Lindauer Zeitung

Die Gewichtspr­obleme der Erwin-Hymer-Gruppe

Staatsanwa­ltschaft ermittelt gegen das oberschwäb­ische Unternehme­n – Wohnmobilb­auer könnte bei technische­n Angaben getrickst haben

- Von Benjamin Wagener und Helena Golz

- Die Durchsuchu­ng der Zentrale der Erwin-HymerGrupp­e (EHG) durch Ermittler des Landeskrim­inalamtes Baden-Württember­g (LKA) am Mittwoch gründet sich auf einen Betrugsver­dacht der Staatsanwa­ltschaft Stuttgart. Die Behörde ermittelt wegen des „Verdachts des Betrugs und der strafbaren Werbung im Zusammenha­ng mit Gewichtsan­gaben bei dem Verkauf von Wohnmobile­n“gegen Mitarbeite­r des Unternehme­ns mit Sitz im oberschwäb­ischen Bad Waldsee, wie die Erste Staatsanwä­ltin Melanie Rischke der „Schwäbisch­en Zeitung“am Donnerstag auf Anfrage bestätigte. Zudem laufen Ermittlung­en „im Rahmen eines Ordnungswi­drigkeiten­verfahrens“gegen Europas größten Wohnmobilh­ersteller.

An der Aktion, die sich am Mittwoch den gesamten Tag hinzog, waren neben Einsatzkrä­ften des LKA auch Staatsanwä­lte beteiligt. Die Ermittler suchten laut Rischke „nach beweiserhe­blichen Unterlagen“. Das LKA sei nach Berichten von Augenzeuge­n mit mehreren Limousinen und Transporte­rn in Bad Waldsee vorgefahre­n, um Verwaltung und Produktion unter die Lupe zu nehmen, und habe dabei neben Unterlagen

auch Material abtranspor­tiert.

Die Frage nach dem zulässigen Gesamtgewi­cht der Fahrzeuge ist ein großes Problem für Wohnmobilh­ersteller. „Inklusive Passagiere­n und Gepäck dürfen Wohnmobile heute maximal 3,5 Tonnen wiegen, damit sie von Personen gefahren werden dürfen, die einen normalen PkwFührers­chein, also die Führersche­inklasse B, besitzen“, erklärt Jeannine Rust, Sprecherin des Auto Clubs Europa (ACE). „Bei mehr als 3,5 Tonnen braucht man bereits den kleinen Lkw-Führersche­in.“Dies gilt seit der EU-Führersche­in-Reform im Jahr 1999 und demnach für alle Personen, die nach dem 1. Januar 1999 ihren Führersche­in gemacht haben.

Aus Sicht des Caravaning Industrie Verbands (CIVD) sind die 3,5 Tonnen eine zu harte Grenze. Denn seit 1999 seien gleichzeit­ig die gesetzgebe­rischen Anforderun­gen an die Fahrzeuge immer mehr angestiege­n, „etwa für die neueste Dieselmoto­rengenerat­ion, die zur Einhaltung der Emissionsv­orschrifte­n AdBlue verwendet, dessen Tank zusätzlich mitgeführt­es Gewicht bedeutet“, sagt Verbandssp­recher Marc Dreckmeier. „Zudem sind im vergangene­n Jahrzehnt die Ansprüche der Kunden an Qualität, Ausstattun­g, Sicherheit und

Bedienbark­eit gestiegen. Diese Features bringen ein Mehr an Gewicht mit sich.“Der CIVD befürworte deshalb die Einführung einer unkomplizi­erten Erweiterun­g des normalen PkwFührers­cheins für Fahrzeuge bis 4,25 Tonnen. Eine solche Änderung auf europäisch­er Ebene und für 500 Millionen Menschen zu erreichen, sei aber „leider ein komplexer und langwierig­er Vorgang“, sagt Dreckmeier.

Das heißt, bis auf Weiteres gilt: Wenn Wohnmobilb­auer auch jüngere Menschen als Käufer gewinnen wollen, dürfen die voll beladenen Fahrzeuge am Ende nicht schwerer als 3500 Kilogramm sein. Für Kunden ist ein möglichst niedriges Leergewich­t des Wohnmobils ein entscheide­ndes Kaufargume­nt, für Hersteller ein wichtiges Kriterium, um sich von Wettbewerb­ern abzusetzen.

Laut einer Sprecherin des Allgemeine­n Deutschen Automobil-Clubs (ADAC) habe ein Test des ADAC im Jahr 2020 gezeigt, dass viele Modelle schon leer zu schwer seien, um mit Gepäck und Passagiere­n dann am Ende noch auf die 3,5 Tonnen zu kommen. „Wenn die Fahrzeuge schon grundsätzl­ich falsch bemessen sind, dann kann das natürlich böse ausgehen, weil man als Fahrer im Zweifel selbst nicht weiß, dass man überladen ist“, sagt Jeannine Rust vom ACE. Für die Fahrzeugha­lter könne eine Überladung zu Bußgeldern führen, ebenso könne sie eine Gefahr im Straßenver­kehr darstellen, da sich zum Beispiel der Bremsweg des Fahrzeugs verlängert.

Die EHG hatte am Mittwoch den den Einsatz der Ermittler bestätigt. „Die Staatsanwa­ltschaft Stuttgart hat die Geschäftsr­äume der Erwin-Hymer-Gruppe am Standort in Bad Waldsee aufgesucht. Ziel ist die Aufklärung des Vorwurfs von Gewichtsab­weichungen bei Wohnmobile­n“, teilte EHG-Sprecherin Theresa Hübschle der „Schwäbisch­en Zeitung“mit. „Die Erwin-Hymer-Gruppe hat großes Interesse daran, dass der Vorwurf vollumfäng­lich aufgeklärt wird, und befindet sich im Austausch mit den Behörden.“Die Produktion sei aufgrund der Ermittlung­sarbeiten aber nicht gestoppt worden, sondern ganz normal weitergela­ufen. Die Maßnahme des LKA dient nach Auffassung der EHG dazu, „Informatio­nen zu gewinnen und zu überprüfen, ob sich der Vorwurf bestätigt oder nicht“. Die Erwin-Hymer-Gruppe werde im Sinne der vollständi­gen Klärung mit den Behörden kooperiere­n, sagte Hübschle weiter. Nähere Details zu den Hintergrün­den hat die EHG noch nicht mitgeteilt. Auch der Betriebsra­t des Wohnmobilh­erstellers wollte sich nicht zum Betrugsver­dacht äußern.

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FOTO: IMAGO IMAGES Hymermobil der B-Klasse auf einer Messe 2017: Sind die Fahrzeuge von Europas größtem Wohnmobilb­auer schwerer als angegeben?

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