Das Grüne Gewölbe, der Clan und die Wunderhunde
Prozessauftakt nach dem brachialen Juwelendiebstahl Ende 2019 in Dresden – Die Verdächtigen schweigen
(dpa) - Gezielt vorbereitet, brachial ausgeführt: Die Angeklagten werden einzeln in den Hochsicherheitssaal geführt, in Handfesseln. Einige verdecken ihr Gesicht, andere schauen neugierig ins Publikum, winken lachend Bekannten. Bewacht von gut einem Dutzend Justizbeamten und flankiert von je zwei Anwälten, hören die sechs jungen Männer mehr oder weniger interessiert dem juristischen Disput zu, den sich der Vorsitzende Richter der Jugendkammer mit Verteidigern zum Prozessauftakt wegen des Einbruchs in das Grüne Gewölbe Dresden liefert. Sie sprechen von „Indizienprozess“, verlangen unter anderem, dass die Jugendkammer nur gegen zwei zur Tatzeit noch Heranwachsende verhandelt und deren Verfahren abtrennt. Sogar die Anklage wird infrage gestellt.
Staatsanwalt Christian Weber schildert in etwa 20 Minuten das in zwei Jahren ermittelte Szenario des spektakulären Verbrechens, das die 22- bis 28-Jährigen am 25. November 2019 begangen haben sollen. Es geht um den Diebstahl „einzigartiger und unersetzbarer Schmuckstücke“von „überragender kunst- und kulturhistorischer Bedeutung“. Aber auch um Gefahr für Leib und Leben. Laut Anklage handelten die zu einer bekannten arabischstämmigen Berliner Großfamilie stammenden Deutschen als Mitglieder einer Bande, brachen rechtswidrig in ein Gebäude ein, entwendeten und beschädigten Kunstgegenstände und legten auch in einer Tiefgarage Feuer „zu einer Zeit, wo Menschen sich dort aufhielten“.
Teils minutiös zeichnet Weber Verabredung, Vorbereitung und Ablauf der Tat sowie die Flucht nach, alles in Teamarbeit. Danach kauften die Angeklagten entweder selbst oder über Mittelsmänner und unter falschen Namen zwei PS-starke Autos, beschafften sich falsche Kennzeichen dafür. Eines tarnten sie mittels Folien und Schild als Dresdner Taxi. Zur Absprache untereinander nutzten sie mit Fake-Namen registrierte Prepaid-Karten und beschafften sich zwei Waffen. Ab dem 18. November waren sie mehrfach in Dresden, schnitten auch „am ehesten mit einem hydraulisch betriebenen Gerät“ein Loch in das historische Fenstergitter, setzten es mit Kleber wieder ein und inspizierten das Schloss.
Bei einem dieser Besuche wären sie fast geschnappt worden, wegen eines unerlaubten Wendemanövers, entkamen aber mit über 120 Stundenkilometern
auf regennasser Straße. Danach lackierten sie den Wagen um, „von Blau auf Hellgrau oder Silber mit dunklem Dach“. Fünf Tage später kletterten vier der Tatverdächtigen über die Schlossmauer, entfernten das Gitterstück und drückten einen Fensterflügel auf – binnen Sekunden, wie Weber schildert. Zwei von ihnen stiegen um 4.57 Uhr ein, gingen ins Juwelenzimmer und schlugen „mit brutaler Gewalt“und Äxten Löcher in drei Vitrinen, 56 Hiebe in zwei Minuten. Sie rissen 21 festgenähte Schmuckstücke mit Diamanten
Das Historische Grüne Gewölbe im Dresdner Residenzschloss ist das barocke Schatzkammermuseum der sächsischen Kurfürsten und Könige. In zehn prachtvoll ausgestatteten Räumen beherbergt es rund 3000 Schmuckstücke und andere Meisterwerke aus Gold, Silber, Edelsteinen, Elfenbein und anderen wertvollen Materialien aus mehreren Jahrhunderten. Das 1723 bis 1729 eingerichtete Prunkstück der Kunstsammlung des legendären Kurfürst-Königs August der Starke (1670–1733) gilt als eine der
und Brillanten ab, „um diese für sich zu behalten oder gewinnbringend zu veräußern“. Ihre Spuren suchten sie mit einem Pulverlöscher zu verwischen.
Das Ganze dauerte nicht mal fünf Minuten. Um 5.01 Uhr waren die Vermummten wieder draußen. In einer Tiefgarage unter einem Wohnhaus stadtauswärts wechselten sie das Fluchtauto – und zündeten es an. Aus dem darin zurückgelassenen Revolver löste sich ein Schuss, weitere Explosionen folgten. Durch starken Rauch kam ein Mieter zu Schaden. reichsten Schatzkammern und eines der ältesten Museen Europas. In die Rekonstruktion der barocken Räume – vom Bernsteinzimmer über den Pretiosensaal bis zum Juwelenzimmer – investierte Sachsen 45 Millionen Euro. Seinen Namen verdankt das Museum malachitgrünen Abfärbungen einzelner Bauteile darin. Seit der Wiedereröffnung im September 2006 ist es ein Besuchermagnet der Kulturstadt. Bei dem Einbruch am 25. November 2019 wurden einige der kostbarsten Stücke der Juwelensammlung gestohlen. (dpa)
Die Angeklagten „nahmen mit dem Brand und durch das Auslösen der scharfen Schusswaffe einhergehende Gefahr für Leib, Leben und Eigentum bewusst und billigend in Kauf“, so die Anklage. Und sie hinterließen, abgesehen vom immateriellen Verlust kunsthistorisch bedeutender Schätze, Sachschäden von insgesamt gut einer Million Euro.
Die Beschuldigten, mit schwarzen Haaren und Dreitagebart, in Jeans und Pullover oder Hemd, folgten der Anklageverlesung gelassen oder interessiert. Aktuell sind sie in den Justizvollzugsanstalten
Görlitz, Zwickau und Dresden – dorthin wurden auch die beiden verlegt, die wegen des Diebstahls der Goldmünze aus dem Bode-Museum in Berlin 2017 zu mehrjährigen Jugendstrafen verurteilt wurden.
Der Prozessfortgang ist zunächst bis Ende Oktober terminiert. Im Laufe des Verfahrens wird es noch um Körpermaße, Marken-Sneaker, unscharfe Videobilder und die „Wunderhunde“der sächsischen Polizei gehen, die angeblich auch monatealte Geruchsspuren erschnüffeln.