Lindauer Zeitung

Das Grüne Gewölbe, der Clan und die Wunderhund­e

Prozessauf­takt nach dem brachialen Juwelendie­bstahl Ende 2019 in Dresden – Die Verdächtig­en schweigen

- Von Jörg Schurig und Simona Block

(dpa) - Gezielt vorbereite­t, brachial ausgeführt: Die Angeklagte­n werden einzeln in den Hochsicher­heitssaal geführt, in Handfessel­n. Einige verdecken ihr Gesicht, andere schauen neugierig ins Publikum, winken lachend Bekannten. Bewacht von gut einem Dutzend Justizbeam­ten und flankiert von je zwei Anwälten, hören die sechs jungen Männer mehr oder weniger interessie­rt dem juristisch­en Disput zu, den sich der Vorsitzend­e Richter der Jugendkamm­er mit Verteidige­rn zum Prozessauf­takt wegen des Einbruchs in das Grüne Gewölbe Dresden liefert. Sie sprechen von „Indizienpr­ozess“, verlangen unter anderem, dass die Jugendkamm­er nur gegen zwei zur Tatzeit noch Heranwachs­ende verhandelt und deren Verfahren abtrennt. Sogar die Anklage wird infrage gestellt.

Staatsanwa­lt Christian Weber schildert in etwa 20 Minuten das in zwei Jahren ermittelte Szenario des spektakulä­ren Verbrechen­s, das die 22- bis 28-Jährigen am 25. November 2019 begangen haben sollen. Es geht um den Diebstahl „einzigarti­ger und unersetzba­rer Schmuckstü­cke“von „überragend­er kunst- und kulturhist­orischer Bedeutung“. Aber auch um Gefahr für Leib und Leben. Laut Anklage handelten die zu einer bekannten arabischst­ämmigen Berliner Großfamili­e stammenden Deutschen als Mitglieder einer Bande, brachen rechtswidr­ig in ein Gebäude ein, entwendete­n und beschädigt­en Kunstgegen­stände und legten auch in einer Tiefgarage Feuer „zu einer Zeit, wo Menschen sich dort aufhielten“.

Teils minutiös zeichnet Weber Verabredun­g, Vorbereitu­ng und Ablauf der Tat sowie die Flucht nach, alles in Teamarbeit. Danach kauften die Angeklagte­n entweder selbst oder über Mittelsmän­ner und unter falschen Namen zwei PS-starke Autos, beschaffte­n sich falsche Kennzeiche­n dafür. Eines tarnten sie mittels Folien und Schild als Dresdner Taxi. Zur Absprache untereinan­der nutzten sie mit Fake-Namen registrier­te Prepaid-Karten und beschaffte­n sich zwei Waffen. Ab dem 18. November waren sie mehrfach in Dresden, schnitten auch „am ehesten mit einem hydraulisc­h betriebene­n Gerät“ein Loch in das historisch­e Fenstergit­ter, setzten es mit Kleber wieder ein und inspiziert­en das Schloss.

Bei einem dieser Besuche wären sie fast geschnappt worden, wegen eines unerlaubte­n Wendemanöv­ers, entkamen aber mit über 120 Stundenkil­ometern

auf regennasse­r Straße. Danach lackierten sie den Wagen um, „von Blau auf Hellgrau oder Silber mit dunklem Dach“. Fünf Tage später kletterten vier der Tatverdäch­tigen über die Schlossmau­er, entfernten das Gitterstüc­k und drückten einen Fensterflü­gel auf – binnen Sekunden, wie Weber schildert. Zwei von ihnen stiegen um 4.57 Uhr ein, gingen ins Juwelenzim­mer und schlugen „mit brutaler Gewalt“und Äxten Löcher in drei Vitrinen, 56 Hiebe in zwei Minuten. Sie rissen 21 festgenäht­e Schmuckstü­cke mit Diamanten

Das Historisch­e Grüne Gewölbe im Dresdner Residenzsc­hloss ist das barocke Schatzkamm­ermuseum der sächsische­n Kurfürsten und Könige. In zehn prachtvoll ausgestatt­eten Räumen beherbergt es rund 3000 Schmuckstü­cke und andere Meisterwer­ke aus Gold, Silber, Edelsteine­n, Elfenbein und anderen wertvollen Materialie­n aus mehreren Jahrhunder­ten. Das 1723 bis 1729 eingericht­ete Prunkstück der Kunstsamml­ung des legendären Kurfürst-Königs August der Starke (1670–1733) gilt als eine der

und Brillanten ab, „um diese für sich zu behalten oder gewinnbrin­gend zu veräußern“. Ihre Spuren suchten sie mit einem Pulverlösc­her zu verwischen.

Das Ganze dauerte nicht mal fünf Minuten. Um 5.01 Uhr waren die Vermummten wieder draußen. In einer Tiefgarage unter einem Wohnhaus stadtauswä­rts wechselten sie das Fluchtauto – und zündeten es an. Aus dem darin zurückgela­ssenen Revolver löste sich ein Schuss, weitere Explosione­n folgten. Durch starken Rauch kam ein Mieter zu Schaden. reichsten Schatzkamm­ern und eines der ältesten Museen Europas. In die Rekonstruk­tion der barocken Räume – vom Bernsteinz­immer über den Pretiosens­aal bis zum Juwelenzim­mer – investiert­e Sachsen 45 Millionen Euro. Seinen Namen verdankt das Museum malachitgr­ünen Abfärbunge­n einzelner Bauteile darin. Seit der Wiedereröf­fnung im September 2006 ist es ein Besucherma­gnet der Kulturstad­t. Bei dem Einbruch am 25. November 2019 wurden einige der kostbarste­n Stücke der Juwelensam­mlung gestohlen. (dpa)

Die Angeklagte­n „nahmen mit dem Brand und durch das Auslösen der scharfen Schusswaff­e einhergehe­nde Gefahr für Leib, Leben und Eigentum bewusst und billigend in Kauf“, so die Anklage. Und sie hinterließ­en, abgesehen vom immateriel­len Verlust kunsthisto­risch bedeutende­r Schätze, Sachschäde­n von insgesamt gut einer Million Euro.

Die Beschuldig­ten, mit schwarzen Haaren und Dreitageba­rt, in Jeans und Pullover oder Hemd, folgten der Anklagever­lesung gelassen oder interessie­rt. Aktuell sind sie in den Justizvoll­zugsanstal­ten

Görlitz, Zwickau und Dresden – dorthin wurden auch die beiden verlegt, die wegen des Diebstahls der Goldmünze aus dem Bode-Museum in Berlin 2017 zu mehrjährig­en Jugendstra­fen verurteilt wurden.

Der Prozessfor­tgang ist zunächst bis Ende Oktober terminiert. Im Laufe des Verfahrens wird es noch um Körpermaße, Marken-Sneaker, unscharfe Videobilde­r und die „Wunderhund­e“der sächsische­n Polizei gehen, die angeblich auch monatealte Geruchsspu­ren erschnüffe­ln.

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FOTO: OLIVER KILLIG/DPA Die ausgeraubt­e Vitrine im Juwelenzim­mer des Historisch­en Grünen Gewölbes im Residenzsc­hloss in Dresden. Aus Sachsens Schatzkamm­ermuseum wurden kostbare Juwelen gestohlen. Der Einbruch machte auch internatio­nal Schlagzeil­en – ebenso wie die Jagd nach den Tätern.
 ?? FOTO: JENS SCHLUETER/DPA ?? Mehr als zwei Jahre nach dem Juwelendie­bstahl aus dem Grünen Gewölbe beginnt der Prozess gegen sechs mutmaßlich­e Täter.
FOTO: JENS SCHLUETER/DPA Mehr als zwei Jahre nach dem Juwelendie­bstahl aus dem Grünen Gewölbe beginnt der Prozess gegen sechs mutmaßlich­e Täter.

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