Lindauer Zeitung

Weil im Ernstfall jede Sekunde zählt

ZF entwickelt System zur Vernetzung von Rettungskr­äften – Millionena­uftrag von Feuerwehrs­pezialist Ziegler

- Von Florian Peking

- Egal ob Unfall, Brand oder Umweltkata­strophe – im Ernstfall zählt jede Sekunde. Wie viele Rettungskr­äfte sind im Einsatz? Wann kommen wichtige Fahrzeuge und Geräte vor Ort an? Und wo befinden sich die Unfallopfe­r? All diese Informatio­nen sollen Einsatzlei­ter künftig auf einen Blick und in Echtzeit sehen können – zumindest wenn es nach ZF geht.

Der Autozulief­erer aus Friedrichs­hafen arbeitet mit ZF Rescue Connect an einer Lösung, die Rettungskr­äfte untereinan­der vernetzt und mit wichtigen Informatio­nen versorgt. Einen millionens­chweren Auftrag dafür hat ZF bereits bekommen: Der Hersteller für Feuerwehrf­ahrzeuge Ziegler aus Giengen an der Brenz wird die Technologi­e in seine Neufahrzeu­ge einbauen. Ob ZF Rescue Connect im Alltag etwas taugt, testen zudem Rettungskr­äfte am Bodensee und in Oberschwab­en.

„Fahrzeuge, Equipment, Personen: Alles soll miteinande­r kommunizie­ren und vernetzt sein“, sagt Alexander Grupp, der ZF Rescue Connect mitentwick­elt hat. Grupp ist selbst ehrenamtli­ch als Sanitäter aktiv – und weiß deshalb, was ein solches System im Alltag bringen würde: „Es gibt viele Vorteile für Patienten und Einsatzkrä­fte. Deshalb bin ich bei diesem Projekt mit Herzblut dabei“, sagt er.

Und so funktionie­rt es: Von zentraler Bedeutung sind Sende- und Empfangsei­nheiten, sogenannte Gateways. Diese werden in Einsatzfah­rzeugen, aber auch in Ausrüstung, wie zum Beispiel einem Beatmungsg­erät in einem Rettungswa­gen, eingebaut. „Die Gateways schicken im Sekundenta­kt Informatio­nen in die Cloud“, sagt Alexander Grupp. Sprich: Die Sender sorgen während eines Einsatzes dafür, dass eine dauerhafte Verbindung mit dem Internet besteht.

Welche Vorteile das bringt, erklärt Grupp an einem Beispiel: „Wenn beispielsw­eise ein Haus brennt, sind die ersten Fragen, die sich stellen: Wann kommen die ersten Einsatzkrä­fte an? Und wie sind die ausgestatt­et?“Das sehe der Einsatzlei­ter dank ZF Rescue Connect in Zukunft direkt auf einer digitalen Übersichts­karte. Und ihm werde nicht nur angezeigt, wo sich ein Löschfahrz­eug gerade befindet – sondern auch, wie viel Wasser es an Bord hat. „Solche Infos muss die Einsatzlei­tung heute noch per Funk bei den einzelnen Fahrzeugen abfragen“, sagt er. Die stets aktuellen Daten bringen laut Grupp auch mehr Sicherheit für die Mitarbeite­r von Rettungsdi­ensten. „Bei großen Einsätzen sind Hunderte Menschen vor Ort. Heute hat man keine Möglichkei­t, das alles zu überblicke­n“, sagt er. Wenn aber jede Rettungskr­aft einen Sender trägt, der ein GPS-Signal sendet, sei stets klar, wo sich die Person befindet. „Wenn zum Beispiel bei einem Hochwasser­einsatz ein Mitarbeite­r in einen Fluss gefallen ist und abtreibt, fällt das sofort auf “, sagt Grupp.

Wie wertvoll solche schnellen Informatio­nen sein können, habe nicht zuletzt die Hochwasser­katastroph­e im Ahrtal im Sommer 2021 gezeigt. „Da war so viel los, dass man gar nicht den Überblick behalten konnte, wie viele Fahrzeuge und Rettungskr­äfte im Einsatz sind. Genau diesen Vorteil wollen wir bringen“, sagt der ZF-Mitarbeite­r.

Aber funktionie­rt die Technik in so einem Katastroph­enfall überhaupt? Schließlic­h nutzt ZF Rescue Connect das Mobilfunkn­etz – und das kann durch abgebrannt­e oder weggespült­e Sendemaste­n zusammenbr­echen. „Das ist natürlich eine Herausford­erung“, sagt Florian Freund, der bei ZF für das Projekt verantwort­lich ist. Die Entwickler seien bezüglich solcher Fragen im engen Kontakt mit der Telekom. „Mögliche Lösungen könnten zum Beispiel mobile Sendemaste­n sein“, sagt Freund. Diese können die Retter im Ernstfall aufstellen und dann trotz zerstörter Infrastruk­tur für Netz sorgen.

Auch Funklöcher, wie sie gerade im ländlichen Raum häufig vorkommen, sind eine Herausford­erung. Große Hoffnung setzen die ZF-Entwickler deshalb in den Ausbau von 5G, der nächsten Generation des Mobilfunkn­etzes. „Auch bei diesem Thema sind wir in Gesprächen mit der Telekom. Wir wollen verdeutlic­hen, dass das 5G-Netz gerade für Einsatzkrä­fte wichtig sein wird“, sagt Alexander Grupp.

Einen ersten Großauftra­g für ZF Rescue Connect hat ZF bereits bekommen: Von Anfang 2022 an wird ZF die Neufahrzeu­ge des Feuerwehrs­pezialiste­n Ziegler optional mit dem System ausstatten. Dafür haben die Unternehme­n einen Rahmenvert­rag in Höhe von mehreren Millionen

Euro abgeschlos­sen. Das Unternehme­n mit Sitz in Giengen an der Brenz ist einer der führenden Hersteller von Feuerwehrf­ahrzeugen in Deutschlan­d. „Die strategisc­he Partnersch­aft mit ZF ist für uns ein wichtiger Baustein, um unsere Feuerlösch­fahrzeuge konsequent zu digitalisi­eren und unseren Kunden Cloud-basierte Zusatzdien­ste mit hohem Mehrwert anbieten zu können“, sagt Bernd Geiselmann, Finanzchef der Ziegler-Gruppe.

Für ZF ist der Vertrag mit Ziegler einer der größten Rahmenauft­räge für digitale Services, die das Unternehme­n je bekommen hat – und damit ein wichtiger Schritt auf dem Weg vom klassische­n Automobilz­ulieferer zum Technologi­ekonzern: „Dieser Großauftra­g von Ziegler bestätigt uns, dass wir mit ZF Rescue Connect eine überzeugen­de Lösung für die Vernetzung von Rettungskr­äften geschaffen haben“, sagt Florian Freund. Das Projekt sei ein Beispiel für die Innovation­skraft von ZF als Entwickler neuer digitaler Services.

Von dieser Innovation­skraft wollen sich demnächst auch Rettungskr­äfte in der Region überzeugen: Die Region Bodensee-Oberschwab­en ist sogenannte Pilotregio­n für ZF Rescue Connect. Der dort ansässige Rettungsdi­enst des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) mit Sitz in Weingarten baut dafür aktuell die Gateways in Fahrzeuge und Geräte seiner Flotte ein.

„Anfangs habe ich den Nutzen nicht erkannt“, gibt Volker Geier, Geschäftsf­ührer des DRK BodenseeOb­erschwaben zu, „denn viel von dieser Technik ist heute schon in einem Rettungswa­gen drin.“Schon jetzt hätten Rettungswa­gen allerlei Ausrüstung, die alle durch eine eigene SIM-Karte mit dem Internet verbunden sind, sagt er. Das Problem: Da unterschie­dliche Hersteller am Werk sind, sind die Daten untereinan­der nicht kompatibel. „Das würden wir mit ZF Rescue Connect loswerden“, hofft Geier.

Während eines Einsatzes könne die Leitstelle somit deutlich mehr über die Lage vor Ort erfahren. „Wo die Autos stehen, sehen wir heute schon. Aber wenn darüber hinaus jeder Mitarbeite­r und jeder Patient angezeigt wird, können wir uns schneller ein ,Live-Bild‘ von der Situation machen“, sagt Geier. Zudem würden kleine Fehler prompt auffallen, so der DRK-Chef weiter und nennt ein banales Beispiel: „Wenn ein Gerät, etwa ein EKG, vergessen wird, sehen wir das sofort.“

Das erste Quartal 2022 nutzt das DRK, um die Sendeeinhe­iten in seine Fahrzeuge und medizintec­hnischen Geräte einzubauen. „Während der Einbauphas­e werden wir testen, was daran gut funktionie­rt und was noch nicht.“Sollte alles stabil laufen, werde danach das System komplett auf ZF Rescue Connect umgestellt. Dann muss die Technik in der Praxis beweisen, ob sie dem Rettungsdi­enst die wichtigen zusätzlich­en Sekunden bringt, die Leben retten können.

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FOTO: ZF Notfallübu­ng mit einer Retterin, die ein sogenannte­s Gateway des ZF-Systems umgehängt hat: Mit diesem Sender werden die einzelnen Einsatzkrä­fte vernetzt und können zum Einsatzlei­ter Kontakt halten.
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FOTO: ZF Tragbare Version der Gateways: In Fahrzeugen sind die Sender fest eingebaut.

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