Studie legt Zahlen zum Kiesexport offen
Niedrige Preise in der deutschen Bodenseeregion machen Handel mit Nachbarn lukrativ
- Noch nie hat es so viel Widerstand gegen Kiesabbau gegeben wie im Landkreis Ravensburg. Im Altdorfer Wald bei Ravensburg haben Klimaaktivisten aus Protest gegen eine neue Grube Bäume besetzt, Bürgerinitiativen haben Unterschriften gesammelt und in den Dörfern wurde demonstriert. Ein Streitpunkt in der Region Bodensee-Oberschwaben ist die Frage, wie viel des begehrten Baurohstoffs für heimische Baustellen benötigt wird und wie viel exportiert wird. Aktivisten prangern an, dass mineralische Rohstoffe in großem Stil nach Vorarlberg und die Schweiz exportiert würden, weil Kies und Sand dort teurer sind und der Abbau strengeren Regeln unterliege als in Deutschland. Deshalb strahlt der Konflikt weit über die Landesgrenzen hinaus. Erstmals gibt es nun eine Studie, die Zahlen zum Kiesexport in der Bodenseeregion offenlegt. Sie liegt der „Schwäbischen Zeitung“vor.
Das Institut für angewandte Wirtschaftsforschung der Universität Tübingen hat die Studie erstellt. Sie zeigt, dass die Gründe für den Export vielfältig sind: So spielen sowohl die teilweise gewaltigen Preisunterschiede in der Vier-Länder-Region eine Rolle als auch die Gegebenheiten vor Ort. Die Zahlen erstaunen, doch es gibt einige Unschärfen – vor allem was den Landkreis Ravensburg anbelangt.
Lange hat die Region auf die Studie gewartet, die sich die Internationale Bodenseekonferenz (IBK) als Diskussionsgrundlage gewünscht hat. Die wissenschaftliche Arbeit deckt die IBK-Region ab, zu der auf baden-württembergischer Seite der Bodenseekreis, die Landkreise Ravensburg, Sigmaringen und Konstanz gehören, der Landkreis Lindau in Bayern, das österreichische Vorarlberg, das Fürstentum Liechtenstein und die grenznahen Schweizer Kantone.
Zentrale Erkenntnis der Studie: Die abgebauten Rohstoffe werden in der Regel im Umkreis oder in der Region der jeweiligen Grube abgesetzt. Die meisten Transporte spielen sich im Umkreis von 50 Kilometer um die Abbaustandorte ab. Nur wenige Unternehmen liefern weiter. Die Studie bestätigt aber auch, dass Kies aus Baden-Württemberg ins benachbarte Vorarlberg und in die grenznahen Schweizer Kantone geliefert wird – hauptsächlich mit Lastwagen, aber auch mit den Bodenseefähren Friedrichshafen-Romanshorn und Meersburg-Konstanz.
Nach der Befragung von Unternehmen kommen die Autoren der Studie zu dem Schluss, dass etwa 94,5 Prozent des in der baden-württembergischen Teilregion der IBK produzierten Rohstoffs im Bundesland bleibt. Sprich: 5,5 Prozent des geförderten Rohstoffs wird exportiert. Sehr belastbar ist diese Zahl nicht, wenn man Rückschlüsse auf den Landkreis Ravensburg ziehen will, der Epizentrum des Protests gegen den Kiesabbau ist. Auffällig ist: Nur vier Kiesabbaustandorte von 18 im Landkreis Ravensburg haben sich an der Studie beteiligt. Damit ist der Kreis untererfasst, worauf auch die Autoren der Studie hinweisen. Der Anteil des Exports dürfte in dieser Region also höher sein.
Konkrete Zahlen lassen sich nur schwer erfassen. Die Autoren der Studie haben die von ihnen erhobenen Zahlen mit der Außenhandelsstatistik von Baden-Württemberg abgeglichen und haben Bezug genommen auf eine Studie aus Vorarlberg aus dem Jahr 2018, die von einem Kiesimport aus Deutschland in Höhe von 660 000 Tonnen jährlich ausgeht. Die Exportmenge an Kies in die Schweiz aus Baden-Württemberg wird mit 700 000 Tonnen berechnet.
Die Gründe für den Handel mit den Alpenstaaten sind vielfältig. In der Region gibt es ein deutliches Preisgefälle. Der Preis für mineralische Rohstoffe in Österreich und in der Schweiz ist bis zu doppelt so hoch wie in Deutschland. Ähnliches trifft auf die Transportkosten zu. Zudem spielt auch die Verfügbarkeit von geförderten Rohstoffen vor Ort eine Rolle. Herrscht Mangel an gefördertem Kies, wird dieser von deutscher Seite importiert.
Das Umweltministerium sieht in der Studie „eine solide Datengrundlage für eine faktenbasierte Diskussion“geschaffen, wie das Haus von Thekla Walker (Grüne) auf Nachfrage der „Schwäbischen Zeitung“schreibt. Und weiter: „Richtig ist aber auch: Aufgrund der unter den Erwartungen liegenden und regional unterschiedlichen Beteiligung bei der Unternehmensbefragung sind die Ergebnisse mit gewissen Unschärfen behaftet, die – auch unter Berücksichtigung der vorhandenen statistischen Daten – nicht völlig aufgelöst werden können.“Am 1. Februar wird das Papier erstmals dem Ministerrat vorgestellt.
Im Fazit schreiben die Autoren, „dass sich sowohl Politik als auch Wirtschaft und Gesellschaft weiter intensiv mit der wichtigen Frage befassen, wie zukünftig die notwendige Versorgung unserer Gesellschaft mit mineralischen Rohstoffen noch besser sowohl mit den berechtigten Interessen der von Abbau und Transport mineralischer Rohstoffe Betroffenen vor Ort und vor allem auch mit den Belangen des Umweltschutzes vereinbart werden kann.“
Walker zieht aus den Erkenntnissen diesen Schluss: „Die aktuellen Exportzahlen geben keinen Anlass zur Sorge. Für die Zukunft sollte jedoch Vorsorge getroffen werden, dass sich die Rahmenbedingungen nicht ändern und die Exportquoten nicht ansteigen. Hierzu müssen alle Teilregionen ihre Hausaufgaben erledigen und neue Abbaustätten sichern, ausweisen und genehmigen.“Die Teilregionen müssten also selbst für den Abbau von mineralischen Rohstoffen sorgen und sie dürften sich nicht auf Lieferungen aus Deutschland verlassen. Der in der Region Bodensee-Oberschwaben geäußerte Wunsch nach einer Kiesabgabe nach Vorarlberger Vorbild hätte nach Einschätzungen der Studie wohl wenig Auswirkungen auf den Außenhandel. Außerdem dürfte die Einführung einer solchen Abgabe schwierig sein, da sie nach Einschätzung von Experten einer gesetzlichen Grundlage bedarf. In Vorarlberg wird eine sogenannte Naturschutzabgabe pro geförderte Tonne Kies erhoben. Sie macht 2,2 Prozent des Produktpreises aus.
An der Studie haben sich 50 der 158 angeschriebenen Kies- und Rohstoffabbauunternehmen in der IBKRegion beteiligt. Dies entspricht 131 Abbaustandorten. 52 Prozent der baden-württembergischen Unternehmen nahmen teil. Aus der Schweiz waren es 32,3 Prozent, aus Vorarlberg 37,5 Prozent, aus Bayern 15 Prozent und aus Liechtenstein 72,7 Prozent. Die Studie kostete knapp 91 200 Euro und wurde hauptsächlich vom Land Baden-Württemberg finanziert.