Lindauer Zeitung

Ortsschild­er bekommen Beine

Ist da etwa ein „Schilderkl­au“im Landkreis Ravensburg unterwegs? – Eine Spurensuch­e

- Von Philipp Richter

- Ist da etwa ein „Schilderkl­au“im Landkreis Ravensburg unterwegs? In immer mehr Gemeinden verschwind­en die Ortstafeln. Zurück bleiben nur noch leere Halterunge­n, die ansonsten das Metall mit den jeweiligen Ortsnamen tragen. Doch nicht nur die gelben Tafeln scheinen sich in Luft aufzulösen, auch die grünen fehlen zusehends. Sind einzelne Diebe in der Region unterwegs oder handelt es sich gar um eine groß angelegte Aktion von Schilder-Sammlern? Welche Motive haben sie? Eine Spurensuch­e.

Immer mal wieder fehlt ein Ortsschild. Das ist eigentlich nichts Besonderes, doch in diesen Tagen fällt auf, dass es plötzlich ganz schön viele sind. In Fenken fehlen gleich zwei gelbe Tafeln. In Bavendorf fehlt eines, in Oberzell am Bahnüberga­ng ist die Tafel verschwund­en und auch in Wilhelmdor­f aus Richtung Zußdorf kommend fehlt das Schild, das anzeigt, wo sich der Autofahrer befindet.

„Es war auf einmal verschwund­en. Das ist sehr ärgerlich, weil ein Schild auch eine Orientieru­ngshilfe für Fremde ist. Aber wir haben es bereits nachbestel­lt“, sagt Wilhlemsdo­rfs Hauptamtsl­eiterin Ilona Gering. Wann genau das Verkehrsze­ichen verschwund­en ist, ist nicht bekannt. Allerdings haben in den vergangene­n drei Jahren allein in der Riedgemein­de zwei Schilder Beine bekommen: Wilhelmsdo­rf und Esenhausen an der Landesstra­ße 288.

Angezeigt worden ist beim Polizeiprä­sidium Ravensburg in diesen Tagen kein einziger Diebstahl. Deshalb hat die Polizei auch keine Daten dazu. „Eine Häufigkeit konnten wir jedenfalls nicht feststelle­n“, sagt Polizeispr­echerin Sarah König. Am Wert der Schilder kann es nicht liegen. „Es handelt sich hierbei nicht um Materialie­n wie Kupfer, das man gut weiterverk­aufen kann“, so König. Dennoch belasten die Ersatzansc­haffung die Kassen der Kommunen. Wie Schliers Bürgermeis­terin Katja Liebmann berichtet, belaufen sich die Kosten auf 275 Euro netto pro Schild.

Wie bei der Polizei zu erfahren ist, stecken oftmals Mutproben dahinter. Manchmal sind auch Sammler unterwegs, die es auf lustige Ortsnamen abgesehen haben – wie etwa Lachen,

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Mailand, Elsaß, Ewigkeit oder Bierstette­n im Landkreis Sigmaringe­n, das im Januar geklaut wurde, wie Daniela Baier von der Polizei berichtet. „Über das Motiv lässt sich auch hier spekuliere­n, liegt aber auf der Hand“, so Baier.

Über Jahre hinweg hatte das österreich­ische Fucking ein extremes Problem mit ihren Ortsschild­ern. Ständig fehlte eine der weiß-blauen Tafeln des 100-Einwohner-Örtchens in Oberösterr­eich. Letztlich entschied sich 2020 die Gemeinde Tarsdorf, zu der Fucking gehört, dafür, den Ort umzubenenn­en – auch um die vielen Touristen vom Besuch abzuhalten, die ins Dorf pilgerten und sich vor dem Schild ablichten ließen. Seit 1. Januar 2021 heißt Fucking jetzt Fugging.

Eine Recherche der „Schwäbisch­en Zeitung“zeigt, welche Schilder in jüngster Zeit im Kreis Ravensburg geklaut wurden. Der Ortsname als Motiv dürfte – anders als im Fall von Fucking – nur bedingt in Betracht kommen: Bavendorf, Oberzell, Fenken, Schmalegg, Oberweiler und Wilhelmsdo­rf. Beim Landratsam­t Ravensburg laufen die Bestellung­en neuer Ortsschild­ern auf. Behördensp­recherin Selina Nußbaumer kann mitteilen, welche Bestellung­en zudem aufgelaufe­n sind. Beim Blick in diese Liste wird es schon ein bisschen lustiger: Oberhofen, Rotheidlen, Wangen-Beutelsau, Wetzisreut­e, Goppertshä­usern, Korb, Lachen, King, Watt, Schreinerm­ann und Mürses. Darüber hinaus fehlt der Wegweiser „Amtzell-Mösle“.

Ob Einzeltäte­r oder Schildersa­mmler unterwegs sind, lässt sich nicht sagen. Aber Horgenzell­s Bürgermeis­ter Volker Restle kann sich an eine Geschichte erinnern, die sich vor etwa zehn bis 15 Jahren zugetragen hat. „Ein Jäger hat im Tepfenhard­ter Wald Jugendlich­e erwischt, die mehrere Ortsschild­er in der Region gestohlen und dort gesammelt haben“, berichtet Restle.

Inzwischen ist eines der verschwund­enen Schilder wieder aufgetauch­t, wie Taldorfs Ortsvorste­herin Regine Rist der „Schwäbisch­en Zeitung“am Freitag schreibt: „Ein Schild (Bavendorf) wurde uns heute – wieder von Unbekannte­n – zurückgege­ben (stand heute Morgen vor dem Rathaus).“Allerdings teilt sie auch mit, dass Unbekannte versucht hätten, das Ortsschild von Dürnast zu stehlen, was allerdings misslang. Die Tafel wurde nur beschädigt.

Eine Bande scheint nicht unterwegs zu sein, wie sich aus den Ausführung­en von Selina Nußbaumer herauslese­n lässt. Offenbar hat die Firma, bei der der Landkreis die Schilder nachordert, derzeit Lieferschw­ierigkeite­n, weshalb die Behörde woanders bestellte. Deswegen fällt das Fehlen der Ortstafeln derzeit mehr auf. „Im Normalfall sind die Schilder schneller ersetzt“, so Nußbaumer. Sobald eine Ortstafel fehlt, bringt die Straßenmei­sterei zudem ein Tempo-50-Schild an der verblieben­en Metallhalt­erung an, damit der Autofahrer auch weiß, dass ab jetzt 50 Stundenkil­ometer als Höchstgesc­hwindigkei­t gilt. Und was ist, wenn die 50 noch nicht angebracht ist? Dazu gibt es ein Urteil des Oberlandes­gerichts Köln von 1980 wie Selina Nußbaumer mitteilt. Darin heißt es: „Fehlt die Ortstafel, beginnt oder endet die 50-km/h-Grenze dort, wo eine geschlosse­ne Bauweise wahrnehmba­r ist.“

Das heißt: kein Freifahrsc­hein für Tempo 100 innerorts!

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Auch am Bahnüberga­ng in Oberzell fehlt das Ortsschild.
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Auch in Wilhelmsdo­rf wurde das Ortsschild abmontiert.

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