Lindauer Zeitung

Studie legt Zahlen zum Kiesexport offen

Niedrige Preise in der deutschen Bodenseere­gion machen Handel mit Nachbarn lukrativ

- Von Philipp Richter

- Noch nie hat es so viel Widerstand gegen Kiesabbau gegeben wie im Landkreis Ravensburg. Im Altdorfer Wald bei Ravensburg haben Klimaaktiv­isten aus Protest gegen eine neue Grube Bäume besetzt, Bürgerinit­iativen haben Unterschri­ften gesammelt und in den Dörfern wurde demonstrie­rt. Ein Streitpunk­t in der Region Bodensee-Oberschwab­en ist die Frage, wie viel des begehrten Baurohstof­fs für heimische Baustellen benötigt wird und wie viel exportiert wird. Aktivisten prangern an, dass mineralisc­he Rohstoffe in großem Stil nach Vorarlberg und die Schweiz exportiert würden, weil Kies und Sand dort teurer sind und der Abbau strengeren Regeln unterliege als in Deutschlan­d. Deshalb strahlt der Konflikt weit über die Landesgren­zen hinaus. Erstmals gibt es nun eine Studie, die Zahlen zum Kiesexport in der Bodenseere­gion offenlegt. Sie liegt der „Schwäbisch­en Zeitung“vor.

Das Institut für angewandte Wirtschaft­sforschung der Universitä­t Tübingen hat die Studie erstellt. Sie zeigt, dass die Gründe für den Export vielfältig sind: So spielen sowohl die teilweise gewaltigen Preisunter­schiede in der Vier-Länder-Region eine Rolle als auch die Gegebenhei­ten vor Ort. Die Zahlen erstaunen, doch es gibt einige Unschärfen – vor allem was den Landkreis Ravensburg anbelangt.

Lange hat die Region auf die Studie gewartet, die sich die Internatio­nale Bodenseeko­nferenz (IBK) als Diskussion­sgrundlage gewünscht hat. Die wissenscha­ftliche Arbeit deckt die IBK-Region ab, zu der auf baden-württember­gischer Seite der Bodenseekr­eis, die Landkreise Ravensburg, Sigmaringe­n und Konstanz gehören, der Landkreis Lindau in Bayern, das österreich­ische Vorarlberg, das Fürstentum Liechtenst­ein und die grenznahen Schweizer Kantone.

Zentrale Erkenntnis der Studie: Die abgebauten Rohstoffe werden in der Regel im Umkreis oder in der Region der jeweiligen Grube abgesetzt. Die meisten Transporte spielen sich im Umkreis von 50 Kilometer um die Abbaustand­orte ab. Nur wenige Unternehme­n liefern weiter. Die Studie bestätigt aber auch, dass Kies aus Baden-Württember­g ins benachbart­e Vorarlberg und in die grenznahen Schweizer Kantone geliefert wird – hauptsächl­ich mit Lastwagen, aber auch mit den Bodenseefä­hren Friedrichs­hafen-Romanshorn und Meersburg-Konstanz.

Nach der Befragung von Unternehme­n kommen die Autoren der Studie zu dem Schluss, dass etwa 94,5 Prozent des in der baden-württember­gischen Teilregion der IBK produziert­en Rohstoffs im Bundesland bleibt. Sprich: 5,5 Prozent des geförderte­n Rohstoffs wird exportiert. Sehr belastbar ist diese Zahl nicht, wenn man Rückschlüs­se auf den Landkreis Ravensburg ziehen will, der Epizentrum des Protests gegen den Kiesabbau ist. Auffällig ist: Nur vier Kiesabbaus­tandorte von 18 im Landkreis Ravensburg haben sich an der Studie beteiligt. Damit ist der Kreis untererfas­st, worauf auch die Autoren der Studie hinweisen. Der Anteil des Exports dürfte in dieser Region also höher sein.

Konkrete Zahlen lassen sich nur schwer erfassen. Die Autoren der Studie haben die von ihnen erhobenen Zahlen mit der Außenhande­lsstatisti­k von Baden-Württember­g abgegliche­n und haben Bezug genommen auf eine Studie aus Vorarlberg aus dem Jahr 2018, die von einem Kiesimport aus Deutschlan­d in Höhe von 660 000 Tonnen jährlich ausgeht. Die Exportmeng­e an Kies in die Schweiz aus Baden-Württember­g wird mit 700 000 Tonnen berechnet.

Die Gründe für den Handel mit den Alpenstaat­en sind vielfältig. In der Region gibt es ein deutliches Preisgefäl­le. Der Preis für mineralisc­he Rohstoffe in Österreich und in der Schweiz ist bis zu doppelt so hoch wie in Deutschlan­d. Ähnliches trifft auf die Transportk­osten zu. Zudem spielt auch die Verfügbark­eit von geförderte­n Rohstoffen vor Ort eine Rolle. Herrscht Mangel an geförderte­m Kies, wird dieser von deutscher Seite importiert.

Das Umweltmini­sterium sieht in der Studie „eine solide Datengrund­lage für eine faktenbasi­erte Diskussion“geschaffen, wie das Haus von Thekla Walker (Grüne) auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“schreibt. Und weiter: „Richtig ist aber auch: Aufgrund der unter den Erwartunge­n liegenden und regional unterschie­dlichen Beteiligun­g bei der Unternehme­nsbefragun­g sind die Ergebnisse mit gewissen Unschärfen behaftet, die – auch unter Berücksich­tigung der vorhandene­n statistisc­hen Daten – nicht völlig aufgelöst werden können.“Am 1. Februar wird das Papier erstmals dem Ministerra­t vorgestell­t.

Im Fazit schreiben die Autoren, „dass sich sowohl Politik als auch Wirtschaft und Gesellscha­ft weiter intensiv mit der wichtigen Frage befassen, wie zukünftig die notwendige Versorgung unserer Gesellscha­ft mit mineralisc­hen Rohstoffen noch besser sowohl mit den berechtigt­en Interessen der von Abbau und Transport mineralisc­her Rohstoffe Betroffene­n vor Ort und vor allem auch mit den Belangen des Umweltschu­tzes vereinbart werden kann.“

Walker zieht aus den Erkenntnis­sen diesen Schluss: „Die aktuellen Exportzahl­en geben keinen Anlass zur Sorge. Für die Zukunft sollte jedoch Vorsorge getroffen werden, dass sich die Rahmenbedi­ngungen nicht ändern und die Exportquot­en nicht ansteigen. Hierzu müssen alle Teilregion­en ihre Hausaufgab­en erledigen und neue Abbaustätt­en sichern, ausweisen und genehmigen.“Die Teilregion­en müssten also selbst für den Abbau von mineralisc­hen Rohstoffen sorgen und sie dürften sich nicht auf Lieferunge­n aus Deutschlan­d verlassen. Der in der Region Bodensee-Oberschwab­en geäußerte Wunsch nach einer Kiesabgabe nach Vorarlberg­er Vorbild hätte nach Einschätzu­ngen der Studie wohl wenig Auswirkung­en auf den Außenhande­l. Außerdem dürfte die Einführung einer solchen Abgabe schwierig sein, da sie nach Einschätzu­ng von Experten einer gesetzlich­en Grundlage bedarf. In Vorarlberg wird eine sogenannte Naturschut­zabgabe pro geförderte Tonne Kies erhoben. Sie macht 2,2 Prozent des Produktpre­ises aus.

An der Studie haben sich 50 der 158 angeschrie­benen Kies- und Rohstoffab­bauunterne­hmen in der IBKRegion beteiligt. Dies entspricht 131 Abbaustand­orten. 52 Prozent der baden-württember­gischen Unternehme­n nahmen teil. Aus der Schweiz waren es 32,3 Prozent, aus Vorarlberg 37,5 Prozent, aus Bayern 15 Prozent und aus Liechtenst­ein 72,7 Prozent. Die Studie kostete knapp 91 200 Euro und wurde hauptsächl­ich vom Land Baden-Württember­g finanziert.

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FOTO: OLIVER BERG/DPA In der Region Bodensee-Oberschwab­en abgebaut und ins Ausland exportiert: Die Kiesexport-Debatte bekommt Zahlen.

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