Welterklärer Infantino auf Abwegen
Der Fifa-Präsident ist nach abstrusen Aussagen über Geflüchtete zurückgerudert – Empörung ist weiter groß
(SID) - Es dauerte ein wenig, aber irgendwem in der FIFAZentrale fielen die abstrusen Aussagen des Chefs dann doch noch auf. Eine WM alle zwei Jahre? Und schon sind die Gründe für eine Flucht vom afrikanischen Kontinent nahezu beseitigt? Nein, nein, beteuerte der Fußball-Weltverband wenige Stunden nach den Äußerungen, „bestimmte Bemerkungen“von Gianni Infantino seien „falsch interpretiert“und „aus dem Zusammenhang gerissen“worden. Doch die Empörung, die Wut und das Unverständnis über den hochmütigen Auftritt des FIFAPräsidenten vor dem Europarat in Straßburg waren da schon nicht mehr zu bremsen. „Wie tief kann Infantino noch sinken?“, fragte Direktor Ronan Evain von der Fan-Vereinigung Football Supporters Europe. Den Tod im Mittelmeer zu instrumentalisieren, um einen „größenwahnsinnigen Plan“zu verkaufen, sei „jenseits aller Worte“.
Eigentlich wollte Infantino vor den kritischen Europäern nur erneut Werbung für seine umstrittene WMIdee betreiben, sich selbst dazu als umsichtigen Welterklärer präsentieren. Der Widerstand in Europa und Südamerika gegen das FIFA-Vorhaben
ist schließlich ungebrochen. Doch was blieb, waren Irritationen und die ungeklärte Frage, was ein verkürzter WM-Zyklus mit einer lebensgefährlichen Flucht zu tun haben soll.
„Wir müssen die gesamte Welt miteinbeziehen. Wir können dem Rest der Welt nicht sagen: Gebt uns euer Geld und eure Spieler – und schaut am Fernseher zu“, hatte Infantino gesagt, als er über die Vorteile seiner WM-Idee sprach. „Wir müssen den Afrikanern Hoffnung geben, damit sie nicht mehr über das Mittelmeer kommen müssen, um vielleicht ein besseres Leben zu finden oder, wahrscheinlicher, den Tod im Meer.“
Dagmar Freitag, die frühere Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag, bezeichnete die Aussagen als „bizarr“und „sehr verantwortungslos“. Der ehemalige FIFA-Boss Joseph S. Blatter, der immer wieder gerne gegen seinen Nachfolger austeilt, meinte, Infantinos Bezug zu Afrika sei „weltfremd und ehrverletzend“. Und auch Andrew Stroehlein von Human Rights Watch merkte zynisch an, dass in Gesprächen mit Menschen über ihre Fluchtgründe nie die Fußball-WM erwähnt werde.
Die Kritik ist gewaltig, die FIFA betrieb Schadensbegrenzung. Er wolle „klarstellen, dass die allgemeinere Botschaft in meiner Rede war, dass jeder in einer Entscheidungsposition in der Verantwortung steht, zur Verbesserung der Situation der Menschen auf der ganzen Welt beizutragen“, beteuerte Infantino, sein Kommentar habe nicht in Verbindung zur WM-Idee gestanden.
Dass der FIFA-Boss in Straßburg auch noch seine wegen Menschenrechtsverletzungen in der Kritik stehenden katarischen Freunde verteidigte, passte ins Bild. Katar sei zwar „kein Paradies“, dennoch wollte er „einige Dinge geraderücken“. Der Schweizer, der mit seiner Familie ein Haus in Doha bezogen haben soll, wies Berichte über Tausende tote Arbeiter zurück. Es seien drei Todesfälle auf WM-Baustellen, behauptete er.
Es ist keineswegs neu, dass Infantino jegliche Schuld von sich weist. Auch in der Justizaffäre in der Schweiz, in der wegen der nicht protokollierten Treffen mit dem früheren Schweizer Bundesanwalt Michael Lauber ermittelt wird, bestreitet Infantino die Vorwürfe. Das Verfahren läuft weiter, doch der FIFA-Chef weilt ohnehin vorerst in Katar – und versucht wohl in der Sonne Dohas die Kritik schnell zu vergessen.