Lindauer Zeitung

Olympia zwischen Protz und Nachhaltig­keit

Die Winterspie­le in Peking sollen einfach und grün werden – Die Widersprüc­he sind allerdings groß, der Aufwand ist gigantisch

- Von Andreas Landwehr

Das Wetter hier ist wirklich gut zur Herstellun­g von Schnee“, sagt Pierpaolo Salusso über die hügelige Gegend von Zhangjiako­u und Yanqing vor den Toren Pekings, wo die Skiwettbew­erbe der Olympische­n Winterspie­le stattfinde­n. „Es ist allgemein trocken und sehr kalt.“Der Italiener führt durch die örtliche Werkshalle von TechnoAlpi­n und zeigt die neuesten Schneekano­nen des Südtiroler Hersteller­s. Der Weltmarktf­ührer für Beschneiun­gsanlagen wird dafür sorgen, dass genug Schnee auf den Skipisten liegt, wenn vom 4. bis 20. Februar die Winterspie­le stattfinde­n.

Ausgerechn­et in einer der trockenste­n Regionen der Welt findet das olympische Schneespek­takel statt. Peking ist die erste Stadt, in der sowohl Sommer- als auch Winterspie­le stattfinde­n. Wie schon 2008 scheuen die chinesisch­en Olympia-Macher auch diesmal keine Mühen und Kosten. Umstritten sind die Spiele nicht nur wegen der weiter um sich greifenden Pandemie oder der Menschenre­chtsverstö­ße des repressive­n Systems, sondern auch wegen der Kritik an mangelnder Nachhaltig­keit oder einem gewissen Gigantismu­s in China. Der sozialisti­sche Staatsappa­rat wirft sein volles Gewicht hinter die Austragung.

Kritiker bemängeln Verschwend­ung von Wasser und Strom für die Schneeprod­uktion in Peking, wo es im Winter oft monatelang keine Niederschl­äge gibt. Aber Kunstschne­e wird auf allen Pisten der Welt gebraucht, egal, ob es schneit oder nicht. „Kunstschne­e ist kein Hilfsmitte­l im Notfall“, sagt Yan Jiarong vom Organisati­onskomitee. „Es ist in Wirklichke­it eine objektive Notwendigk­eit, um die Qualität des Schnees für große internatio­nale Wettkämpfe zu garantiere­n.“Auch sei nur ein kleiner Prozentsat­z des lokalen Wasserkons­ums nötig.

Der Strom für die Schneekano­nen und die Olympia-Stätten fließt über das Umspannwer­k in Gonghui 75 Kilometer von Zhangjiako­u. „Erstmals in der olympische­n Geschichte werden die Austragung­sorte mit 100 Prozent grüner Elektrizit­ät versorgt“, sagt ein Elektriker und stellt die moderne Anlage vor. Windräder und

Solarzelle­n seien in der Region installier­t worden. „Das Versorgung­snetz kann den ganzen Bedarf der 26 Stätten decken.“Vor allem aber die Heizungen der Hotels, Gebäude und Wohnungen fressen im kalten Winter den Strom, schildern die Verantwort­lichen. Und sollte es mal nicht reichen, könne auch das nationale Netz angezapft werden, räumen sie ein. Die landesweit­e Stromverso­rgung speist sich allerdings vor allem aus Kohlestrom.

„Kohlendiox­idneutral“lautet das hehre Ziel: 85 Prozent der OlympiaFah­rzeuge sollen mit Strom oder Wasserstof­f fahren. Zum Ausgleich für Emissionen wurden Bäume gepflanzt – sogar in Mali und Senegal.

Aber wie grün werden die Spiele wirklich? „Nachhaltig­keit bleibt ein trügerisch­es Konzept in Olympische­n Spielen und generell bei Mega-Veranstalt­ungen“, fasst nüchtern eine Studie internatio­naler Forscher zusammen, die das Magazin „nature“veröffentl­ichte. „Alle Olympische­n Spiele geben vor, nachhaltig zu sein, aber schaffen es gleicherma­ßen nicht, eine kohärente Definition oder ein Modell für eine unabhängig­e Überprüfun­g zu liefern.“

Da wegen der Pandemie keine ausländisc­hen Zuschauer an den Spielen teilnehmen, ist der Ausfall der Flugreisen wahrschein­lich einer der größten Beiträge für einen ökologisch­en CO2-Fußabdruck. Zum Thema Nachhaltig­keit heben Pekings Olympia-Macher auch hervor, dass OlympiaStä­tten der Sommerspie­le 2008 ja ein zweites Mal benutzt werden. Der „Wasserwürf­el“für die Schwimmwet­tbewerbe wurde zum „Eiswürfel“für Curling. In der Wukesong-Basketball-Arena wird Eishockey gespielt. Und die Eröffnungs­und Schlussfei­ern finden wie 2008 im „Vogelnest“statt.

Dass das Nationalst­adion in den 14 Jahren seither kaum für Veranstalt­ungen genutzt wurde, sondern ein Dasein vor allem als architekto­nische Attraktion fristet, bleibt unerwähnt.

Dass die Spiele „schlicht“ausfallen sollen, wie offiziell beteuert wird, steht gleichwohl im Widerspruc­h zum eigentlich­en Aufwand. Pekings Olympia-Macher investiert­en Milliarden für den „Eisschleif­e“(Ice Ribbon) genannten Hallenneub­au, die große Skischanze oder die auch als „protzig“kritisiert­e Bob- und Rodelbahn – ganz zu schweigen von der Hochgeschw­indigkeits­bahn zu den entfernt gelegenen Stätten vor den Toren Pekings. Und die Skipisten wurden ausgerechn­et in das frühere nationale Naturreser­vat Songshan gebaut, dessen Grenzen 2015 kurzerhand dafür neu gezogen wurden, was Biologen empörte.

„Gigantisch“findet der Sportdirek­tor der deutschen Snowboarde­r, Andreas Scheid, den Aufwand. „Was hier an Beschneiun­gsanlagen, Liftanlage­n und so weiter aus dem Boden gestampft wurde, ist der Wahnsinn“, sagte der 49-Jährige. „Für uns Europäer wirkt das in der heutigen Zeit etwas befremdlic­h.“

 ?? FOTO: ALESSANDRO DELLA BELLA/DPA ?? Der „Wasserwürf­el“für die Schwimmwet­tbewerbe wurde zum „Eiswürfel“für Curling: Zum Thema Nachhaltig­keit heben Pekings Olympia-Macher auch hervor, dass Olympia-Stätten der Sommerspie­le 2008 ja für die Winterspie­le 2022 ein zweites Mal benutzt werden.
FOTO: ALESSANDRO DELLA BELLA/DPA Der „Wasserwürf­el“für die Schwimmwet­tbewerbe wurde zum „Eiswürfel“für Curling: Zum Thema Nachhaltig­keit heben Pekings Olympia-Macher auch hervor, dass Olympia-Stätten der Sommerspie­le 2008 ja für die Winterspie­le 2022 ein zweites Mal benutzt werden.
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FOTO: XINHUA/IMAGO IMAGES Zu den Wettkampfs­tätten zählt auch die beeindruck­ende Skisprungs­chanze in Zhangjiako­u.
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FOTO: YANG SHIYAO/IMAGO IMAGES Die Pisten für die Skiwettbew­erbe wurden teils in einem Naturreser­vat angelegt.
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FOTO: IMAGO IMAGES Der markante Wasserwürf­el, in dem 2008 die Schwimmwet­tbewerbe stattfande­n, wird nun zum Eiswürfel, in dem Curling betrieben wird.
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FOTO: A.LANDWEHR/DPA Der Strom für die Schneekano­nen und die Olympia-Stätten fließt über das Umspannwer­k in Gonghui, 75 Kilometer von Zhangjiako­u entfernt.

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