Hoffnung auf die Pille gegen Corona
Welche Rolle neue Medikamente im Kampf gegen die Pandemie spielen können
- Seit über einem Jahr wird gegen Corona geimpft. Aber auch die zweite Schutzmauer, die durch Medikamente, wird immer höher gezogen. Besonders große Hoffnungen weckt das neue antivirale Mittel mit dem Handelsnamen Paxlovid, das soeben von der europäischen Arzneimittelagentur EMA zur Zulassung empfohlen wurde und bald auch in Deutschland verfügbar sein soll. Kommt jetzt die Pille gegen Corona? Fragen und Antworten zum Stand der Dinge.
Wie groß ist der MedikamentenErfolg bisher?
Mittel gegen Corona seien in einer „unglaublichen Geschwindigkeit“entwickelt worden, sagt der Hamburger Infektionsmediziner Christian Hoffmann. Immerhin dauere es von Projektbeginn bis zur Zulassung normalerweise zehn Jahre oder mehr. Von einem gut gefüllten „Werkzeugkasten“sprach der Chefarzt der Infektiologie an der Münchner Klinik Schwabing, Clemens Wendtner, vor einigen Tagen.
Laut dem US-Verband BIO werden derzeit mehr als 630 Medikamente auf Einsatzmöglichkeiten gegen Covid-19 getestet. Das sind Mittel gegen das Virus selbst und Wirkstoffe gegen Folgeerkrankungen der Infektion. Der „nächste Meilenstein“wäre dann, so der Virologe Christian Drosten vor Kurzem, eine Lebendimpfung durch die Nase: Das könnte verhindern, dass die Viren überhaupt in den Körper gelangen.
Warum weckt Paxlovid nun so hohe Erwartungen?
In einer Zulassungsstudie, die von der US-Arzneimittelbehörde FDA überwacht wurde, hat sich das Medikament als sehr wirksam erwiesen. Bei einer Zwischenauswertung ergab sich eine Reduktion von 89 Prozent der schweren Verläufe. Die FDA entschied daraufhin, dass es nicht mehr zu rechtfertigen sei, der Kontrollgruppe weiterhin Placebo zu verabreichen und ihr damit eine äußerst erfolgversprechende Behandlung vorzuenthalten.
Beim US-Hersteller Pfizer ist schon von einem „Wendepunkt in der Pandemie“die Rede. InfektionsDrittens mediziner Hoffmann warnt dagegen: „Man muss sehr genau hingucken, wo und wie solche Studien angelegt sind.“Der Münchner Infektiologe Christoph Spinner hält die antiviralen Medikamente wie Paxlovid für einen „weiteren Puzzlestein“bei der Bewältigung von Corona, „aber sie sind keine Wundermittel“. Er fügt hinzu: „Der Gamechanger sind und bleiben die Impfungen.“
Wie funktioniert das neue Medikament?
Paxlovid ist ein sogenannter Protease-Inhibitor: Es wird also ein bestimmtes Enzym, das zur Vermehrung des Virus erforderlich ist, blockiert. Mit dem Prinzip gibt es viele gute Erfahrungen bei der Behandlung von HIV und auch von Hepatitis-Viren. Der zweite Pluspunkt ist die Anwendung: Paxlovid gibt es, wie auch das allerdings etwas anders wirkende Molnupiravir, als Tablette. Daher kann es zu Hause eingenommen werden, während die bisherigen Mittel intravenös gegeben werden müssen. „Das ist ein ganz entscheidender Punkt“, sagt Hoffmann.
wirkt das Medikament wahrscheinlich auch bei allen bisher aufgetretenen Varianten: Mutationen im Spike-Protein an der Oberfläche können der Wirkung nichts anhaben. Allerdings muss es, wie alle antivirale Medikamente, so schnell wie möglich, also innerhalb von fünf Tagen ab Symptombeginn, verabreicht werden. Und das, sagt auch Spinner, ist oft schwierig: „Bis die ersten Symptome zur Diagnose führen, vergehen schnell mehrere Tage.“
Welche Probleme sind zu erwarten?
Paxlovid besteht aus zwei Wirkstoffen: Nirmatrelvir und Ritonavir. Letzteres ist eine Art Booster, der allerdings auch andere eingenommene Medikamente verstärken kann. Weswegen ausgerechnet bei Patienten, die Vorerkrankungen haben und deswegen medikamentös behandelt werden, mit Wechselwirkungen zu rechnen ist. Hoffmann kennt das Problem von der Behandlung HIVInfizierter. „Es können schwere Nebenwirkungen bei Patienten auftreten, die Ritonavir zusammen mit zum Beispiel Asthmamitteln, Cholesterinsenkern und bestimmten Blutverdünnern nehmen.“
Wer sollte die neuen Medikamente bekommen?
Das ist eine schwierige Frage vor allem angesichts der Verfügbarkeit – und der Kosten. Der Bund hat nach Angaben des Gesundheitsministeriums bislang eine Million Einheiten Paxlovid reserviert. „Erste Therapieeinheiten des Arzneimittels sollen im Februar für die Versorgung in Deutschland zur Verfügung stehen“, teilte das Ministerium mit. Die Kosten liegen bei rund 700 Euro pro Packung, die wiederum die Dosis für die nötige fünftägige Behandlung enthält. Zielgruppe sind nach Angaben der Regierung „Patienten mit einem erhöhten Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf“. Das konkret zu entscheiden, ist für die Ärzte aber nicht einfach. Die bisherigen Studien wurden nur an ungeimpften Probanden durchgeführt. Hoffmann weist darauf hin, dass die erwartbar milderen Verläufe bei
Omikron sich auf die auswirken.
Risikoeinschätzung
Was wurde denn eigentlich aus Remdesivir?
Das ursprünglich gegen Ebola entwickelte Medikament Remdesivir war das erste und für lange Zeit einzige Arzneimittel, das in der EU gegen Covid-19 zugelassen wurde. Viele dürften es auch mit dem bekanntesten Patienten, der damit behandelt wurde – dem ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump – in Verbindung bringen. Mittlerweile spricht sich die Weltgesundheitsorganisation gegen eine Behandlung mit Remdesivir aus, weil das Medikament, das als Infusionslösung bei einer Lungenentzündung verabreicht wird, die Überlebenschancen nicht erhöht. Auch der Gemeinsame Bundesausschuss kann für schwer erkrankte Patienten „keinen Zusatznutzen feststellen“.
Corona-News aus der Region: www.schwäbische.de/coronablog
Die Frage, ob eine Impfpflicht noch notwendig ist, wenn Medikamente wie Paxlovid hochwirksam einen schweren Verlauf mit Covid-19 verhindern, rückt immer mehr in den Fokus der Politik. Justizminister Marco Buschmann (FDP) sagte bei der Orientierungsdebatte im Bundestag, dass man, wenn die sehr vielversprechenden antiviralen Medikamente schnell und flächendeckend zur Verfügung stünden, darüber nachdenken müsse, ob nicht auch dies ein Beitrag wäre, um Intensivstationen und Krankenhäuser vor Überlastung zu schützen. Paula Piechotta sieht das ähnlich. Die Grünen-Politikerin sagt im Gespräch, dass eine Reduzierung der Hospitalisierung um 80 Prozent oder mehr „ein Faktor ist, den man bei der Entscheidung berücksichtigen muss“. Allerdings sei dies nicht der einzige Punkt. Wenn es um die Impfpflicht geht, stellen sich auch andere Fragen. Schützt Paxlovid auch gegen eine mögliche neue Variante im Herbst? „Das ist wahrscheinlich, aber wir wissen es nicht.“Selbiges gelte für den Praxistest hinsichtlich der guten Verträglichkeit. Heike Baehrens, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD, hält das Pfizer-Medikament zwar für ein „wichtiges Werkzeug im Instrumentenkasten“der Pandemiebekämpfung, eine Impfpflicht könne es aber nicht ersetzen: „Ich halte es für besser, eine Infektion zu verhindern, als sie heilen zu müssen.“Unionsfraktionsvize Sepp Müller hofft, dass die Beschäftigten im Gesundheitswesen nach einer Zulassung von Paxlovid bald ein wenig durchatmen können. Eine Impfung könne das Medikament allerdings nicht ersetzen. Auch der FDP-Gesundheitspolitiker Andrew Ullmann betont, dass Paxlovid kein Ersatz für die Vakzine sein kann. Allerdings könne der Krankheit Covid-19 durch wirksame Medikamente der nächste Schrecken genommen werden. Das Ziel sei es, sagt Ullmann, der sich für eine Impfpflicht ab 50 Jahren ausspricht, dass irgendwann keine CoronaMaßnahmen im Alltag mehr notwendig sein werden. (dgu)