Vom blauen Meer in die blauen Berge
Die Karibikinsel Jamaika ist nicht nur Bob Marleys Heimat, sondern auch das „Land von Wald und Wasser“
Bonsai trottet über den Sandstrand. Das hellbraune Pferd zieht gemütlich an Bananenstauden und Kokospalmen vorbei und steuert auf das türkisblaue karibische Meer zu. Im glitzernden Wasser setzt Bonsai einen Fuß vor den anderen und wippt dabei mit seinem anmutigen Körper. Bonsai ist eines der Pferde aus der Pferderanch Half Moon Equestrian Centre in Montego Bay. Besucher Jamaikas können mit ihnen am Strand entlangtraben. Manche lassen sich sogar auf dem Rücken der Pferde ins tiefere Wasser tragen und drehen ein paar Runden auf den schwimmenden Rössern.
Reiten ist nur eine der Aktivitäten, die Jamaika seinen Besuchern bietet. Auf der bergigen und reich bewaldeten Karibikinsel lässt sich ein Badeurlaub an traumhaften Stränden sehr gut mit Golfen, Radfahren, Wandern, Ziplining, Bambus-Rafting oder spannenden Bootstouren verbinden. Wuchtige Wasserfälle inmitten des üppigen Tropenwaldes verzaubern Touristen wie Einheimische. „Das Land von Wald und Wasser“nannten die Ureinwohner die Insel, bevor Christoph Kolumbus 1494 an der Discovery Bay an Land kam. Eine treffende Bezeichnung für die natürliche Schönheit des Eilands, das vom Massentourismus noch verschont geblieben ist.
Jamaika bietet Urlaub in allen Facetten. Luxuriöse Hotelanlagen wie das berühmte Half Moon in Montego Bay im Nordwesten, wo sich US-Präsidenten wie John F. Kennedy und George W. Bush oder Adelige wie Königin Elizabeth II. mit ihren Familien schon verwöhnen ließen, findet man ebenso wie kleine familiäre Hotels wie die Peeniwalli und Steppa Villas am Treasure Beach im Süden des Landes. Dort können Gäste beim Yoga zum Sonnenaufgang mit Blick aufs Meer zur Ruhe finden.
Einen kleinen Einblick in die Alltagskultur gibt eine Rundfahrt quer über die Insel. Auf dem Weg von Treasure Beach in der fruchtbaren Region Saint Elizabeth über die Santa Cruz Mountains Richtung Kingston setzen Häuser und Hütten grelle Farbtupfer entlang der holperigen Straßen – in Orange, Rosa, Hellgrün und Türkisblau. „Wir Jamaikaner mögen die Farben – und die Musik“, sagt Anief Anderson, unser Fahrer, und wippt mit dem Kopf zur Reggaemusik, die aus dem Lautsprecher seines Kleinbusses tönt. Hibiskus- und Bougainvillasträucher säumen die staubigen Wege ebenso wie exotische Blumen, riesige Kakteen, Obstbäume, Palmen und dicke Bambussträucher. Einheimische sitzen im Schatten einfacher Hütten, die sich als Bars oder kleine Läden entpuppen. Und überall tönt der Rhythmus des Reggae aus den Boxen. Reggaefestivals locken regelmäßig Tausende von Fans auf die Insel. Bob Marley, berühmtester Sohn des Landes, ist auch heute noch präsent – besonders in Kingston. Das Bob-Marley-Museum zählt zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt.
Rund 690 000 Einwohner wohnen in Kingston, dem kulturellen Zentrum Jamaikas am Fuße der Blue
Mountains. „Die Stadt ist authentisch“, sagt Doris Gross. Die dunkelhaarige Architektin aus dem Frankfurter Raum lebt seit 30 Jahren in der Hafenstadt und schätzt die lebendige Kultur und die „Schönheit hinter den Fassaden“der Old City, wo Backsteinhäuser mit morbidem Charme Menschen mit wenig Geld ein günstiges Dach über dem Kopf bieten. Über die Organisation Kingston Creative engagiert sich Doris für den Kingston Art District rund um die Harbour- und Church-Street und bietet sogar deutschsprachige Führungen auf Anfrage. Dort, in der ersten Fußgängerzone Kingstons, verwirklichen sich lokale Künstler mit riesigen farbigen Wandbildern. „We are Jamaicans“ist ein grün-gelbes Wandgemälde untertitelt, „Tek Pride Inna Jamaica“ein anderes. Szenen von Musikern, Tänzerinnen und großformatige Portraits reihen sich in dem Kunstviertel aneinander. Das Quartier ist ein unbedingtes Muss in Kingston – ebenso wie das Devon House. Das weiße, klassizistische Herrenhaus wurde 1881 vom ersten schwarzen Millionär George Stiebel erbaut. Gegen Abend treffen sich auf dem hübsch angelegten Devon House Park Paare und Familien und reihen sich geduldig in die Warteschlange vor der Eisdiele, die als die beste Jamaikas gilt. Die Eiskugeln haben US-amerikanische Dimensionen. Der Einfluss des nördlichen Nachbarn ist unverkennbar auf der Insel, die heute zum britischen Commonwealth gehört.
Von Kingston ist es nicht weit zum Nationalpark der Blue Mountains, der zum Weltnaturerbe der Unesco zählt. Das Gebirge ist nicht nur für den höchsten Gipfel Jamaikas, den Blue Mountain Peak mit 2256 Metern Höhe, sondern auch für seinen hervorragenden Kaffee bekannt. Auf dem kurvigen Weg zur UCC Kaffeeplantage bieten kleine Stopps fantastische Ausblicke über den saftig-grünen Tropenwald hinunter nach Kingston und die Bucht. Auf der Kaffeefarm führt Jerome die steilen Treppen hinauf auf rund 900 Meter Höhe, vorbei an grünen Arabica-Kaffeepflanzen, die in diesem Mikroklima besonders gut gedeihen. Ab und an zupft er eine der roten
Früchte, in denen die Kaffeebohnen stecken. Geerntet werden sie nach neun bis elf Monaten. „70 Prozent des Kaffees exportieren wir nach Japan“, erzählt Jerome. Dort ist der berühmte Blue Mountain Coffee besonders begehrt. Nur zehn Prozent der gerösteten braunen Bohnen werden im eigenen Land konsumiert.
Die Panoramafahrt durch die Blue Mountains führt auf schmalen, kurvenreichen Straßen steil nach oben. Souverän weicht Anief nicht nur den unendlich vielen Schlaglöchern aus, sondern auch den entgegenkommenden Fahrzeugen. In der ehemaligen britischen Kolonie gilt nach wie vor der Linksverkehr. Bekanntschaft mit Schlaglöchern machen wir auch auf einer Radtour. Die Bremsen werden stark strapaziert auf der Fahrt, die eine knappe Stunde bergab führt – vorbei an Bananenstauden, Mango-, Bananenbrot- und Guangobäumen, Kaffeeplantagen und herrlichen Aussichten ins Gebirge. Helle Wolken ziehen über den blauen Himmel, und kurz vor dem Tal lädt der dunkelgrüne Blue Mountain World Pool mit seinem kleinen Wasserfall zur Abkühlung ein – ein Badevergnügen auch für die Einheimischen, die in der einfachen Bar am Straßenrand jamaikanischen Rum – das Nationalgetränk der Insel – genießen.
An Wasserfällen mangelt es auf der Insel nicht. Im Südwesten gelten die beeindruckenden YS-Falls, unweit des Ortes Black River, zu den Highlights. An dicken Drahtseilen befestigt, flitzen Zipliner über die Dschungellandschaft. Die Kaskaden der YS-Falls ergießen sich auf mehreren Stufen in einzelne Naturpools. Mutige Jamaikaner schwingen sich an einem Seil in die Tiefe, während ihre Verwandten dazu munter applaudieren.
Lebensfrohe Jamaikaner begegnen uns überall. „Es sind die Menschen, die unser Land prägen”, sagt Anief und blinzelt heiter in die Sonne. Diese Aussage teilt auch Kevyin Cunningham, Direktor des Golfplatzes von Halfmoon Bay. Kein Wunder, dass der gebürtige Engländer auf der Karibikinsel geblieben ist, eine Einheimische geheiratet und eine Familie gegründet hat. Multikulturelle Wurzeln besitzt fast jeder aus der überwiegend dunkelhäutigen Bevölkerung. Passend dazu das nationale Motto „Out of Many One People“– „Aus vielen ein Volk“.
Eine besondere Gruppe der Jamaikaner sind die Rastafaris. Ihre religiöse afro-amerikanische Bewegung ist übers ganze Land verstreut. Im Rastafari Indigenous Village führt Queen I in ihrem lila Gewand durch das kleine Kulturzentrum mitten im Tropenwald. Im blühenden Garten, in dem neben diversen Kräutern auch Cannabis sprießt, erzählt sie, dass sich Rastafaris vegan ernähren. In der Zeremonie-Arena erklärt First Man mit seinen langen Dreadlocks die Mission der Rastafaris: Frieden und Humanität und die geistige Rückkehr zu ihrer afrikanischen Heimat. Den ehemaligen Kaiser Äthiopiens, Haile Selassie I., verehrt die Rastafarikultur als Reinkarnation Gottes. Der wohl bekannteste Rastafari war Bob Marley.
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Die Recherche wurde unterstützt vom Jamaica Tourist Board und der Schweizer Flugline Edelweiss Air, die ganzjährig montags in gut 13 Stunden von Zürich nach Montego Bay via Punta Cana fliegt (www.flyedelweiss.com).