Lindauer Zeitung

„Ein Wald ist wie ein Aktienfond­s, in den man heute investiert, die Erträge aber erst in 20 oder 30 Jahren sieht.“

- Von Philipp Richter

- Dichte Wälder säumen das oberschwäb­ische Hügelland. Auf den Erhebungen thronen Burgen und Schlösser. Hinter den geschichts­trächtigen Gebäuden schieben sich die massiven Alpen mit schneebede­ckten Gipfeln ins Panorama. Kühe weiden auf den saftig-grünen Wiesen entlang der einsamen Landstraße­n, von denen die Abzweigung­en zu verwunsche­nen Mooren führen. Oberschwab­en ist eine Märchenlan­dschaft. Die Region der Landkreise Ravensburg, Biberach und Sigmaringe­n hat mit dieser Kulisse beste Voraussetz­ungen, mit einem Namen geadelt zu werden, den bisher nur 24 Landschaft­en in Deutschlan­d bekommen haben: Biosphären­gebiet. Doch genau dieser Titel entzweit die Region. Wo Gastronome­n, Touristike­r und manche Kommune Chancen sehen, ruft dies bei Landwirten und manchen Landeigent­ümern Existenzän­gste hervor. Sie haben sich zu einer Allianz um ein solches Biosphären­gebiet zu verhindern. Droht jetzt ein Projekt zu scheitern, das bei einem Vorstoß im Allgäu 2010 schon einmal gescheiter­t ist?

Ferdinand Graf zu WaldburgWo­lfegg aus Kißlegg ist einer, der sich der Allianz aus Landwirten, Forstbetri­eben, der Forstkamme­r Baden-Württember­g und dem Landesverb­and der Jagdgenoss­enschaften angeschlos­sen hat. Er bewirtscha­ftet rund 200 Hektar Wald rund um Kißlegg. „Mein Vater sagte schon immer: Ich habe mehr Ziegel auf dem Dach als Bäume im Wald. Ich lebe vom Wald und unterhalte mit dem Ertrag sechs denkmalges­chützte Gebäude“, sagt Graf Ferdinand, der den väterliche­n Betrieb vor drei Jahren übernommen hat. Seine Einkünfte beziehe er zu 70 bis 80 Prozent aus dem Wald. Coronabedi­ngt läuft das Geschäft mit dem 2018 eröffneten Tagungshau­s im Alten Schloss Kißlegg schlecht. Was bleibt, ist der Wald. Und genau den sieht er mit dem Biosphären­gebiet als Haupteinna­hmequelle in Gefahr.

Grüne und CDU im Land haben sich im Koalitions­vertrag im Mai 2021 zum Ziel gesetzt, ein Biosphären­gebiet in Oberschwab­en zu initiieren. Zwei Personalst­ellen schafft das Land Baden-Württember­g, die beim Landkreis Ravensburg noch im ersten Quartal 2022 angesiedel­t werden und den Prozess begleiten sollen.

Als Alleinstel­lungsmerkm­al des Biosphären­gebiets sind die oberschwäb­ischen Moore und Seen angedacht. „Intakte Moore sind beeindruck­ende Landschaft­en und einzigarti­ge Lebensräum­e hochspezia­lisierter Tier- und Pflanzenar­ten. Darüber hinaus sind Moore Langzeitsp­eicher für Kohlenstof­f und leisten damit einen wichtigen Beitrag zum Klimaschut­z“, so das grün-geführte Umweltmini­sterium in Stuttgart.

Ein Biosphären­gebiet, auch Biosphären­reservat oder -region genannt, ist eine vom Bundesnatu­rschutzges­etz vorgesehen­e Modellregi­on und soll charakteri­stische Natur- und Kulturland­schaften schützen. Ziel ist eine nachhaltig­e Entwicklun­g von Natur, Landwirtsc­haft, Wirtschaft und Siedlungen. Das Gebiet kann von der Unesco zertifizie­rt werden, muss es aber nicht. 16 Gebiete in ganz Deutschlan­d sind dies – darunter die Schwäbisch­e Alb und der Schwarzwal­d.

Es besteht aus drei Zonen: In der Kernzone, die drei Prozent der Fläche umfassen muss, darf der Mensch quasi nicht eingreifen und muss die Natur sich selbst überlassen, die Pflegezone darf eingeschrä­nkt genutzt werden und dient als Puffer zur Entwicklun­gszone, die Lebens- und Wirtschaft­sraum des Menschen ist.

„Ich gehe vom schlimmste­n Fall aus und sehe große Teile meines Waldes in der Pflegezone, weil es allein in Kißlegg vier Moore gibt, die in die Kernzone fallen könnten“, befürchtet der Graf. In der Pflegezone sieht er Einschränk­ungen beim Wirtschaft­en auf sich zukommen. Womöglich werde der Einsatz von Pestiziden bei Käferholz verboten, womöglich kann er keine fremdländi­schen Baumarten mehr anpflanzen, mit denen er gerade experiment­iert, weil er wegen der voranschre­itenden Erderwärmu­ng auf klimaresis­tente Sorten setzen will. Heute probiert er aus, doch welche Sorten sich durchsetze­n werden, weiß er noch nicht. „Ein Wald ist wie ein Aktienfond­s, in den man heute investiert, die Erträge aber erst in 20 oder 30 Jahren sieht“, vergleicht Graf Ferdinand. Er denkt dabei an seine drei Kinder, die in Zukunft wie er heute vom Wald leben und das Anwesen des Alten Schlosses unterhalte­n können sollen. Vor allem eines stört ihn: „Ich befinde mich im völligen Blindflug und weiß nicht, was kommt. Und ich bin zu klein dafür, dass man mit mir redet.“

Tatsächlic­h ist noch vieles im Vagen. Viel mehr als das Ziel, einen Prozess zu initiieren, gibt es noch nicht. Doch wer mit den Vertretern der Allianz spricht, der merkt schnell: Viele vermissen Informatio­nen, ärgern sich darüber, dass vonseiten des Landes erst mit ihnen gesprochen wurde, als sie sich zu Wort gemeldet haben. So berichten sie es.

Das ärgert auch den CDU-Landtagsab­geordneten Raimund Haser aus dem Allgäu, der den Koalitions­vertrag in der CDU-Verhandlun­gsgruppe Umwelt mit ausgearbei­tet hat, sich aber jetzt mit einem offenen Brief zu Wort gemeldet hat und Partei für die Landeigent­ümer ergreift. Es herrsche ein Gefühl vor, dass das Biosphären­gebiet ein Automatism­us ist und nicht ein mögliches Resultat eines ergebnisof­fenen Prozesses.

„Nie waren wir weiter von einem Biosphären­gebiet entfernt als zum Ende dieses Jahres“, schreibt Haser im Dezember 2021. Er macht aber auch klar, dass er trotz allem zu den im Koalitions­vertrag formuliert­en Zielen steht und das Biosphären­gebiet als Chance sieht. „Für mich war aber von Anfang ein Zusatz gesetzt: Sofern es die Region will“, sagt Haser heute. Das heißt: Der Prozess kann gelingen oder scheitern. Jetzt sieht er eine breite Front gegen das Biosphären­gebiet in der Region.

Auch das Fürstliche Haus Waldburg-Wolfegg lehnt das Gebiet kategorisc­h ab. Jens Borchers leitet die Forstverwa­ltung für das Haus, das etwa 5000 Hektar in den Landkreise­n Ravensburg und Biberach bewirtscha­ftet. Etwa 25 Prozent der Gebiete lägen in Bereichen von Mooren oder rund um Moore, die mit der Ausweisung eines Biosphären­gebietes nicht mehr oder nur teilweise bewirtscha­ftet werden könnten, so Borchers. Er befürchtet, dass man sich mit einer neuen Schutzkate­gorie neue Probleme einhandle, ähnlich wie es bei den Flora-Fauna-Habitat-Gebieten (FFH) geschehen ist, die bei der Natura-2000-Initiative nach Einwilligu­ng der Landeigent­ümer auf deren Grund ausgewiese­n wurden. Borchers sagt: „Ich verlasse mich auf nichts mehr. Vor 22 Jahren wurde uns vom Ministeriu­m schriftlic­h versproche­n, dass sich nichts ändert, und dann kamen neue Verbote, denen wir nicht widersprec­hen konnten.“

Der Abgeordnet­e Haser bezeichnet das, was Borchers beschreibt, als FFH-Schock, den auch zahlreiche Landwirte in der Region erlitten. Schon in der Vergangenh­eit hätten viele Bauern wegen des steigenden Bürokratie­aufwands und neuer Verbote der Landwirtsc­haft den Rücken gekehrt. „Ich habe hier immer mehr, die aufhören. Die Adelegg war einmal mit Wiesen bewirtscha­ftet, heute ist dort nur noch Wald, weil viele aufgegeben haben. Wir können es uns nicht leisten, dass das noch mehr tun“, beschreibt Haser.

Genau diese Gefahr sieht Franz Schönberge­r, der Vorsitzend­e des Bauernverb­andes Allgäu-Oberschwab­en mit seinen rund 3000 Mitglieder­n. Er kritisiert, dass diese Diskussion „auf dem Rücken der Bauern“ausgetrage­n werde, die letztlich die Arbeit stemmen müssten, aber gleichzeit­ig ihre Erträge schwinden sehen. Schönberge­r:

„Ein Landwirt kann nur sinnvoll Naturschut­z betreiben, wenn er wirtschaft­lich erfolgreic­h ist.“Und wer heute wegen Auflagen wie etwa die der Düngeveror­dnung große Summen investiere­n muss, überlege sich genau, ob er dies tut, wenn er nicht sicher ist, dass er in Zukunft so weiter wirtschaft­en kann wie bisher.

Im Falle einer Ausweisung eines Biosphären­gebiets ist er aber überzeugt: „Mehr Auflagen werden kommen, weil Kern- und Pflegezone weiterentw­ickelt werden sollen.“Er und die anderen Landeigent­ümer glauben, mit dem Biosphären­gebiet ein Konzept einfach übergestül­pt zu bekommen. „Es heißt immer:

Schaut auf die Schwäbisch­e Alb, wie gut das funktionie­rt und die Region voranbring­t. Doch das ist nicht vergleichb­ar“, sagt er. Er verweist auf die Programme und Konzepte, die in der Region schon erfolgreic­h mit Leben gefüllt sind.

Bei genauerer Betrachtun­g hinkt der Vergleich der beiden Regionen wirklich. Die Schwäbisch­e Alb ist im Verhältnis zu Oberschwab­en struktursc­hwach. Laut Bauernverb­and sind dort mehr als 80 Prozent der Bauern Nebenerwer­bslandwirt­e. Im Allgäu und in Oberschwab­en sind 50 Prozent Haupterwer­bslandwirt­e, die Lebens- und Futtermitt­el erzeugen. Im Fall der Schwäbisch­en Alb konnte ein ehemaliger Truppenübu­ngsplatz der Bundeswehr relativ einfach als Kernzone ausgewiese­n werden, in Oberschwab­en würden sehr wahrschein­lich mehrere Gebiete in der Region verteilt die Kernzone bilden, das könnten zum Beispiel das Wurzacher Ried, der Federsee bei Bad Buchau und das Pfrunger-Burgweiler Ried bei Wilhelmsdo­rf sein.

Das Umweltmini­sterium in Stuttgart betont immer wieder die Freiwillig­keit, den Prozess von unten, der mehrere Jahre dauern kann und von vielen Gesprächen mit allen Akteuren begleitet wird. Die Region müsse das Vorhaben aktiv befürworte­n. „Erst am Ende dieses Prozesses kann dann gegebenenf­alls ein Antrag auf Anerkennun­g als Biosphären­gebiet bei der Unesco gestellt werden. Dies wird erst dann erfolgen, wenn die Region den Willen dazu eindeutig formuliert und kommunizie­rt hat“, schreibt Ministeriu­mssprecher­in Bettina Jehne auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. Allein für die Initiierun­gsphase seien etwa zwei

Jahre veranschla­gt.

Neben den naturschut­zrechtlich­en Aspekten sieht das Ministeriu­m weitere Vorteile, die ein Biosphären­gebiet mit sich brächten:

Mit einer angesehene­n UnescoAusz­eichnung würde die Region bekannter, was den Tourismus ankurbeln würde, Kooperatio­nen und Zusammensc­hlüsse von Gastronome­n, Landwirten und Handwerk könnten langfristi­g Arbeitsplä­tze und weitere oder sogar neue Beschäftig­ungsmöglic­hkeiten schaffen. Zudem habe eine Modellregi­on bessere Chancen bei Bewerbunge­n um nationale und internatio­nale Fördertöpf­e.

Das Argument, die Region könne besser im Tourismus beworben werden, lässt Bauernchef Schönberge­r nicht gelten. Es gebe eine gut ausgebaute Tourismuss­truktur, die oberschwäb­ische Barockstra­ße und anderes mehr. „Ich betreibe selber einen Ferienhof und habe jedes Jahr Zuwachs und habe zu wenig Betten“, sagt Schönberge­r. Aber er fügt auch noch den einen Satz hinzu: „Wenn uns das Ministeriu­m überzeugt, warum es sinnvoll ist, lassen wir uns auch belehren.“

Schon 2010 wollte man im Allgäu ein Biosphären­gebiet initiieren, was vor allem am Widerstand aus der Landwirtsc­haft gescheiter­t ist. Rudi Holzberger, Wissenscha­ftsjournal­ist

Ferdinand Graf zu Waldburg-Wolfegg,

Waldbesitz­er aus Kißlegg

und ausgewiese­ner Waldexpert­e, erinnert sich an damals: Im bayerische­n Buchenberg seien zur Gemeindera­tssitzung 150 Bauern gekommen, die den Gemeindera­t zur Ablehnung des Biosphären­gebiets gebracht haben. Letztlich sind die anderen Kommunen gefolgt.

Eine vertane Chance, findet Holzberger, weil er große Vorteile für die Region und die Perspektiv­e auf einen „historisch­en Kompromiss zwischen Landwirtsc­haft und Naturschut­z“sieht. Aber auch er sagt: „Die Sorgen der Bauern sind nicht unbegründe­t, die kann und muss man ausräumen, wenn man es gescheit machen will.“Allein durch die FFH-Gebiete könne der Bau eines neuen Stalls zur teuren Herausford­erung oder gar zu einem Ding der Unmöglichk­eit werden. Er schlägt für den Prozess ein breites Forum vor. „Jede Interessen­gruppe muss jemanden delegieren. Auch muss man mit den Betroffene­n reden, die Sorgen ernst nehmen. Erst wenn mein alter Freund Franz Schönberge­r mit von der Partie ist, kann das gelingen“, ist Holzberger überzeugt.

Der Weg dahin scheint jedoch vorerst noch sehr lang zu sein.

 ?? FOTO: PHILIPP RICHTER ?? Ferdinand Graf zu Waldburg-Wolfegg
FOTO: PHILIPP RICHTER Ferdinand Graf zu Waldburg-Wolfegg

Newspapers in German

Newspapers from Germany