Resignation statt Kontrolle
Der wichtigste Beitrag in der Bundestagsdebatte über die Corona-Impfpflicht gelang dem CDU-Gesundheitsexperten Erwin Rüddel. Seine Rede war nicht so pointiert wie jene von Wolfgang Kubicki oder Gregor Gysi. Rüddel trat auch nicht so engagiert auf wie Karl Lauterbach. Nein, er demonstrierte vor allem die eigene Unsicherheit, was die Impfpflicht angeht. Zunächst sei er dagegen gewesen. Dann habe er angesichts der Delta-Welle seine Meinung geändert. Jetzt habe sich das Virus mit Omikron wieder verändert – und er sei sich nicht sicher, ob das nun auch wieder seine Meinung ändere und man einfach nichts tun müsse. Das klang gleichzeitig resignativ und erfrischend ehrlich.
Am Tag nach der Debatte notierte die Inzidenz erstmals bei mehr als 1000, die Fallzahlen lagen bei mehr als 200 000. Trotzdem gibt es keine hektischen Sitzungen, das Leben geht mit Einschränkungen weiter. Früher kannte kaum jemand einen, der ernsthaft an Corona erkrankt war, die Seuche wurde trotzdem superernst genommen. Heute kennt fast jeder einen Corona-Patienten und fürchtet sich nicht mehr. Nach zwei Jahren Sorge hat sich das Gefühl gewandelt. Weil es keine Gewissheiten in der Pandemie gibt, hat eine müde Resignation die Angst verdrängt. Man muss was gegen Corona tun. Nur was, das weiß kein Mensch.
Am Anfang des dritten CoronaJahres machen sich Regierung und Bevölkerung in ihrer Machtlosigkeit ehrlich. Die Ministerpräsidenten und der Kanzler verständigen sich auf ein unentschlossenes Abwarten. Derweil strecken die Gesundheitsämter die Waffen. Dem Land gehen die PCR-Tests aus. Der Staat hat den Plan aufgegeben, die Corona-Situation kontrollieren zu wollen. Umso leidenschaftlicher wird über die Impfpflicht gestritten. Eine Maßnahme, von der keiner weiß, ob sie in neun Monaten dringend notwendig oder völlig überflüssig sein wird. Die Hilflosigkeit wird nach den Regeln der politischen Debatte zelebriert: Kontrollverlust als Sternstunde des Parlaments. Die Zuschauer nehmen es müde hin und hoffen aufs Frühjahr, wenn die Zahlen wieder sinken.