Eher Falle als Futterquelle
Für Blühflächen bekommen Landwirte Fördergeld – Doch es gibt Kritik an der Praxis
- Was im Sommer blüht und summt, scheint ein ökologisches Paradies zu sein. Blühflächen zwischen Mais- und Gemüsefeldern können für Insekten und Feldvögel aber zur tödlichen Falle werden, wenn sie nach nur einem Jahr umgebrochen werden. Deshalb sollen einjährige Blühbrachen vom Agrarministerium auch nicht als Rückzugsräume für Tier- und Pflanzenarten anerkannt werden, fordert der Naturschutzbund (Nabu).
Wegen des Volksbegehrens „Rettet die Bienen“drohte 2019 ein Konflikt zwischen Landwirten und Naturschützern zu eskalieren. Befriedet hat diesen das Biodiversitätsstärkungsgesetz, auf das sie sich gemeinsam mit dem Land geeinigt haben. Besonders bekannt sind Ziele zur Pestizidreduktion und zur Steigerung des Ökolandbaus. Etwas weniger Beachtung findet das Ziel, auf zehn Prozent der Äcker und Felder sogenannte Refugialflächen zu errichten. Das Landwirtschafts- und Landeskulturgesetz bezeichnet diese als „Habitate, in die sich Tier- oder Pflanzenarten zurückziehen, weil in ihren ursprünglichen (...) Lebensräumen aus verschiedenen Gründen kein Überleben mehr möglich ist“.
Was genau als Refugialfläche anerkannt wird, erarbeitet aktuell das Agrarministerium. Weil die Bedingungen dafür also noch unklar sind, weiß niemand genau, welchen Anteil solche Rückzugsorte bereits an der Landwirtschaftsfläche in Baden-Württemberg haben. „Das hängt davon ab, wie man das definiert“, sagt Nabu-Landeschef Johannes Enssle. Geplant ist, dass jeder Landwirt fünf Prozent seiner Fläche beisteuern soll und dafür Fördergeld bekommt. Weil damit das Zehn-Prozent-Ziel nicht erreicht wird, sollen manche Bauern freiwillig mehr tun.
Fraglich ist, welche Art von Blühbrachen als Rückzugsflächen anerkannt werden. Bislang sind die einjährigen bei Landwirten sehr beliebt – zu 98 Prozent setzen sie auf diese. Dafür zahlt das Land über ein Agrarumweltprogramm 710 Euro pro Hektar. Laut Agrarministerium waren das bei knapp 18 000 Hektar im Jahr 2020 also mehr als 12,5 Millionen Euro. Das Problem dabei hat etwa das Regierungspräsidium Tübingen 2020 in einem „Infoblatt Blühflächen“erläutert. „Viele Insekten haben einen langen Entwicklungszyklus“, sie könnten sich nur auf Flächen
vermehren, die länger als ein Jahr bestehen. „Einjährige Flächen haben daher eine Fallenwirkung.“Insekten würden angelockt, sie legen ihre Eier in den Halmen ab oder verpuppen sich. Doch bevor sie oder der Nachwuchs schlüpfen, wird die Fläche umgebrochen oder gemulcht.
Die Landesförderung hierfür läuft zwar dieses Jahr aus. Danach können Bauern weiter EU-Geld für einjährige Blühflächen bekommen. Hier setzt Nabu-Landeschef Enssle an: „Wir wollen nicht, dass diese einjährigen Blühbrachen als Refugialfläche anerkannt werden.“Tobias Miltenberger vom Verein ProBiene, der das Volksbegehren 2019 mit initiiert hat, plädiert für „einen kraftvollen Artenschutz. Dies heißt mindestens dreijährige Blühflächen mit regionaler Wildpflanzensaat“. Rückendeckung erhalten die Artenschützer aus dem Umweltministerium (UM), wie eine Sprecherin von Ministerin Thekla Walker (Grüne) erklärt. „Einjährige Blühflächen sieht das UM (...) nicht als ökologisch wirksame Maßnahme im Sinne der Refugialflächen an.“
Differenzierter äußert sich Martin Hahn, Agrarexperte der GrünenFraktion
im Landtag. Er preist zwar mehrjährige Blühflächen an, die das Land auch künftig fördert, sagt aber auch: „Für einen zeitlich befristeten Übergangszeitraum können einjährige Blühstreifen anerkannt werden.“Auch die Landwirte haben unterschiedliche Ansichten. Der Landesbauernverband etwa steht zu den einjährigen Blühflächen, diese sollten „weiterhin als Refugialfläche anerkannt werden“.
Anders sieht das der Verein Land schafft Verbindung (LsV). Er war 2019 aus dem Protest der Landwirte gegen aus ihrer Sicht überzogene Forderungen von Bienenrettern und Agrarpolitikern hervorgegangen. Was es vor allem brauche, sei Planungssicherheit, sagt Marc Berger, zweiter Vorsitzender des LsV-Landesvorstands. Die Nahrungsmittelproduktion sei ihre Hauptaufgabe. „Man muss Natur- und Artenschutz betreiben, aber so effektiv wie möglich auf der kleinsten Fläche wie möglich“, so Berger. Mit großer Mehrheit stehe sein Vorstand deshalb dazu, einjährige Blühflächen nicht als Refugialflächen anzuerkennen. „Das Schlimmste wäre, wenn 2028 bei der Evaluierung herauskommen würde, dass das ökologisch nichts gebracht hat und wir deshalb dann 20 Prozent Refugialflächen vorhalten sollen. Deshalb ist es uns wichtig, dass die Voraussetzung zur Anerkennung von Refugialflächen gleich auf vernünftige Füße gestellt wird.“Wichtig sei dabei, dass die Bauern durch Öko-Maßnahmen mehr bekommen als eine Aufwandsentschädigung. Nach Abzug der Kosten erlöse ein Landwirt – je nach Region – aktuell in etwa gleich viel durch einjährige Blühflächen wie etwa durch Getreideanbau. „Wenn man einjährige Blühflächen rausnimmt und nur auf mehrjährige setzt, muss deren Fördersatz steigen.“Aktuell bekommen Bauern nämlich deutlich mehr Fördergeld für einjährige als für mehrjährige Blühflächen.
Agrarminister Peter Hauk (CDU) hält sich derweil noch bedeckt. Die Verwaltungsvorschrift dazu, was als Refugialfläche anerkannt werde, sei noch in Abstimmung – auch mit Verbänden. „Erst dann kann es eine abschließende Position dazu geben“, so ein Sprecher Hauks.