Die Gewichtsprobleme der Erwin-Hymer-Gruppe
Staatsanwaltschaft ermittelt gegen das oberschwäbische Unternehmen – Wohnmobilbauer könnte bei technischen Angaben getrickst haben
- Die Durchsuchung der Zentrale der Erwin-HymerGruppe (EHG) durch Ermittler des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg (LKA) am Mittwoch gründet sich auf einen Betrugsverdacht der Staatsanwaltschaft Stuttgart. Die Behörde ermittelt wegen des „Verdachts des Betrugs und der strafbaren Werbung im Zusammenhang mit Gewichtsangaben bei dem Verkauf von Wohnmobilen“gegen Mitarbeiter des Unternehmens mit Sitz im oberschwäbischen Bad Waldsee, wie die Erste Staatsanwältin Melanie Rischke der „Schwäbischen Zeitung“am Donnerstag auf Anfrage bestätigte. Zudem laufen Ermittlungen „im Rahmen eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens“gegen Europas größten Wohnmobilhersteller.
An der Aktion, die sich am Mittwoch den gesamten Tag hinzog, waren neben Einsatzkräften des LKA auch Staatsanwälte beteiligt. Die Ermittler suchten laut Rischke „nach beweiserheblichen Unterlagen“. Das LKA sei nach Berichten von Augenzeugen mit mehreren Limousinen und Transportern in Bad Waldsee vorgefahren, um Verwaltung und Produktion unter die Lupe zu nehmen, und habe dabei neben Unterlagen
auch Material abtransportiert.
Die Frage nach dem zulässigen Gesamtgewicht der Fahrzeuge ist ein großes Problem für Wohnmobilhersteller. „Inklusive Passagieren und Gepäck dürfen Wohnmobile heute maximal 3,5 Tonnen wiegen, damit sie von Personen gefahren werden dürfen, die einen normalen PkwFührerschein, also die Führerscheinklasse B, besitzen“, erklärt Jeannine Rust, Sprecherin des Auto Clubs Europa (ACE). „Bei mehr als 3,5 Tonnen braucht man bereits den kleinen Lkw-Führerschein.“Dies gilt seit der EU-Führerschein-Reform im Jahr 1999 und demnach für alle Personen, die nach dem 1. Januar 1999 ihren Führerschein gemacht haben.
Aus Sicht des Caravaning Industrie Verbands (CIVD) sind die 3,5 Tonnen eine zu harte Grenze. Denn seit 1999 seien gleichzeitig die gesetzgeberischen Anforderungen an die Fahrzeuge immer mehr angestiegen, „etwa für die neueste Dieselmotorengeneration, die zur Einhaltung der Emissionsvorschriften AdBlue verwendet, dessen Tank zusätzlich mitgeführtes Gewicht bedeutet“, sagt Verbandssprecher Marc Dreckmeier. „Zudem sind im vergangenen Jahrzehnt die Ansprüche der Kunden an Qualität, Ausstattung, Sicherheit und
Bedienbarkeit gestiegen. Diese Features bringen ein Mehr an Gewicht mit sich.“Der CIVD befürworte deshalb die Einführung einer unkomplizierten Erweiterung des normalen PkwFührerscheins für Fahrzeuge bis 4,25 Tonnen. Eine solche Änderung auf europäischer Ebene und für 500 Millionen Menschen zu erreichen, sei aber „leider ein komplexer und langwieriger Vorgang“, sagt Dreckmeier.
Das heißt, bis auf Weiteres gilt: Wenn Wohnmobilbauer auch jüngere Menschen als Käufer gewinnen wollen, dürfen die voll beladenen Fahrzeuge am Ende nicht schwerer als 3500 Kilogramm sein. Für Kunden ist ein möglichst niedriges Leergewicht des Wohnmobils ein entscheidendes Kaufargument, für Hersteller ein wichtiges Kriterium, um sich von Wettbewerbern abzusetzen.
Laut einer Sprecherin des Allgemeinen Deutschen Automobil-Clubs (ADAC) habe ein Test des ADAC im Jahr 2020 gezeigt, dass viele Modelle schon leer zu schwer seien, um mit Gepäck und Passagieren dann am Ende noch auf die 3,5 Tonnen zu kommen. „Wenn die Fahrzeuge schon grundsätzlich falsch bemessen sind, dann kann das natürlich böse ausgehen, weil man als Fahrer im Zweifel selbst nicht weiß, dass man überladen ist“, sagt Jeannine Rust vom ACE. Für die Fahrzeughalter könne eine Überladung zu Bußgeldern führen, ebenso könne sie eine Gefahr im Straßenverkehr darstellen, da sich zum Beispiel der Bremsweg des Fahrzeugs verlängert.
Die EHG hatte am Mittwoch den den Einsatz der Ermittler bestätigt. „Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat die Geschäftsräume der Erwin-Hymer-Gruppe am Standort in Bad Waldsee aufgesucht. Ziel ist die Aufklärung des Vorwurfs von Gewichtsabweichungen bei Wohnmobilen“, teilte EHG-Sprecherin Theresa Hübschle der „Schwäbischen Zeitung“mit. „Die Erwin-Hymer-Gruppe hat großes Interesse daran, dass der Vorwurf vollumfänglich aufgeklärt wird, und befindet sich im Austausch mit den Behörden.“Die Produktion sei aufgrund der Ermittlungsarbeiten aber nicht gestoppt worden, sondern ganz normal weitergelaufen. Die Maßnahme des LKA dient nach Auffassung der EHG dazu, „Informationen zu gewinnen und zu überprüfen, ob sich der Vorwurf bestätigt oder nicht“. Die Erwin-Hymer-Gruppe werde im Sinne der vollständigen Klärung mit den Behörden kooperieren, sagte Hübschle weiter. Nähere Details zu den Hintergründen hat die EHG noch nicht mitgeteilt. Auch der Betriebsrat des Wohnmobilherstellers wollte sich nicht zum Betrugsverdacht äußern.