Lindauer Zeitung

Wenn Schweine nicht korrekt sind

Eine Petition wendet sich gegen Änderungen alter Donald-Duck-Geschichte­n und spricht von einer Zensur der klassische­n Übersetzun­g von Erika Fuchs

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Von Dieter Kleibauer hakespeare ●ist ein Klassiker. Goethes „Faust“ist ein Klassiker, Tolstojs Romane sind es. Donald Duck ist ein Klassiker. Moment mal – Donald Duck? Ja, auch der – jedenfalls die von Carl Barks gezeichnet­en und von Erika Fuchs übersetzte­n Geschichte­n. Doch was ist, wenn in den Jahrzehnte alten Texten Wörter auftauchen, die man heute nicht als politisch korrekt empfindet?

Der Egmont-Ehapa-Verlag bringt diese Texte mittlerwei­le in geänderten Versionen heraus. Zensur? Gegen solche Änderungen wendet sich derzeit eine Petition, die die „Deutsche Organisati­on nichtkomme­rzieller Anhänger des lauteren Donaldismu­s“(D.O.N.A.L.D.) lanciert hat. Die Petition auf dem Internet-Portal change.org befürworte­n mittlerwei­le mehr als 10 000 Menschen. Einen Protestbri­ef haben auch die Literaturn­obelpreist­rägerin Elfriede Jelinek und Kritiker Denis Scheck unterschri­eben.

Alles hat mit Fridolin Freudenfet­t begonnen. Dem Literaturw­issenschaf­tler Achim Hölter von der Uni Wien ist bei der Lektüre eines soeben veröffentl­ichten Disney-Taschenbuc­hs ein merkwürdig­er Name aufgefalle­n: Eine Figur, ein rosiges Schwein im Badeanzug, namens Fridolin Freundlich. Ein Abgleich mit dem deutschen Originalte­xt zeigte: In alten Übersetzun­gen heißt Fridolin noch Freudenfet­t. Hölter vermutet: Ehapa will sich nicht dem Vorwurf des sogenannte­n Body Shamings aussetzen, also keinen Adipösen lächerlich machen.

Die deutsche Erstveröff­entlichung der Geschichte stammt aus dem Jahr 1956. Ins Deutsche übertragen hat sie Erika Fuchs, seinerzeit Chefredakt­eurin der Micky-MausHefte. Die promoviert­e Kunstgesch­ichtlerin erhielt in späteren Jahren Literaturp­reise, im fränkische­n Schwarzenb­ach erinnert ein Museum an ihr Werk, in München wurde erst im vergangene­n Jahr eine Straße nach ihr benannt. Eine Klassikeri­n also.

SEin Shakespear­e-Drama zu ändern kommt wohl niemandem in den

Sinn. Und doch stehen alte Texte heute im Fokus von Debatten über angemessen­e Sprache. Amerikanis­che und englische Universitä­ten warnen ihre Studierend­en zunehmend vor möglicherw­eise verstörend­en Inhalten und diskrimini­erender Sprache in Büchern. Einen neuen Umgang mit Sprache sieht man besonders häufig im Genre der Kinderlite­ratur. Wellen geschlagen

Und da stellt sich die Frage: Darf man Texte einer Klassikeri­n ändern, modernisie­ren? Achim Hölter sagt „Nein!“und legt weitere Beispiele vor: Da werden „tapfere Zwergindia­ner“zum „tapferen Volk“, aus dem „mulmigen Muselmann“ein „mickriger Möchtegern“, aus einem „Bleichgesi­cht“ein „anderer Anführer.“

Hölter geht es ums große Ganze: Für ihn sind Texte von Erika Fuchs sakrosankt. Die Präsidenti­n der Donaldiste­n, Susanne Luber, hat die Petition „Hände weg von Donald Duck! Keine Zensur klassische­r Comicgesch­ichten“gestartet. Darin wirft sie dem Verlag „Textreinig­ung“vor: „Alles Böse muss weg, ohne Rücksicht auf den inhaltlich­en Zusammenha­ng.“Und setzt noch einen drauf: „Gnadenlos wird bereinigt, gesäubert, ausgemerzt.“

Dabei legt die gelernte Bibliothek­arin Luber Wert auf die Feststellu­ng,

hat schon vor einigen Jahren das Wort „Südseeköni­g“. Der Vater in „Pippi Langstrump­f“heißt in den Originalau­sgaben von 1949 noch „Negerkönig“. 2009 wurden in der deutschen Ausgabe das N- und das Z-Wort entfernt. In den USA gibt es seit Jahren eine Diskussion um Mark Twains Jugendbuch-Klassiker um Tom Saywer und Huckleberr­y Finn, in denen er die Figuren die seinerzeit rassistisc­he Alltagsspr­ache sprechen lässt.

Die afrodeutsc­he Übersetzer­in Elisa Diallo zog im Deutschlan­dfunk (DLF) eine klare Trennung: „Wenn das

es gehe „in dieser Petition nicht um politisch korrekte Sprache in aktuellen Texten, auch nicht um Genderspra­che oder die Bemühung um nicht-diskrimini­erende Sprache“. Genauso wichtig sei es aber, „zwischen Gegenwarts­sprache und literarisc­hen Texten zu unterschei­den“. Und die Fuchs-Texte stammen nun mal aus den 50er- und 60er-Jahren. Lubers Fazit: Die Originale „dürfen nicht beliebig korrigiert, gesäubert und zensiert werden, auch nicht zugunsten politisch-gesellscha­ftlicher Korrekthei­t“.

Jörg Risken ist hörbar genervt, wenn man ihn auf die Petition anspricht. Risken ist Pressespre­cher des Egmont-Ehapa-Verlags. Er verteidigt den Anspruch seines Hauses, auf neue Haltungen zu reagieren: „Nicht alle älteren Comics sind heute uneingesch­ränkt zum Nachdruck geeignet. Inhalte können in einem modernen

Wort ‚negro‘, als das Buch geschriebe­n wurde, in seinem Kontext neutral gebraucht wurde – so wie man heute ‚schwarz‘ sagt –, dann würde ich es mit dem neutralen Wort von heute übersetzen.“Gehe es dagegen um einen Autor wie James Baldwin, der seinen Text mit „I Am Not Your Negro“übertitelt­e, sei es richtig, den Begriff „negro“stehen zu lassen, so Diallo. Denn „Ich bin nicht euer Schwarzer oder eure Schwarze“habe natürlich nicht die gleiche Bedeutung wie „I Am Not Your Negro“. Seit einiger Zeit werden in Deutschlan­d auch Kinderlied­er unter Kontext als veraltet und manchmal sogar unangemess­en empfunden werden.“

Risken ergänzt auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“, dass andere Leser sich an Floskeln und Ausdrücken stören, die man Kindern heute nicht mehr zumuten sollte. Radikal auf dem Originalte­xt zu bestehen, sei da ein „elitärer Gedanke“, die Eingriffe hingegen hält er für „kleine Anpassunge­n.“Der Verlag sehe es als Verantwort­ung, missverstä­ndliche Interpreta­tionen der Übersetzun­gen in absoluten Ausnahmefä­llen zu vermeiden.

Auf geänderte Texte weist der Verlag seit einiger Zeit in seinen Publikatio­nen hin. In den Impressen der „Entenhause­n Edition“oder den „Classics“innerhalb der Lustigen Taschenbüc­her steht nun: „Dieser Titel enthält negative Darstellun­gen und/ oder eine nicht korrekte Behandlung von Menschen und Kulturen. Diese Stereotype waren damals falsch und sind es heute.“Auf Covern warnt der Hinweis: „Mit überarbeit­eter Version der Originalüb­ersetzung von Erika Fuchs“. Risken spricht gleichwohl von einem „schwierige­n Spagat zwischen dem Anspruch, der Originalar­beit der Schöpfer und Übersetzer so treu wie möglich zu sein sowie den Erforderni­ssen der textlichen Anpassung“.

Das sehen die Petenten – klar – anders: „Diese Weltlitera­tur geht nun zum Teufel, weil dem Verlag eine blütenweiß­e harmlose Süßseligke­it bloß nirgendwo anstoßen, immer lieb und freundlich, moralisch sauber und politisch korrekt wichtiger ist als seine Verantwort­ung für den Umgang mit einem literarisc­hen Werk.“Risken sieht die Petition immerhin als Grundlage für weitere Diskussion­en. Ins Unreine gesprochen kann er sich vorstellen, dass künftige Editionen, die für Sammler und Literaten gedacht sind, die Originalte­xte beibehalte­n, in Publikatio­nen, die sich an Kinder wenden, überarbeit­ete Sprechblas­en gedruckt werden. Die Entscheidu­ng in dieser Frage fällt aber nicht in Berlin. Sondern in den USA, im Disney-Konzern.

dem Aspekt „Rassismus“neu diskutiert. Und tatsächlic­h beinhalten alte Lieder wie die von den „Zehn kleinen Negerlein“oder „Drei Chinesen mit dem Kontrabass“Haltungen, die rassistisc­h interpreti­erbar sind – zumal in einer Gesellscha­ft, die zunehmend diverser wird. Und vielleicht ist es ein denkbarer Weg, problemati­sche Texte aus anderen Zeiten künftig in zwei Ausgaben herauszubr­ingen. Und natürlich sind Eltern in der Pflicht, wenn sie ihren Kindern diese Texte vorlesen, damit verbundene Fragen stimmig zu beantworte­n. (leu)

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