„Ein Wald ist wie ein Aktienfonds, in den man heute investiert, die Erträge aber erst in 20 oder 30 Jahren sieht.“
- Dichte Wälder säumen das oberschwäbische Hügelland. Auf den Erhebungen thronen Burgen und Schlösser. Hinter den geschichtsträchtigen Gebäuden schieben sich die massiven Alpen mit schneebedeckten Gipfeln ins Panorama. Kühe weiden auf den saftig-grünen Wiesen entlang der einsamen Landstraßen, von denen die Abzweigungen zu verwunschenen Mooren führen. Oberschwaben ist eine Märchenlandschaft. Die Region der Landkreise Ravensburg, Biberach und Sigmaringen hat mit dieser Kulisse beste Voraussetzungen, mit einem Namen geadelt zu werden, den bisher nur 24 Landschaften in Deutschland bekommen haben: Biosphärengebiet. Doch genau dieser Titel entzweit die Region. Wo Gastronomen, Touristiker und manche Kommune Chancen sehen, ruft dies bei Landwirten und manchen Landeigentümern Existenzängste hervor. Sie haben sich zu einer Allianz um ein solches Biosphärengebiet zu verhindern. Droht jetzt ein Projekt zu scheitern, das bei einem Vorstoß im Allgäu 2010 schon einmal gescheitert ist?
Ferdinand Graf zu WaldburgWolfegg aus Kißlegg ist einer, der sich der Allianz aus Landwirten, Forstbetrieben, der Forstkammer Baden-Württemberg und dem Landesverband der Jagdgenossenschaften angeschlossen hat. Er bewirtschaftet rund 200 Hektar Wald rund um Kißlegg. „Mein Vater sagte schon immer: Ich habe mehr Ziegel auf dem Dach als Bäume im Wald. Ich lebe vom Wald und unterhalte mit dem Ertrag sechs denkmalgeschützte Gebäude“, sagt Graf Ferdinand, der den väterlichen Betrieb vor drei Jahren übernommen hat. Seine Einkünfte beziehe er zu 70 bis 80 Prozent aus dem Wald. Coronabedingt läuft das Geschäft mit dem 2018 eröffneten Tagungshaus im Alten Schloss Kißlegg schlecht. Was bleibt, ist der Wald. Und genau den sieht er mit dem Biosphärengebiet als Haupteinnahmequelle in Gefahr.
Grüne und CDU im Land haben sich im Koalitionsvertrag im Mai 2021 zum Ziel gesetzt, ein Biosphärengebiet in Oberschwaben zu initiieren. Zwei Personalstellen schafft das Land Baden-Württemberg, die beim Landkreis Ravensburg noch im ersten Quartal 2022 angesiedelt werden und den Prozess begleiten sollen.
Als Alleinstellungsmerkmal des Biosphärengebiets sind die oberschwäbischen Moore und Seen angedacht. „Intakte Moore sind beeindruckende Landschaften und einzigartige Lebensräume hochspezialisierter Tier- und Pflanzenarten. Darüber hinaus sind Moore Langzeitspeicher für Kohlenstoff und leisten damit einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz“, so das grün-geführte Umweltministerium in Stuttgart.
Ein Biosphärengebiet, auch Biosphärenreservat oder -region genannt, ist eine vom Bundesnaturschutzgesetz vorgesehene Modellregion und soll charakteristische Natur- und Kulturlandschaften schützen. Ziel ist eine nachhaltige Entwicklung von Natur, Landwirtschaft, Wirtschaft und Siedlungen. Das Gebiet kann von der Unesco zertifiziert werden, muss es aber nicht. 16 Gebiete in ganz Deutschland sind dies – darunter die Schwäbische Alb und der Schwarzwald.
Es besteht aus drei Zonen: In der Kernzone, die drei Prozent der Fläche umfassen muss, darf der Mensch quasi nicht eingreifen und muss die Natur sich selbst überlassen, die Pflegezone darf eingeschränkt genutzt werden und dient als Puffer zur Entwicklungszone, die Lebens- und Wirtschaftsraum des Menschen ist.
„Ich gehe vom schlimmsten Fall aus und sehe große Teile meines Waldes in der Pflegezone, weil es allein in Kißlegg vier Moore gibt, die in die Kernzone fallen könnten“, befürchtet der Graf. In der Pflegezone sieht er Einschränkungen beim Wirtschaften auf sich zukommen. Womöglich werde der Einsatz von Pestiziden bei Käferholz verboten, womöglich kann er keine fremdländischen Baumarten mehr anpflanzen, mit denen er gerade experimentiert, weil er wegen der voranschreitenden Erderwärmung auf klimaresistente Sorten setzen will. Heute probiert er aus, doch welche Sorten sich durchsetzen werden, weiß er noch nicht. „Ein Wald ist wie ein Aktienfonds, in den man heute investiert, die Erträge aber erst in 20 oder 30 Jahren sieht“, vergleicht Graf Ferdinand. Er denkt dabei an seine drei Kinder, die in Zukunft wie er heute vom Wald leben und das Anwesen des Alten Schlosses unterhalten können sollen. Vor allem eines stört ihn: „Ich befinde mich im völligen Blindflug und weiß nicht, was kommt. Und ich bin zu klein dafür, dass man mit mir redet.“
Tatsächlich ist noch vieles im Vagen. Viel mehr als das Ziel, einen Prozess zu initiieren, gibt es noch nicht. Doch wer mit den Vertretern der Allianz spricht, der merkt schnell: Viele vermissen Informationen, ärgern sich darüber, dass vonseiten des Landes erst mit ihnen gesprochen wurde, als sie sich zu Wort gemeldet haben. So berichten sie es.
Das ärgert auch den CDU-Landtagsabgeordneten Raimund Haser aus dem Allgäu, der den Koalitionsvertrag in der CDU-Verhandlungsgruppe Umwelt mit ausgearbeitet hat, sich aber jetzt mit einem offenen Brief zu Wort gemeldet hat und Partei für die Landeigentümer ergreift. Es herrsche ein Gefühl vor, dass das Biosphärengebiet ein Automatismus ist und nicht ein mögliches Resultat eines ergebnisoffenen Prozesses.
„Nie waren wir weiter von einem Biosphärengebiet entfernt als zum Ende dieses Jahres“, schreibt Haser im Dezember 2021. Er macht aber auch klar, dass er trotz allem zu den im Koalitionsvertrag formulierten Zielen steht und das Biosphärengebiet als Chance sieht. „Für mich war aber von Anfang ein Zusatz gesetzt: Sofern es die Region will“, sagt Haser heute. Das heißt: Der Prozess kann gelingen oder scheitern. Jetzt sieht er eine breite Front gegen das Biosphärengebiet in der Region.
Auch das Fürstliche Haus Waldburg-Wolfegg lehnt das Gebiet kategorisch ab. Jens Borchers leitet die Forstverwaltung für das Haus, das etwa 5000 Hektar in den Landkreisen Ravensburg und Biberach bewirtschaftet. Etwa 25 Prozent der Gebiete lägen in Bereichen von Mooren oder rund um Moore, die mit der Ausweisung eines Biosphärengebietes nicht mehr oder nur teilweise bewirtschaftet werden könnten, so Borchers. Er befürchtet, dass man sich mit einer neuen Schutzkategorie neue Probleme einhandle, ähnlich wie es bei den Flora-Fauna-Habitat-Gebieten (FFH) geschehen ist, die bei der Natura-2000-Initiative nach Einwilligung der Landeigentümer auf deren Grund ausgewiesen wurden. Borchers sagt: „Ich verlasse mich auf nichts mehr. Vor 22 Jahren wurde uns vom Ministerium schriftlich versprochen, dass sich nichts ändert, und dann kamen neue Verbote, denen wir nicht widersprechen konnten.“
Der Abgeordnete Haser bezeichnet das, was Borchers beschreibt, als FFH-Schock, den auch zahlreiche Landwirte in der Region erlitten. Schon in der Vergangenheit hätten viele Bauern wegen des steigenden Bürokratieaufwands und neuer Verbote der Landwirtschaft den Rücken gekehrt. „Ich habe hier immer mehr, die aufhören. Die Adelegg war einmal mit Wiesen bewirtschaftet, heute ist dort nur noch Wald, weil viele aufgegeben haben. Wir können es uns nicht leisten, dass das noch mehr tun“, beschreibt Haser.
Genau diese Gefahr sieht Franz Schönberger, der Vorsitzende des Bauernverbandes Allgäu-Oberschwaben mit seinen rund 3000 Mitgliedern. Er kritisiert, dass diese Diskussion „auf dem Rücken der Bauern“ausgetragen werde, die letztlich die Arbeit stemmen müssten, aber gleichzeitig ihre Erträge schwinden sehen. Schönberger:
„Ein Landwirt kann nur sinnvoll Naturschutz betreiben, wenn er wirtschaftlich erfolgreich ist.“Und wer heute wegen Auflagen wie etwa die der Düngeverordnung große Summen investieren muss, überlege sich genau, ob er dies tut, wenn er nicht sicher ist, dass er in Zukunft so weiter wirtschaften kann wie bisher.
Im Falle einer Ausweisung eines Biosphärengebiets ist er aber überzeugt: „Mehr Auflagen werden kommen, weil Kern- und Pflegezone weiterentwickelt werden sollen.“Er und die anderen Landeigentümer glauben, mit dem Biosphärengebiet ein Konzept einfach übergestülpt zu bekommen. „Es heißt immer:
Schaut auf die Schwäbische Alb, wie gut das funktioniert und die Region voranbringt. Doch das ist nicht vergleichbar“, sagt er. Er verweist auf die Programme und Konzepte, die in der Region schon erfolgreich mit Leben gefüllt sind.
Bei genauerer Betrachtung hinkt der Vergleich der beiden Regionen wirklich. Die Schwäbische Alb ist im Verhältnis zu Oberschwaben strukturschwach. Laut Bauernverband sind dort mehr als 80 Prozent der Bauern Nebenerwerbslandwirte. Im Allgäu und in Oberschwaben sind 50 Prozent Haupterwerbslandwirte, die Lebens- und Futtermittel erzeugen. Im Fall der Schwäbischen Alb konnte ein ehemaliger Truppenübungsplatz der Bundeswehr relativ einfach als Kernzone ausgewiesen werden, in Oberschwaben würden sehr wahrscheinlich mehrere Gebiete in der Region verteilt die Kernzone bilden, das könnten zum Beispiel das Wurzacher Ried, der Federsee bei Bad Buchau und das Pfrunger-Burgweiler Ried bei Wilhelmsdorf sein.
Das Umweltministerium in Stuttgart betont immer wieder die Freiwilligkeit, den Prozess von unten, der mehrere Jahre dauern kann und von vielen Gesprächen mit allen Akteuren begleitet wird. Die Region müsse das Vorhaben aktiv befürworten. „Erst am Ende dieses Prozesses kann dann gegebenenfalls ein Antrag auf Anerkennung als Biosphärengebiet bei der Unesco gestellt werden. Dies wird erst dann erfolgen, wenn die Region den Willen dazu eindeutig formuliert und kommuniziert hat“, schreibt Ministeriumssprecherin Bettina Jehne auf Nachfrage der „Schwäbischen Zeitung“. Allein für die Initiierungsphase seien etwa zwei
Jahre veranschlagt.
Neben den naturschutzrechtlichen Aspekten sieht das Ministerium weitere Vorteile, die ein Biosphärengebiet mit sich brächten:
Mit einer angesehenen UnescoAuszeichnung würde die Region bekannter, was den Tourismus ankurbeln würde, Kooperationen und Zusammenschlüsse von Gastronomen, Landwirten und Handwerk könnten langfristig Arbeitsplätze und weitere oder sogar neue Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen. Zudem habe eine Modellregion bessere Chancen bei Bewerbungen um nationale und internationale Fördertöpfe.
Das Argument, die Region könne besser im Tourismus beworben werden, lässt Bauernchef Schönberger nicht gelten. Es gebe eine gut ausgebaute Tourismusstruktur, die oberschwäbische Barockstraße und anderes mehr. „Ich betreibe selber einen Ferienhof und habe jedes Jahr Zuwachs und habe zu wenig Betten“, sagt Schönberger. Aber er fügt auch noch den einen Satz hinzu: „Wenn uns das Ministerium überzeugt, warum es sinnvoll ist, lassen wir uns auch belehren.“
Schon 2010 wollte man im Allgäu ein Biosphärengebiet initiieren, was vor allem am Widerstand aus der Landwirtschaft gescheitert ist. Rudi Holzberger, Wissenschaftsjournalist
Ferdinand Graf zu Waldburg-Wolfegg,
Waldbesitzer aus Kißlegg
und ausgewiesener Waldexperte, erinnert sich an damals: Im bayerischen Buchenberg seien zur Gemeinderatssitzung 150 Bauern gekommen, die den Gemeinderat zur Ablehnung des Biosphärengebiets gebracht haben. Letztlich sind die anderen Kommunen gefolgt.
Eine vertane Chance, findet Holzberger, weil er große Vorteile für die Region und die Perspektive auf einen „historischen Kompromiss zwischen Landwirtschaft und Naturschutz“sieht. Aber auch er sagt: „Die Sorgen der Bauern sind nicht unbegründet, die kann und muss man ausräumen, wenn man es gescheit machen will.“Allein durch die FFH-Gebiete könne der Bau eines neuen Stalls zur teuren Herausforderung oder gar zu einem Ding der Unmöglichkeit werden. Er schlägt für den Prozess ein breites Forum vor. „Jede Interessengruppe muss jemanden delegieren. Auch muss man mit den Betroffenen reden, die Sorgen ernst nehmen. Erst wenn mein alter Freund Franz Schönberger mit von der Partie ist, kann das gelingen“, ist Holzberger überzeugt.
Der Weg dahin scheint jedoch vorerst noch sehr lang zu sein.