Ortsschilder bekommen Beine
Ist da etwa ein „Schilderklau“im Landkreis Ravensburg unterwegs? – Eine Spurensuche
- Ist da etwa ein „Schilderklau“im Landkreis Ravensburg unterwegs? In immer mehr Gemeinden verschwinden die Ortstafeln. Zurück bleiben nur noch leere Halterungen, die ansonsten das Metall mit den jeweiligen Ortsnamen tragen. Doch nicht nur die gelben Tafeln scheinen sich in Luft aufzulösen, auch die grünen fehlen zusehends. Sind einzelne Diebe in der Region unterwegs oder handelt es sich gar um eine groß angelegte Aktion von Schilder-Sammlern? Welche Motive haben sie? Eine Spurensuche.
Immer mal wieder fehlt ein Ortsschild. Das ist eigentlich nichts Besonderes, doch in diesen Tagen fällt auf, dass es plötzlich ganz schön viele sind. In Fenken fehlen gleich zwei gelbe Tafeln. In Bavendorf fehlt eines, in Oberzell am Bahnübergang ist die Tafel verschwunden und auch in Wilhelmdorf aus Richtung Zußdorf kommend fehlt das Schild, das anzeigt, wo sich der Autofahrer befindet.
„Es war auf einmal verschwunden. Das ist sehr ärgerlich, weil ein Schild auch eine Orientierungshilfe für Fremde ist. Aber wir haben es bereits nachbestellt“, sagt Wilhlemsdorfs Hauptamtsleiterin Ilona Gering. Wann genau das Verkehrszeichen verschwunden ist, ist nicht bekannt. Allerdings haben in den vergangenen drei Jahren allein in der Riedgemeinde zwei Schilder Beine bekommen: Wilhelmsdorf und Esenhausen an der Landesstraße 288.
Angezeigt worden ist beim Polizeipräsidium Ravensburg in diesen Tagen kein einziger Diebstahl. Deshalb hat die Polizei auch keine Daten dazu. „Eine Häufigkeit konnten wir jedenfalls nicht feststellen“, sagt Polizeisprecherin Sarah König. Am Wert der Schilder kann es nicht liegen. „Es handelt sich hierbei nicht um Materialien wie Kupfer, das man gut weiterverkaufen kann“, so König. Dennoch belasten die Ersatzanschaffung die Kassen der Kommunen. Wie Schliers Bürgermeisterin Katja Liebmann berichtet, belaufen sich die Kosten auf 275 Euro netto pro Schild.
Wie bei der Polizei zu erfahren ist, stecken oftmals Mutproben dahinter. Manchmal sind auch Sammler unterwegs, die es auf lustige Ortsnamen abgesehen haben – wie etwa Lachen,
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Mailand, Elsaß, Ewigkeit oder Bierstetten im Landkreis Sigmaringen, das im Januar geklaut wurde, wie Daniela Baier von der Polizei berichtet. „Über das Motiv lässt sich auch hier spekulieren, liegt aber auf der Hand“, so Baier.
Über Jahre hinweg hatte das österreichische Fucking ein extremes Problem mit ihren Ortsschildern. Ständig fehlte eine der weiß-blauen Tafeln des 100-Einwohner-Örtchens in Oberösterreich. Letztlich entschied sich 2020 die Gemeinde Tarsdorf, zu der Fucking gehört, dafür, den Ort umzubenennen – auch um die vielen Touristen vom Besuch abzuhalten, die ins Dorf pilgerten und sich vor dem Schild ablichten ließen. Seit 1. Januar 2021 heißt Fucking jetzt Fugging.
Eine Recherche der „Schwäbischen Zeitung“zeigt, welche Schilder in jüngster Zeit im Kreis Ravensburg geklaut wurden. Der Ortsname als Motiv dürfte – anders als im Fall von Fucking – nur bedingt in Betracht kommen: Bavendorf, Oberzell, Fenken, Schmalegg, Oberweiler und Wilhelmsdorf. Beim Landratsamt Ravensburg laufen die Bestellungen neuer Ortsschildern auf. Behördensprecherin Selina Nußbaumer kann mitteilen, welche Bestellungen zudem aufgelaufen sind. Beim Blick in diese Liste wird es schon ein bisschen lustiger: Oberhofen, Rotheidlen, Wangen-Beutelsau, Wetzisreute, Goppertshäusern, Korb, Lachen, King, Watt, Schreinermann und Mürses. Darüber hinaus fehlt der Wegweiser „Amtzell-Mösle“.
Ob Einzeltäter oder Schildersammler unterwegs sind, lässt sich nicht sagen. Aber Horgenzells Bürgermeister Volker Restle kann sich an eine Geschichte erinnern, die sich vor etwa zehn bis 15 Jahren zugetragen hat. „Ein Jäger hat im Tepfenhardter Wald Jugendliche erwischt, die mehrere Ortsschilder in der Region gestohlen und dort gesammelt haben“, berichtet Restle.
Inzwischen ist eines der verschwundenen Schilder wieder aufgetaucht, wie Taldorfs Ortsvorsteherin Regine Rist der „Schwäbischen Zeitung“am Freitag schreibt: „Ein Schild (Bavendorf) wurde uns heute – wieder von Unbekannten – zurückgegeben (stand heute Morgen vor dem Rathaus).“Allerdings teilt sie auch mit, dass Unbekannte versucht hätten, das Ortsschild von Dürnast zu stehlen, was allerdings misslang. Die Tafel wurde nur beschädigt.
Eine Bande scheint nicht unterwegs zu sein, wie sich aus den Ausführungen von Selina Nußbaumer herauslesen lässt. Offenbar hat die Firma, bei der der Landkreis die Schilder nachordert, derzeit Lieferschwierigkeiten, weshalb die Behörde woanders bestellte. Deswegen fällt das Fehlen der Ortstafeln derzeit mehr auf. „Im Normalfall sind die Schilder schneller ersetzt“, so Nußbaumer. Sobald eine Ortstafel fehlt, bringt die Straßenmeisterei zudem ein Tempo-50-Schild an der verbliebenen Metallhalterung an, damit der Autofahrer auch weiß, dass ab jetzt 50 Stundenkilometer als Höchstgeschwindigkeit gilt. Und was ist, wenn die 50 noch nicht angebracht ist? Dazu gibt es ein Urteil des Oberlandesgerichts Köln von 1980 wie Selina Nußbaumer mitteilt. Darin heißt es: „Fehlt die Ortstafel, beginnt oder endet die 50-km/h-Grenze dort, wo eine geschlossene Bauweise wahrnehmbar ist.“
Das heißt: kein Freifahrschein für Tempo 100 innerorts!