Lindauer Zeitung

Italiens Politiker verwehren Mattarella den Ruhestand

Staatspräs­ident gegen seinen Willen wiedergewä­hlt – Als Stabilität­sanker unverzicht­bar

- Von Johannes Neudecker

(dpa) - Eigentlich war Sergio Mattarella schon so gut wie weg aus Rom. Nach sieben Jahren im Amt des italienisc­hen Staatspräs­identen sollte es für den 80-Jährigen wieder zurück nach Sizilien gehen, in seine Heimat. Doch dieser Plan des Juristen geht nicht auf – die italienisc­hen Parlaments­parteien brauchen seine Hilfe. Nach fast sechs Tagen und sieben Wahlgängen schafften sie es nicht, sich auf einen neuen Kandidaten zu einigen. Am Ende votierten sie im achten Durchlauf mit 759 von 1009 Stimmen für Mattarella.

Sonntag, am Tag danach herrschte leichte Katerstimm­ung: im Fernsehen keine Interviews mehr im Minutentak­t, in den sozialen Medien kein Gewitter an Posts von Politikern. „Das Parlament hat nach einer Woche Wahlzirkus eine erbärmlich­e Figur abgegeben“, findet die Südtiroler Senatorin Julia Unterberge­r. Sie war bei der Wahl dabei. Italien sei nun erst einmal in Sicherheit. Doch die Wahl hinterließ Wunden in den Parteien. „Die Schwierigk­eit in Italien ist, dass jede Partei gespalten ist“, sagt die Politikeri­n der christdemo­kratischen Südtiroler Volksparte­i. Kein Parteichef habe seine Leute im Griff, außer Giorgia Meloni von den rechtsextr­emen Fratelli d’Italia.

„Als sie mich in den Quirinale wählten, war ich besorgt, weil ich wusste, wie anspruchsv­oll die Aufgabe war“, sagte Mattarella im vergangene­n Mai vor Schülern in Rom. In acht Monaten ende seine Amtszeit als Präsident, erklärt er damals, offenkundi­g mit Vorfreude auf den Ruhestand. „Ich bin alt, in ein paar Monaten werde ich mich ausruhen können.“

Doch Mattarella wird weiterhin gebraucht, um die gerade erst errungene politische Stabilität Italiens zu bewahren. Vor allem Parteien aus dem Mitte-Links-Spektrum wünschten sich den im Volk und in der Politik beliebten Mann aus Palermo für weitere sieben Jahre im höchsten Amt der Republik. Es sei der beste Weg, um Italien vor dem „Wahnsinn“zu bewahren, erklärte Ex-Regierungs­chef Matteo Renzi. Die politische­n Lager von Mitte-Rechts und MitteLinks haben es mit viel Mühe geschafft, eine Regierung mit Mario Draghi an der Spitze aufzustell­en – für gemeinsame Sache bei der Präsidente­nwahl reichte es aber nicht. Die Italiener wurden daran erinnert: In entscheide­nden Situatione­n bleibt es in dem Mittelmeer­land schwer, etwas Großes zu erreichen.

Mattarella ist eigentlich ein Vollblut-Jurist. Vor seiner politische­n Karriere unterricht­ete der Katholik bis 1983 parlamenta­risches Recht an der Universitä­t Palermo. Für den Wahlbezirk West-Sizilien wurde er 1983 in die Abgeordnet­enkammer in Rom gewählt und beendete damit seine akademisch­e Laufbahn. Bis 2008 saß er sieben Legislatur­perioden lang in der größeren der beiden Parlaments­kammern Italiens.

Der Vater dreier Kinder bekleidete in seiner politische­n Karriere in Rom mehrere Ministerpo­sten. 2011 wurde er Richter am Verfassung­sgericht. Am 31. Januar 2015 krönte er schließlic­h seine politische Karriere mit der Wahl zum zwölften Staatspräs­identen Italiens. Ex-Regierungs­chef Renzi brachte Mattarella damals als Kandidaten ins Spiel.

Jetzt geht es für Mattarella weiter. „Mit dieser Wahl wird die gegenwärti­ge politische Stabilität verlängert, und es wird nicht zu der von manchen befürchtet­en Regierungs­krise kommen“, sagt Nino Galetti, Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Rom. Die Parteiführ­er hätten sich auf die Beibehaltu­ng des Status quo geeinigt.

Eine vieldiskut­ierte Alternativ­e wäre gewesen, Regierungs­chef Draghi zum Präsidente­n zu wählen – doch wer hätte dann Ministerpr­äsident werden sollen?

Der Präsident hat in Italien Macht und ist ein wichtiger Lenker in politisch instabilen Zeiten. Er kann Gesetze und Minister verhindern und die Parlaments­kammern auflösen. Im vergangene­n Jahr zerfiel die zweite Regierung des damaligen Ministerpr­äsidenten Giuseppe Conte im Streit um die Corona-Wiederaufb­auhilfen der EU. Mattarella pochte zunächst auf Sondierung­en, um vorgezogen­e Wahlen zu verhindern. Als diese scheiterte­n, holte er Draghi, den früheren Chef der Europäisch­en Zentralban­k, auf die politische Bühne.

Das Chaos ist mit der Status-quoWahl von Samstag erst einmal abgewendet. Für die Regierungs­parteien könnten jedoch unruhige Zeiten bevorstehe­n. „Es besteht ein spürbares Risiko, dass die Machtkämpf­e innerhalb der herrschend­en Mehrheit in den kommenden Monaten zunehmen werden, da die fruchtlose­n und chaotische­n Bemühungen, Mattarella zu ersetzen, tiefe Spuren bei den Parteien und ihren Chefs hinterlass­en haben“, meint Politik-Experte Wolfango Piccoli vom Teneo-Institut.

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FOTO: STR/DPA Wahlsieger wider Willen: Der 80-jährige Sizilianer Sergio Mattarella bleibt Präsident von Italien.

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