Unter Spannung
Von Andreas Knoch
- Die Produktionshalle des Batterieherstellers Varta in Nördlingen versprüht den faszinierenden Charme von Automatisierung und Hightech: In riesigen Glaskästen werkeln Anlagen in rasend schnellen, exakt aufeinander abgestimmten Arbeitsschritten vor sich hin. Teile des Herstellungsprozesses erinnern den Außenstehenden an die Technik eines Lichtspielhauses: Von großen Spulen werden hauchdünne Folienbänder abgewickelt – Kathode, Anode und Separator –, laufen aufeinander zu und werden auf einem Dorn wieder aufgewickelt. Ist der gewünschte Durchmesser erreicht, werden die Folienbänder abgeschnitten, und der Dorn gibt den fertigen Zellwickel wieder frei.
Im nächsten Arbeitsschritt platziert ein Greifarm die Zellwickel – im Fachjargon Jellyroll genannt – in ein Edelstahltöpfchen – und ab geht es zur Dosierstation. Auf tausendstel Gramm genau wird dort Elektrolyt in die Batteriebecher gespritzt. In der anschließenden Fügestation bekommen die Zellen einen Deckel, der Ableiter wird angeschweißt und Untersowie Oberteil auf einer Bördelmaschine verschlossen. Die Lithium-Ionen-Zelle, bei Varta Coinpower genannt, ist fertig.
„Noch nicht ganz“, korrigiert Alexander Wagner, Schichtführer bei Varta in Nördlingen. Denn bis dahin ist lediglich der mechanische Produktionsprozess abgeschlossen. Nun gilt es, die Batteriezellen „zum Leben zu erwecken“– sie aufzuladen. Bei der sogenannten Formierung wird die Batteriezelle dem ersten Lade- und Entladeprozess ausgesetzt. Dazu werden die Zellen in speziellen Warenträgern nach genau definierten Strom- und Spannungsverläufen in Formierungsschränken geladen, wieder entladen und erneut angeladen. Dabei lagern sich Lithium-Ionen in die Kristallstruktur der mit Graphit beschichteten Anodenfolie an, und es wird die wichtige Grenzschicht zwischen dem Elektrolyt und der Elektrode gebildet.
Die Formierung bestimmt in einem hohen Maß die spätere Leistungsfähigkeit der Batterie. „Was ich hier nicht generiere, kann ich auch bei künftigen Ladevorgängen nicht mehr generieren“, erklärt Wagner. Der Prozess gehört deshalb auch zu den Kernkompetenzen eines Batteriezellenherstellers. Wagner vergleicht das Vorgehen mit dem Füllen einer Wasserflasche unter dem Wasserhahn: Voll aufgedreht bekommt man die Flasche nie randvoll, weil der Wasserstrahl immer auch bereits eingefülltes Wasser wieder herausdrängt. Tröpfchenweise befüllt wird die Flasche hingegen randvoll.
Genauso macht es Varta beim Formieren: Die Zellen werden lediglich mit einem Zehntel der normalen Ladeleistung befüllt. Das dauert länger – der gesamte Initialisierungsvorgang laden, entladen und erneutes anladen nimmt rund sieben Stunden in Anspruch – dafür haben die Zellen am Ende aber auch die Kapazität, dass sie den Namen Coinpower, mit dem Varta seine Lithium-Ionen-Knopfzellen getauft hat, zu
Recht tragen.
Alexander Wagner blickt auf einen Monitor, der auf einem Glaskasten neben den Formierungsschränken steht. Hier wird jede Batteriezelle noch einmal auf Spannung und Innenwiderstand geprüft. Ist alles okay, leuchtet das digitale Batteriezellenabbild auf dem Bildschirm grün, wenn nicht, rot. Der Schichtführer ist zufrieden – alles im grünen Bereich! Nun können die Warenträger mit den jeweils 64 Batteriezellen zur letzten Station, dem Röntgen. „Dort wird ein Schnitt durch jede einzelne Zelle gemacht, um die Wickellagen zu überprüfen“, erklärt Wagner. Die müssen nämlich exakt gleichmäßig sein. Geprüft wird dabei der Überstand, der im Vergleich zur Kathodenfolie um 0,5 Millimeter breiteren Anodenfolie, der auf beiden Seiten 2,5 zehntel Millimeter betragen soll.
„Ein ziemlich großer Aufwand für solch eine kleine Zelle“, fasst Wagner die Gesamtprozedur zusammen. Dass dabei nichts schiefläuft – dafür trägt er als Schichtleiter Verantwortung. Seit Juni 2019 ist der 31-Jährige bei Varta in Nördlingen, wo der Mdax-Konzern Lithium-IonenZellen für den Wachstumsmarkt der sogenannten Wearables fertigt – das sind Geräte, die direkt am Körper getragen werden wie kabellose Ohrhörer, Fitnessuhren oder Brillen mit Displays.
AUS DER
In diesem schnell wachsenden Segment reklamiert Varta bei der Batterietechnik die globale Markt- und Technologieführerschaft für sich.
Der Konzern profitiert dabei nicht nur von der stürmischen Nachfrage nach den Knopfzellen, weil die Verbraucher heute vor allem mobile, also kabellose Geräte verlangen. Diese Geräte müssen auch immer kleiner werden und immer mehr Funktionen bieten. Dafür braucht es leistungsfähigere Batterien. Und die Varta-Zellen, heißt es ganz unbescheiden am 30 Kilometer entfernten Stammsitz des Unternehmens in Ellwangen, haben eine höhere Leistung als alle anderen Konkurrenzprodukte am Markt.
Kein Wunder, dass die Kunden Schlange stehen und die Produktionskapazitäten im Varta-Dreieck Ellwangen, Nördlingen, Dischingen permanent erweitert werden. Die rosigen Aussichten und der inzwischen wieder glänzende Name Varta haben auch Alexander Wagner vor knapp drei Jahren bewogen, bei dem Unternehmen anzuklopfen. Der gelernte Fertigungsmechaniker und Industriemeister hat seine Berufslaufbahn beim Antennenhersteller Kathrein begonnen, ist im Zuge der Schließung des Kathrein-Standorts Bopfingen zu Bosch-Siemens-Hausgeräte nach Dillingen gewechselt und dann zum Automobilzulieferer Magna als Einrichter und stellvertretender Schichtleiter gegangen, ehe er sich auf die Stellenanzeige bei Varta beworben hat.
„Wenn man die Chance hat, in so ein Unternehmen zu kommen, ergreift man sie“, sagt Wagner, der immer schon „etwas mit Mitarbeiterführung“machen wollte. Als Schichtleiter ist er inzwischen verantwortlich für rund 50 Mitarbeiter. Gearbeitet wird im Dreischichtsystem, sieben Tage die Woche. Zu Wagners Aufgaben gehört die tägliche Einteilungsplanung. Er muss sicherstellen, dass alle Maschinen besetzt sind – in Zeiten von Corona mitunter eine Puzzelei. In sogenannten Shopfloor-Meetings haben alsdann die Mitarbeiter das Wort. Sie berichten Wagner über mögliche technische Probleme, es werden Informationen und Anregungen ausgetauscht – ein wichtiges Ritual, um den Datenfluss über die Hierarchieebenen zu gewährleisten.
Und dann sind da noch eine ganze Menge administrativer Aufgaben: Organisation, Planung, Kommunikation, Mitarbeiterführung, Entscheidungen treffen – und natürlich permanente Produktionsrundgänge und -kontrollen. „Auf meine 10 000 Schritte am Tag komme ich locker“, sagt Wagner, der einen gesunden Umgang mit Stress und ein Händchen beim „Troubleshooting“als notwendige Voraussetzungen für seine tägliche Arbeit nennt. Sein ruhiges Naturell kommt ihm dabei entgegen. An Varta als Arbeitgeber schätzt Wagner die flachen Hierarchien und das familiäre Miteinander, das sich nach seiner Einschätzung trotz der enorm gewachsenen Mannschaft am Standort Nördlingen gehalten hat.
Und dieses Wachstum wird wohl weitergehen. Davon ist Varta-Chef Herbert Schein überzeugt. „Die Batterie ist heute die strategische Zukunftskomponente“, sagt der Manager, der vor 27 Jahren als Applikationsingenieur bei Varta in Ellwangen angefangen hat – damals ein unbedeutender Produktionsstandort eines von Hannover aus geführten Unternehmens, heute das Gravitationszentrum eines Mdax-Konzerns, der nach vielen Irrungen und Wirrungen auf den Erfolgspfad zurückgefunden hat.
Die positiven Aussichten gründen sich auf das Potenzial der Lithium-Ionen-Technologie, in der Varta in vielen Bereichen Marktführer ist. Vorstandschef Schein zufolge ist die Technologie für die „nächsten zehn bis 15 Jahre“das Maß der Dinge im Batteriebau – nicht nur für Knopfzellen, wie sie in Nördlingen von Alexander Wagner produziert werden, sondern auch für Batterien für Elektroautos, für Bohrmaschinen, für Industrieroboter, für fahrerlose Transportsysteme und für Energiespeicher. Gerade erst hat das Unternehmen eine Hochleistungszelle vorgestellt, die unter anderem im Automobilbereich zum Einsatz kommen soll und die der Varta-Chef als „beste Zelle auf dem Markt“anpreist. Insbesondere bei der Energiedichte gebe es trotz der immensen Fortschritte der vergangenen Jahre noch Potenzial. Und wer, wenn nicht Varta mit seiner 135-jährigen Erfahrung im Batteriebau, sollte dieses Potenzial heben.
Ein Video aus der Produktion der Coinpower-Batterien bei Varta sowie alle „Geschichten aus der Industrie“gibt es im Netz unter www.schwaebische.de/industrie
Die Varta AG mit Hauptsitz in Ellwangen (Ostalbkreis) produziert Mikrobatterien, Haushaltsbatterien, Energiespeichersysteme und kundenspezifische Batterielösungen für eine Vielzahl von Anwendungen. Der börsennotierte Mdax-Konzern beschäftigt rund 4800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weltweit. Die wichtigsten Fertigungsstätten liegen im sogenannten Varta-Dreieck Ellwangen, Nördlingen, Dischingen. Im Jahr 2020 produzierte Varta rund drei Milliarden Batteriezellen und erwirtschaftete damit einen Umsatz von 870 Millionen Euro. Das Konzernergebnis betrug 95,5 Millionen Euro. Für das abgelaufene Jahr 2021 stellte Unternehmenschef Herbert Schein Erlöse von rund 900 Millionen Euro und eine operative Ergebnismarge vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen von 30 Prozent in Aussicht. (ank)