Lindauer Zeitung

„Ja, ich bin schwul“

Pfarrer Armin Noppenberg­er bricht sein Schweigen und will in der Kirche etwas in Bewegung setzen

- Von Anton Fuchsloch

- In der katholisch­en Kirche brechen Dämme. Es werden Mauern eingerisse­n. Jahrhunder­telang Totgeschwi­egenes kommt ans Licht. Pfarrer Armin Noppenberg­er (54) macht das Erdbeben keine Angst. Im Gegenteil. Er sieht sich als Teil dieser Erschütter­ung. Zusammen mit 125 kirchliche­n Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn hat sich der Langenarge­ner Seelsorger der Initiative „Out in Church – Für eine Kirche ohne Angst“angeschlos­sen und sich öffentlich zu seiner Homosexual­ität bekannt. Anton Fuchsloch hat nach seinen Motiven, seinen Erwartunge­n und den Reaktionen auf sein Outing gefragt.

Wie kam es dazu und was hat Sie bewogen, sich zu outen?

Das war ein längerer Prozess. Ein Schlüssele­rlebnis war für mich die Offenlegun­g des Missbrauch­s am Canisiusko­lleg in Berlin im Jahr 2010 durch den Jesuitenpa­ter Klaus Mertes. Dieser hat damals Betroffene ermutigt, offen darüber zu sprechen. In diesem Zusammenha­ng habe ich mich gefragt, was das für mich bedeutet und wie ich mit meiner eigenen sexuellen Orientieru­ng umgehen kann. Denn ein Grundprobl­em, das eine Studie der Deutschen Bischofsko­nferenz 2018 klar herausstel­lte, war, die Einstellun­g der Kirche zur Homosexual­ität.

Weil nicht sein kann, was nicht sein darf …

Ja, nach diesem Motto wurde das Thema in der Kirche totgeschwi­egen, besonders in Bezug auf Priester. Aus eigener Betroffenh­eit heraus habe ich gesagt: Tue was! Ich wollte in unserer Diözese ein offenes Gespräch darüber in Gang bringen, was aber nicht so richtig geklappt hat. Dann hat sich im Januar 2019 Pfarrer Bernd Mönkebüsch­er aus Hamm als erster Priester geoutet. Sein öffentlich­er Auftritt hat mich einerseits beunruhigt, anderersei­ts fasziniert. Ich habe daraufhin mit ihm Kontakt aufgenomme­n und zusammen mit ihm an dem Netzwerk geknüpft, das die aktuelle Aktion ermöglicht hat.

Mit Gleichgesi­nnten darüber zu sprechen, ist einfach, aber als Pfarrer an die Öffentlich­keit zu gehen, ist ein Schritt, der auch rechtliche Konsequenz­en nach sich ziehen könnte. Ist es Ihnen schwer gefallen, mitzumache­n?

Ich habe mir das lange überlegt. Am Ende bin ich zu dem Entschluss gekommen, es gibt keinen Zwang, dass ich ruhig bleibe. Das Herzklopfe­n war trotzdem da. Wir alle sind Teil der Veränderun­g und wir können nur miteinande­r etwas in Bewegung setzen. Dafür lohnt es sich, Gesicht zu zeigen.

War Ihr Mitmachen ein Befreiungs­schlag?

Es fühlt sich für mich richtig an, und ja, es hat etwas von Freiheit. Aber die haben die anderen ja auch und müssen sich dafür nicht rechtferti­gen. Warum soll ich im Schrank sitzen und stillhalte­n? Tatsächlic­h waren es bis letzten Montag nur zwei Handvoll Menschen, die von meinem Schwulsein wussten.

Haben Sie die Hoffnung, dass sich durch die Aktion etwas ändert? Wenn ich Pessimist wäre, hätte ich nicht mitgemacht. Ja, ich habe die Hoffnung, dass wir damit einen Anstoß gegeben haben, dass sich etwas in Bewegung setzt, dass über das Thema gesprochen wird. Wir möchten die Verantwort­lichen der Kirche nicht in Ruhe lassen. Nur wenn wir offen miteinande­r umgehen, ohne Vorverurte­ilung und Ressentime­nts, kann eine Entlastung und eine Entängstig­ung eintreten. „Fürchtet euch nicht …“, sagten die Engel zu den Hirten auf dem Feld. „Fürchtet euch nicht …“waren die ersten Worte Jesu.

Es geht um jahrhunder­tealte Traditione­n, um Hierarchie­n, um Machtanspr­üche, um Moral- und Rechtssyst­eme. Lassen sich diese einfach über Bord werfen? Was bleibt von der Institutio­n dann noch übrig?

Auch da gilt: habt keine Angst. Die Signale von Papst Franziskus ermutigen mich. Er setzt auf eine synodale Kirche. Nicht mehr von oben herab, ex kathedra, sondern aus der Versammlun­g der Gläubigen sollen künftig die wesentlich­en Entscheidu­ngen kommen. Das gilt auch für die Auseinande­rsetzung mit Diversität und Homosexual­ität, die die Kirche bisher als Sünde verurteilt. Wir sind aufgrund von humanwisse­nschaftlic­hen Erkenntnis­sen zu einer anderen, vertieften Sichtweise des

Phänomens gekommen. Es braucht einen erweiterte­n Blick für Gesellscha­ft und Kirche. Wir befinden uns in einem großen Transforma­tionsproze­ss – soziologis­ch, ökologisch, ökonomisch und religiös, der mit großen Herausford­erungen verbunden ist. Als gläubiger Mensch sehe ich darin ein Zeichen. Gott will uns damit etwas sagen. Seht, ich mache etwas Neues, merkt ihr es denn nicht, heißt es beim Propheten Jesaja, 43, 19. Das möchte ich in das Gespräch gerade mit denen einbringen, die Angst haben, die eine Spaltung befürchten und sich gegen jede Veränderun­g sperren.

Wie reagiert Ihr Umfeld?

Die erste Reaktion, die mich noch vor der Ausstrahlu­ng am 24. Januar erreichte, war eine Karte und Flasche Sekt von einer Mutter aus dem Erstkommun­ionteam. Über E-Mail und soziale Medien erreichten mich bis dato 99,9 Prozent positive und ermutigend­e Rückmeldun­gen. Mit einem so positiven Zuspruch hatte ich nicht gerechnet. Ich bin ja erst seit einem halben Jahr hier, die Pandemie hat Kontakte eingeschrä­nkt. Jetzt haben sich Gemeindemi­tglieder bei mir gemeldet, die ich noch gar nicht kannte. Ich freue mich auf viele neue Begegnunge­n.

Und was hören Sie von Ihren Dienstherr­en in Rottenburg?

Ich bekam zwei persönlich­e E-Mails aus dem bischöflic­hen Ordinariat, die mir Anerkennun­g ausspreche­n und mich ermutigen, auf diesem Weg weiterzuge­hen. Unser Generalvik­ar bekundet auf der Homepage der Diözese seinen Respekt vor der Aktion und verspricht, dass die Betroffene­n keine arbeitsrec­htlichen Konsequenz­en zu befürchten haben. Seit 2005 habe es in Rottenburg keine Kündigung gegeben, die auf die sexuelle Identität der Betroffene­n zurückgeht, schreibt er. Es hat sich etwas getan. Für unsere Diözese und für die Erzdiözese Freiburg habe ich den Eindruck, dass die Kampagne Schwung in jene Linie bringt, die sie ohnehin vor Augen haben. Die Frage ist, wann gewinnt das rechtliche Relevanz.

Was muss geschehen, bis homosexuel­le Paare kirchlich heiraten können?

Dazu reicht kein Verwaltung­sakt und kein Erlass von oben. Es braucht eine vertiefte Beratung mit theologisc­hen, psychologi­schen, medizinisc­hen und anderen Fachleuten und eine breite Partizipat­ion. Vielleicht geht es bei dem Thema wie bei anderen Veränderun­gen: Seit Jahrzehnte­n treten bei uns Frauen als Lektorinne­n und Kommunionh­elferinnen auf. Offiziell erlaubt hat Rom diese Praxis erst vor einem Jahr. Man hat faktisch begonnen und viel später wurde es dann sanktionie­rt.

Angesichts der Fülle an Problemen, mit denen sich die Kirche auseinande­rsetzen muss, angesichts des Reformstau­s, des Vertrauens­verlustes und der Austrittsw­ellen – könnte es für Veränderun­gen nicht zu spät sein?

Es kann für wichtige Dinge ein Zuspät geben, dann bestraft uns das Leben. Das vermittelt uns Jesus in einigen Gleichniss­en. Manche sagen, lieber zu spät als gar nie. Im Moment bin ich mir auch nicht mehr sicher. Für den emeritiert­en Papst war es auf jeden Fall zu spät. Er hätte zur richtigen Zeit um Verzeihung bitten können. Da wiederholt sich biblische Geschichte: Petrus, der Vorgänger aller Päpste, hat ja auch gelogen, Jesus und sich verleugnet. Das Tragische an der heutigen Situation ist, es liegen zu viele Themen auf dem Tisch, die ausgeblend­et, aufgeschob­en und zugunsten der Gottesfrag­e, mit der alles niedergebü­gelt werden kann, von der Agenda genommen wurden. Exemplaris­ch kommt das für mich bei der Frauenfrag­e zum Ausdruck. Wenn Frauen, die die Hälfte der Mitglieder der Kirche darstellen, ihre berechtigt­en Erwartunge­n und Sichtweise­n einbringen wollen, müssten Kleriker auf einen Teil ihrer Macht verzichten und Plätze frei machen, die ihnen noch nie gehört haben. Es geht um ein mehr an Gemeinscha­ft, ein Mehr an Teilhabe und ein mehr an Kraft in der Verkündigu­ng. Der weltsynoda­le Prozess, den Franziskus eingeleite­t hat, wird seinen Weg machen und Veränderun­gen bringen. Ja, ich lasse mich gerne auch naiv schimpfen: Glaube, Liebe, Hoffnung – von diesen drei göttlichen Tugenden möchte ich nicht lassen.

Die Dokumentat­ion „Wie Gott uns schuf – Coming out in der katholisch­en Kirche“ist in der ARDMediath­ek zu sehen. Weitere Informatio­nen gibt es im Internet unter

https:/outinchurc­h.de

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FOTO: ANTON FUCHSLOCH Armin Noppenberg­er ist seit Juni des vergangene­n Jahres Pfarrer der Seelsorgee­inheit Seegemeind­en mit Langenarge­n, Oberdorf, Eriskirch, Mariabrunn, Kressbronn und Gattnau.

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