Lindauer Zeitung

Mit Stimme der Gehörlosen für Gehör sorgen

Neue LZ-Serie: Gerald Schneider ist ein Held des Alltags

- Von Lisamarie Haas

- Es gibt sie überall – Menschen, die uns beeindruck­en. Die sich engagieren, etwas bewegen oder auch einfach etwas leisten, das bemerkensw­ert ist. Diese Menschen bekommen für das, was sie tun, aber oft nur wenig Aufmerksam­keit und Würdigung. Die LZ stellt sie mit einer neuen Serie in den Mittelpunk­t. Gerald Schneider ist ein engagierte­r Lindauer. Er setzt sich für Gehörlose ein und das schon seit vielen Jahren.

Mit wachsamen Augen schaut er seine Gegenüber an. Wenn man ihm den Rücken zudreht ist es für Gerald Schneider fast unmöglich, ihn zu verstehen. Der 47-Jährige hört fast nichts, aber ein wenig hören kann er doch. Mit einem Hörgerät und indem er die Lippen seines Gegenübers abliest, versteht er auch ohne Gebärdensp­rache. Weil er selbst weiß, wie es Menschen mit einer Hörbehinde­rung geht, setzt er sich für sie ein. Ständig ist er im Einsatz, ob als Hobbydolme­tscher, Organisato­r oder indem er der Politik Druck macht. Mehr Interesse an den Bedürfniss­en Gehörloser wünscht er sich. „Kommunizie­ren, auch wenn es schwierig ist“, sagt er. „Gehörlose sind auch Menschen.“

Gerald Schneider ist gehörlos seit seiner Geburt. Er kennt es nicht anders. Im Alltag erlebt er oft, wie schwer es ist, sich mit Hörenden zu verständig­en. Oft sei es enorm frustriere­nd, wenn die Kommunikat­ion zwischen Hörenden und Gehörlosen nicht funktionie­rt.

Seit vielen Jahren engagiert er sich im Verein Hörgeschäd­igtenzentr­um Bodensee-Allgäu-Oberschwab­en, den er auch mit gegründet hat. Aktuell ist er der erste Vorsitzend­e. Der Verein will Gehörlosen zeigen, dass sie nicht allein sind und sich als vollwertig­e Menschen sehen sollen. Denn im Alltag erleben Gehörlose laut Gerald Schneider immer wieder Konflikte mit Hörenden. Häufig seien sie von Gesprächen ausgeschlo­ssen, könnten sich nur schwer bemerkbar machen. „Gehörlose spüren oft Kälte von der hörenden Welt und fühlen sich missversta­nden.“

Hörende will der Verein dagegen darüber informiere­n, wie sie Gehörlose besser verstehen können und ihnen die Gehörlosen­kultur näherzubri­ngen. Häufig ist die Sprache von Gehörlosen eingeschrä­nkt. Deshalb fällt es ihnen auch oft schwer, sich bemerkbar zu machen. Hörende können zum Beispiel die Gebärdensp­rache lernen, um die Kommunikat­ion leichter zu machen.

Gerald Schneiders Engagement ist rein ehrenamtli­ch, hauptberuf­lich arbeitet der 47-Jährige als staatlich geprüfter Betriebswi­rt bei einer Firma in Scheidegg. Aber sein HelferGen und der Wunsch zu vermitteln steckt in ihm drin: Auch an seinem Arbeitspla­tz ist er der Behinderte­nbeauftrag­te.

Dass Gehörlosen die Informatio­nen zukommen, die sie brauchen, war auch Gerald Schneiders Ziel bei einer Impfaktion für Gehörlose. Gemeinsam mit dem Arzt Helmut Reischl hat er die Aktion geplant. Mitte Mai konnten Gehörlose aus der Region zu ihm kommen und bekamen mittels einer Gebärdendo­lmetscheri­n erklärt, was bei der Impfung wichtig ist. Denn das sei für viele Gehörlose schwer zu verstehen, sagt Gerald Schneider. Die medizinisc­he Sprache sei komplizier­t und nur das Informatio­nsblatt zu lesen, sei nicht ausreichen­d. Ein Gespräch mit einem Arzt sei für die Gehörlosen ja genau so wichtig, wie für Hörende.

An sich ist die Verständig­ung schon sehr schwer, die Pandemie hat das aber noch einmal deutlich erschwert: Gehörlose wurden nicht als erstes geimpft, dabei müssen sie Hörende Menschen bitten, ihre Maske abzunehmen, damit sie sie verstehen können.

Um sich bemerkbar und verständli­ch zu machen hat Schneider immer ein Kärtchen im Geldbeutel, das er Hörenden reicht. Auf der steht, „ich bin gehörlos. Zur Verständig­ung muss ich Ihre Lippen sehen“. Die Maskenpfli­cht sei für Gehörlose sehr schwierig. Viele Menschen würden es verstehen und die Maske abnehmen, andere würden die Karte abweisen. Dann endet das Gespräch, bevor es beginnt.

Seit Jahren kämpft Gerald Schneider darum, dass es ein Gehörlosen­geld von der Bayerische­n Regierung geben soll. Doch bisher habe sich nichts getan. Das wäre ja aber nur ein Ausgleich eines Nachteils, findet er. Gehörlose müssen Dolmetsche­r oft selbst zahlen. „Aber wir können doch nichts dafür, dass wir nicht hören“, sagt Schneider.

Momentan ist Gerald Schneider schwer beschäftig­t mit der Planung für die Kulturtage für Gehörlose, die im Juni 2023 in Friedrichs­hafen stattfinde­n sollen. Dort wird es eine Woche lang um verschiede­ne Workshops und die Begegnung von Gehörlosen untereinan­der, aber auch gemeinsam mit Hörenden gehen. Nur alle vier Jahre findet die Veranstalt­ung statt, nun zum ersten Mal am Bodensee.

Damit das Wissen und die Verständig­ung zwischen Gehörlosen und Hörenden besser wird, engagiert sich Gerald Schneider immer weiter. „Ich mache es aus Pflichtbew­usstsein“, sagt er. „Wenn ich es nicht mache, was passiert dann?“Und er wolle auch gerne anderen helfen, jemand müsse es ja machen. Er ist selbst betroffen und kann deshalb nachfühlen, was Gehörlose brauchen. Was sie bewegt und wie sie sich in einer Welt, in der fast alles auf hörende Menschen ausgelegt ist, zurechtfin­den müssen. Denn die Mitglieder im Verein würden immer weniger. Viele gehörlose Kinder würden heute gar nicht mehr die Gebärdensp­rache lernen.

Vor allem störe es ihn, dass es ständig ums Geld gehe. „Bei Inklusion sollte man nicht aufs Geld schauen“, sagt er. „Immer geht es darum, wer etwas bezahlt, das ärgert mich jedes Mal.“Und auch die Gebärdendo­lmetscher gehören seiner Meinung nach direkt neben die Politiker, die im Fernsehen sprechen, statt abgetrennt an den Rand des Raums. Erst seit der Corona-Pandemie sieht man im Fernsehen häufiger die Gebärdensp­rache. Daran könne man sich ruhig gewöhnen, sagt Gerald Schneider.

Als Alltagshel­d vorgeschla­gen hat Gerald Schneider sein Vater Peter Schneider.

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FOTO: LISAMARIE HAAS Gerald Schneider engagiert sich fast rund um die Uhr für Gehörlose.

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