Polizeichef wäre auch gern Pfarrer gewesen
Was Michael Jeschke bei der Leitung der Polizeiinspektion Lindau wichtig ist
- Die Wand, an der der Besprechungstisch steht, ist noch kahl. Michael Jeschke weiß genau, welches Bild er dort aufhängen will. Aber der neue Chef der Lindauer Polizeiinspektion (PI) ist noch nicht dazu gekommen, einen Nagel in die Wand zu schlagen. Denn sein Start war anstrengend.
Omikron forderte ihn gleich an seinem ersten Tag in Lindau heraus: Es galt die Kontakte auf der Dienststelle zu reduzieren und die Maskenpflicht im Büro einzuführen, um auch im Ernstfall einsatzfähig zu bleiben. „Bevor ich die Mitarbeiter gesehen habe, musste ich gleich in die Arbeitsabläufe eingreifen“, sagt Jeschke. Wenige Tage später war er noch ganz anders gefordert: Erst wurde die Polizei zu einem Bahnunglück in Nonnenhorn und kurz darauf in die Lindauer Obdachlosenunterkunft gerufen. Dort hatte ein Mann mit dem Messer auf eine Frau eingestochen und diese lebensgefährlich verletzt. „Da wird man reingeworfen“, sagt der 51-Jährige zu seinem Arbeitsstart. „Aber es ist nichts, was man nicht gelernt hätte.“
Michael Jeschke wollte nicht Polizist werden, um möglichst viel Action zu erleben. Er wollte für andere da sein, vor allem für Schwächere, sagt er. Weil der gebürtige Mittelfranke schon immer einen „ausgeprägten Gerechtigkeitssinn“hatte, liebäugelte er eine Zeit lang mit einem ganz anderen Beruf: Er hätte sich auch vorstellen können, Pfarrer zu werden, räumt er ein. Doch da er als Realschüler die schulischen Voraussetzungen nicht erfüllte, dachte er sich: „Dann setzte ich mich eben beim Staat für andere ein.“
Eine Bewerbung musste reichen. 15 Jahre war er alt, als er sie abschickte, mit 16 folgte die Einstellungsprüfung. Da er sich sicher war, dass die gut gelaufen ist, setzte der Jugendliche alles auf eine Karte. Es gab neben der Polizei keinen Plan B, „sehr zum Leidwesen meiner Mutter“. Doch die durfte aufatmen: 1987 begann Jeschke die Ausbildung bei der Polizei. Es folgte eine Laufbahn mit vielen Arbeitsstätten und wechselnden Herausforderungen.
Erstmals so richtig zur Sache ging es bei der Bereitschaftspolizei Nürnberg. Dort stand er als junger Mann bei Demos gegen den Golfkrieg in erster Reihe, aber auch bei Fußballspielen des 1. FC Nürnberg. Nie vergessen wird er einen Einsatz in Wunsiedel zum Todestag des Nationalsozialisten Rudolf Heß, als die Gewalt plötzlich eskalierte. Dass die Situation kippen würde, hatte er nicht erwartet. „Es ist einfach passiert.“Den praktischen Polizeidienst lernte Michael
Jeschke ab 1991 in der PI in Lindenberg kennen. „Da habe ich viel mitgenommen, das prägt mich immer noch.“Danach folgten Stationen bei der Wasserschutzpolizei und der Polizeiinspektion Lindau. Doch Jeschke wollte mehr: Nach zwei Jahren Studium in Fürstenfeldbruck und dem erfolgreichem Aufstieg in den gehobenen Dienst arbeitete er in verschiedenen Führungsfunktionen und Stabsbereichen des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West. Er war dort unter anderem für die „Sicherheit im öffentlichen Raum“zuständig, bereitete die Einsätze vor, als Bundespräsident Horst Köhler Memmingen besuchte oder Bundeskanzlerin Angela Merkel Lindau.
Wichtig war für Jeschke auch die Zeit als Stellvertreter der PI in Lindenberg und stellvertretender Leiter des Präsidialbüros. „Es ist eine gute Übung, die Vertretung zu sein.“Doch Jeschke ist ein Mann, der gern Verantwortung übernimmt. Als die Chance in Lindau kam, musste er nicht lange überlegen. „Das war natürlich ein Traum“, sagt Jeschke. Aber dieser Traum hatte auch einen „Wermutstropfen“: Denn wenn Sabine Göttler nicht vorzeitig in den Ruhestand gegangen wäre, „hätte ich die PI Lindau nie leiten können“. Menschlichkeit ist dem ersten Polizeihauptkommissar
Polizeichef Michael Jeschke
wichtig, das betont er immer wieder. Polizisten müssten den Menschen sehen – ganz egal, ob sie nun einen Professor oder einen Obdachlosen vor sich haben. Und sie sollen mit den Leuten reden. „Das bringt viel“, ist seine Erfahrung. Sollte das nicht ausreichen, gelte es „verhältnismäßig“zu handeln. Jeschke ist froh, dass er noch keine Situation erleben musste, die er nicht unter Kontrolle hatte. In 34 Dienstjahren musste er noch nie die Schusswaffe ziehen.
Im Moment lernt er noch die Namen seiner neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Mit den meisten hat er schon persönlich gesprochen. Sein Ziel ist es, als Chef dafür zu sorgen, dass sie sich mit der PI identifizieren und gern zur Arbeit kommen. Er will „nicht alles verordnen“, sondern die Menschen mitnehmen – soweit das eben möglich sei. Jeschke legt Wert auf Sachlichkeit. Wutausbrüche gebe es bei ihm nicht. „Mir wird nachgesagt, dass ich in mir selbst ruhe“, sagt er.
Erweiterter Suizid, tödliche Verkehrsunfälle: Manches, was Michael Jeschke im Dienst erlebt hat, kann er nicht vergessen. „Aber ich habe keine Gesichter dazu“, sagt er. Wichtig ist ihm, nichts von den Tragödien mit nach Hause – er hat mit seiner Frau drei erwachsene Kinder – zu nehmen. Da hilft ihm ein Ritual: Wenn er in Niederwangen angekommen ist, wo er seit 1992 lebt, zieht er sich um, macht sich Musik auf die Ohren und geht stramm spazieren. „Der Hund ist mein Ausgleich“, sagt Jeschke. So richtig abschalten könne er dann im Urlaub. Wenn er am Gardasee ist, „dann ist alles ganz weit weg“. Dort liest er dann viel, gerne auch Krimis.
„Krimis mit Augenzwinkern“schaut er auch im Fernsehen. Als Kind war „Polizeiinspektion 1“Pflicht. „Da wollte ich so ein Polizist wie Helmut Heinl sein“, sagt der 51Jährige und schmunzelt. Heute schaut er „Hubert und Staller“, „Wilsberg“, aber auch die „Die Toten vom Bodensee“. Das ist für ihn reine Unterhaltung: „Ich stelle da nicht eine einzige Parallele zum Dienst her.“
Der erste Eindruck ist positiv. „Das ist eine Dienststelle, die grundsätzlich läuft“, sagt Jeschke über die PI Lindau. Allerdings fallen ihm schon Sachen auf, die sich „in homöopathischen Dosen“verändern lassen. Beim Gruppenleitertreffen im Februar soll das besprochen werden. Bis dahin hängt dann vielleicht auch das Bild in seinem Zimmer: eine Aufnahme vom Gardasee, seinem „Sehnsuchtsort“. Zum Durchschnaufen in stressigen Momenten.