Bundestag gedenkt der Holocaust-Opfer
Theresienstadt-Überlebende Auerbacher warnt vor wachsendem Judenhass
- Seit 1996 gedenkt der Bundestag der Opfer des Nationalsozialismus. Anlass ist die Befreiung von Auschwitz am 27. Januar 1945: Bei der Gedenkstunde in diesem Jahr sprachen unter anderem Inge Auerbacher, die den Holocaust überlebte.
„Heute ist auch ein Tag der Scham“, sagt Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) in ihrer Rede. Sie erinnert an die Wannseekonferenz, bei der es darum ging, die Ermordung der Juden zu „systematisieren“. Von den NS-Tätern hätten sich viel zu wenige vor Gericht verantworten müssen. Manche derjenigen, die die „Endlösung der Judenfrage“planten, wurden weit über 80 Jahre alt.
Ruth Nelly Abraham erlebte nicht einmal ihren zehnten Geburtstag. „Liebe Ruth, ich bin hier in Berlin, um dich zu besuchen“, ruft Inge Auerbacher in den Sitzungssaal des Bundestages hinein. Der gegenseitige Besuch war ein Kinderversprechen aus den Tagen im Konzentrationslager Theresienstadt. Die 87-jährige Chemikerin und HolocaustÜberlebende Auerbacher weiß, dass dieses Versprechen nicht gehalten werden kann. „Ruth und ihre Eltern wurden ermordet. In einer der Gaskammern in Auschwitz.“Wie so viele. Allein eineinhalb Millionen jüdische Kinder fielen dem Rassenwahn der Nazis zum Opfer.
Antisemitismus sei nicht hinnehmbar, sagt Bärbel Bas. „Egal von wem er kommt.“Er kommt vom rechtsextremen Rand, aber auch von „manchen Zugewanderten“, denen gegenüber man in der Vergangenheit „wohl zu nachsichtig“war. Gleichzeitig gelte: „Wer gegen Muslime hetzt, macht sich als Freund der Juden unglaubwürdig.“Einige „Demokratiefeinde“trügen bei Demonstrationen den einst ausgrenzenden Davidstern. Gegen all diesen Kräfte, so Bas, „brauchen wir mehr Mut zur Intoleranz“.
Auch Inge Auerbacher sieht den „Krebs“des Judenhasses wiedererwacht. „Diese Krankheit muss so schnell wie möglich geheilt werden“, sagt sie. Sich selbst beschreibt sie als „jüdisches Mädchen aus dem badischen Dorf Kippenheim“, das dann auch in dem schwäbischen Jebenhausen-Göppingen aufwuchs. Über Kippenheim sagt sie: „Ich war das letzte jüdische Kind, das dort geboren wurde.“
Nach Jahren der Demütigung und fast vollständiger Ausgrenzung der Juden in Deutschland folgt die Deportation nach Theresienstadt. Der
Transport geht über Stuttgart. Auerbacher ist wohl das einzige Kind, das von Stuttgart aus deportiert wurde und überlebt hat. Inge Auerbacher verliert im Holocaust 20 Familienmitglieder.
Der israelische Knesset-Präsident Mickey Levy dankt Inge Auerbacher für ihre persönliche Erzählung. Er dankt auch Deutschland für die Unterstützung Israels. Und dann setzt er die Kippa auf und spricht ein paar Worte aus dem Kaddisch, dem jüdischen Totengebet. An diesem Ort und im Gedenken an all die Opfer der Nazis ist das für den nach dem Krieg in Jerusalem Geborenen zu viel. Unter Schluchzen beendet er das Gebet. Weinend liegen sich dann die aus Baden stammende Inge Auerbacher und der israelische Parlamentspräsident in den Armen.