vom Indie-Rock-Trio Haim, und Cooper Hoffman ist der Sohn von Regisseur und Schauspiel­er Philip Seymour Hoffman, der 2014 an einem Drogencock­tail starb. Er war der Lieblingsd­arsteller von Regisseur Paul Thomas Anderson.

Der Film „Licorice Pizza“ist die erste große Überraschu­ng des Kinojahres 2022. Auf seine alten Tage wird Paul Thomas Anderson noch milde und menschenfr­eundlich. Bislang kannte man diesen Regisseur („Magnolia“, „There will be Blood“, „The Master“) eher als Kontrollfr­eak, der sich gern als Regie-Genie inszeniert­e. Und der in den letzten 20 Jahren mit großem Gestus relativ hermetisch­e, strenge Filme machte, die sich darin gefielen, das Publikum zu spalten in gläubige Anhänger und in Agnostiker. Paul Thomas Anderson ist ein Regisseur, den man entweder vorbehaltl­os liebt oder hasst. Dazwischen geht nicht viel.

Und jetzt das: Eine Liebesgesc­hichte! Die natürlich auch ironisch gebrochen wird, aber immerhin. Und die auch ernst gemeint bleibt. Eine Coming-of-Age-Geschichte aus den frühen 1970er-Jahren, die mit Nostalgie und melancholi­schem Herzschmer­z ebenso spielt wie mit jugendlich­em Ulk-Humor, mit kindlich-kindischen Albernheit­en.

Anderson erzählt gerne von neurotisch­en oder verträumte­n Charaktere­n sowie der kaum verborgene­n

Angst dieser Figuren. Gary ist 15 und ein Kinderstar im Hollywood-Showbiz, Alana ist Assistenti­n eines Fotografen und zehn Jahre älter als Gary. Es entwickelt sich eine ungewöhnli­che Liebesgesc­hichte, die allerlei Schwierigk­eiten erlebt, von denen der erstaunlic­he Altersunte­rschied nicht die größte ist.

Gespielt werden die beiden von Alana Haim, Gitarristi­n und Sängerin vom Indie-Rock-Trio Haim, und von Newcomer Cooper Hoffman. In Nebenrolle­n erlebt man einen überrasche­nd selbstiron­ischen Sean Penn und Bradley Cooper als Barbra Streisand-Liebhaber.

Natürlich will dieser Film auch über private Gefühle und Unterhaltu­ng hinaus etwas Substanzie­lles erzählen: über das Jahr 1973, in dem der Vietnamkri­eg zu Ende ging und Richard Nixons Watergate-Skandal ans Licht kam – und in dem Wasserbett­en der allerneues­te Renner wurden. Anderson erzählt von einer

Phase zwischen dem Jahr 1968 und dem Regierungs­antritt von Ronald Reagan 1981, der Phase, in der Amerika einmal an sich selbst zu zweifeln begann und sich das Land tatsächlic­h liberalisi­erte – bevor der Neoliberal­ismus die Herrschaft über die Köpfe und die Dinge übernahm.

Anderson will einen Sinn für die Verluste schaffen, die mit dem einhergehe­n, was wir für Fortschrit­t halten. In dieser Hinsicht ist das neue Werk des 51-Jährigen auch unbedingt ein konservati­ver Film, so wie dieser Regisseur wohl ein konservati­ver Filmemache­r ist. Frühere Filme wie auch sein letzter, „Der seidene Faden“(2017), beweisen das.

Der Titel „Licorice Pizza“bedeutet übrigens „Lakritz-Pizza“. Keine Angst: Dieses Essen wird den ganzen Film über nicht serviert werden. Mehr noch: Es wird nicht einmal erwähnt. Der Regisseur, so hat er in Interviews erklärt. hat diesen Titel einfach deswegen gewählt, weil er die

Worte schön findet. Viel schöner als all die anderen Worte, die ihm eingefalle­n sind, um diesen Film zu betiteln. Und diese Entscheidu­ng gibt die Richtung vor: Es geht um pure Schönheit, es geht um den Sinn der Sinnlosigk­eit.

Davon abgesehen ist „LakritzPiz­za“natürlich auch eine Metapher und Verballhor­nung der klassische­n Vinyl-Schallplat­te, die in etwa so aussieht, wie eine Lakritz-Pizza wohl aussehen könnte, wenn es sie denn gäbe. Und es war tatsächlic­h auch der Name eines alten Plattenlab­els.

Inszeniert hat Anderson diese Ode an die Schönheit mit berückende­r Souveränit­ät und einer enormen Leichtigke­it. Die Kamera fließt im Rhythmus der Musik von Jonny Greenwood, die Montage ist so etwas wie die Taktgeberi­n des Ganzen, die Schauspiel­er sind großartig und perfekt gecastet und geführt.

Alles, was Paul Thomas Anderson immer schon gut konnte, aber vielleicht bisher nur ein einziges Mal – vor 22 Jahren in „Magnolia“– zeigte, das fließt in diesem Film zusammen.

Er ist fehlerfrei, gewisserma­ßen so fehlerfrei, dass man als Zuschauer fast schon wieder beginnt, Verdacht zu schöpfen: Vielleicht ist das Einzige, was man gegen diesen leichten, heiteren, lustigen, enorm humanistis­chen Film einwenden kann, genau das: Dass er und sein Regisseur genau wissen, wie gut sie sind. Und dass sich der Film in seinen Stärken sehr gut, allzu gut gefällt.

Licorice Pizza. Regie und Buch: Paul Thomas Anderson. Mit Alana Haim, Cooper Hoffman, Sean Penn, Tom Waits, Bradley Cooper. USA 2021, 133 Minuten, FSK ab 12.

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FOTO: PAUL THOMAS ANDERSON/DPA Zwischen Alana (Alana Haim) und dem zehn Jahre jüngeren Gary (Cooper Hoffman) entwickelt sich eine verrückte Liebesgesc­hichte.

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