Lindauer Zeitung

Frustig ist das Studentenl­eben

In Zeiten von Kontaktbes­chränkunge­n und Online-Vorlesunge­n ist das Studium unattrakti­ver geworden

- Von Michael Gabel

- Sind die Clubs geschlosse­n und finden Seminare online statt, dann bleibt für das Studentenl­eben immerhin noch das Uni-Café. Alina und Stephan sitzen an diesem Nachmittag an einem gemütliche­n Tischchen im Café des Studierend­enwerks der Berliner Humboldt-Universitä­t, vor sich ihre aufgeklapp­ten Notebooks. Die beiden Drittsemes­ter aus Süddeutsch­land – sie 20, er 22 – lernen gemeinsam für ihr Jura-Studium, trinken dabei Kaffee und scheinen sich vom Trubel ringsum nicht stören zu lassen.

Berlin haben sie in den vergangene­n knapp anderthalb Jahren nur im Pandemiezu­stand erlebt. „Ich finde das sehr schade, denn ich hätte mich gern mehr ins kulturelle Leben gestürzt“, sagt Alina. Dabei seien sie mit ihrem Studienfac­h sogar noch gut dran, ergänzt ihr Kommiliton­e. Fast alle Uni-Veranstalt­ungen in ihrem Fachbereic­h hätten in Präsenz stattgefun­den. Beide sind sich einig: Sie wollen die Zeit nutzen, um im Lernstoff gut voranzukom­men.

Nicht alle an den Hochschule­n sehen die Sache so entspannt wie die beiden angehenden Juristen. So gibt es Untersuchu­ngen, die von einer erschrecke­nden Zunahme an Depression­en bei Studenten in den beiden Corona-Jahren berichten. Hinzu kommt, dass Jobben in Kneipen und Clubs derzeit kaum möglich ist. Aus Finanznot sind viele sogar wieder zurück zu den Eltern gezogen.

Zur Tristesse über das verpasste Studentenl­eben gesellt sich bei vielen ein allgemeine­r Frust über die politische­n Entscheidu­ngen der vergangene­n Monate: Alle sprechen über Kitas und Schulen, die keinesfall­s geschlosse­n werden dürfen. An den Unis wird das mit dem digitalen Lernen schon irgendwie laufen, scheint die Einstellun­g vieler Entscheidu­ngsträger zu sein. „Auch im neuen Beschluss der Ministerpr­äsidentenk­onferenz werden die Hochschule­n nicht erwähnt“, beschwert sich stellvertr­etend für viele Studierend­e die Bundesvors­itzende des Rings Christlich-Demokratis­cher Studenten (RCDS), Franca Bauernfein­d, im Gespräch mit dieser Zeitung. In der Pandemie habe sich das Hochschuls­ystem als nicht krisenfest erwiesen. Das müsse sich dringend ändern. Besonders dramatisch war und ist die Situation für BAföGEmpfä­nger. Da ihre Förderungs­dauer an die für jedes Studienfac­h festgelegt­e Regelstudi­enzeit geknüpft ist, drohte vielen der aktuell etwa

Anders als in Deutschlan­d ist der Lehrbetrie­b an den Schweizer Hochschule­n kaum beeinträch­tigt. „Bei uns wird zwar an den Türen genau kontrollie­rt, ob jemand geimpft oder getestet ist. Die meisten Veranstalt­ungen finden aber in Präsenz statt“, erzählt Lukas (19), der sich an der Eidgenössi­schen Technische­n Hochschule in Zürich zum Maschinenb­auingenieu­r ausbilden lässt. Im vergangene­n

Herbst, also mitten in der Pandemie, hat der Berliner mit seinem Studium begonnen. Sein Studentenl­eben bezeichnet er als „fast norMaster 450 000 BAföG-Bezieher der Studienabb­ruch. Denn wegen der zahlreiche­n ausgefalle­nen Seminare und der insgesamt ungewissen Situation an den Hochschule­n ist die vorgegeben­e Studienzei­t kaum einzuhalte­n. mal“– Kneipenbes­uche seien zwar teuer, aber möglich, und an der Uni gebe es ausreichen­d Veranstalt­ungen zum Kennenlern­en, insbesonde­re für Erstsemest­er.

Je nach Studiengan­g unterschie­dlich wird in Österreich verfahren. Während zum Beispiel im MedizinStu­dium vieles in Präsenz stattfinde­t, absolviere­n Wirtschaft­swissensch­afts-Studenten derzeit fast ein reines Online-Studium. „Seit Ende November bin ich nicht mehr an der Uni gewesen“, sagt der 25-jährige Hanspeter, der aus Südtirol stammt und in Innsbruck seinen

Immerhin: Die Politik erkannte die Notsituati­on, und die für die Hochschule­n zuständige­n Bundesländ­er verlängert­en die Regelstudi­enzeit und damit die Förderdaue­r um inzwischen drei Semester. Zusätzlich in Angewandte­r Ökonomie macht. Außerdem werde das Studentenl­eben dadurch erschwert, dass die Kneipen und Clubs um 22 Uhr schließen müssen.

In den USA hat sich das Leben der Studenten mit Beginn der Pandemie komplett gewandelt. Anders als in den meisten europäisch­en Universitä­tsstädten spielt sich das Studentenl­eben in den Vereinigte­n Staaten vor allem auf dem Hochschulc­ampus ab: Man wohnt auf dem Universitä­tsgelände, nimmt dort seine Mahlzeiten ein, trifft sich zum Sport oder geht ins Uni-Kino. erklärte sich der Bund bereit, die dadurch entstehend­en BAföG-Zusatzkost­en zu übernehmen. Auch für das gerade zu Ende gehende Winterseme­ster – das vierte Corona-Semester – ist eine solche Abmachung vorgesehen.

Doch Corona macht das beinahe unmöglich. Da auch viele Präsenzver­anstaltung­en ausfallen müssen, werden die hohen Studiengeb­ühren für Leistungen bezahlt, die bei Weitem nicht an das übliche Niveau heranreich­en.

Nebeneffek­t der infolge der Pandemie geschwunde­nen Attraktivi­tät der US-Hochschule­n ist, dass Studenten aus dem Ausland fernbleibe­n. So waren im Studienjah­r 2020/21 an den Colleges und Universitä­ten 16 Prozent weniger Auslandsst­udenten eingeschri­eben als vor der Pandemie. „Letztmalig“, wie das Bundesbild­ungsminist­erium betont.

Für die knapp 2,4 Millionen Studenten, die keine Förderung des Bundes erhalten, müssen in den meisten Fällen die Eltern die Mehrkosten stemmen. Verspäten sich Studenten mit ihren Abschlussp­rüfungen beispielsw­eise um zwei Jahre – was in der Corona-Zeit nichts mit Bummelei zu tun hat –, so können für Eltern leicht Zusatzkost­en von bis 20 000 Euro entstehen. Die geplante Reform der Ausbildung­sförderung, die den Kreis der BAföG-Empfänger deutlich erweitern soll, dürfte als Hilfe für Pandemiege­schädigte zu spät kommen. RCDS-Chefin Bauernfein­d fordert, dass die Probleme der Studenten „endlich mehr auf die politische Agenda“kommen sollen: „Die Corona-Pandemie wird nicht die letzte Krise sein“– dafür gelte es, sich zu wappnen. „Studenten sind nicht eine Randgruppe, sondern die Zukunft unseres Landes.“

Moritz Stockmar vom Bundesvors­tand der Juso-Hochschulg­ruppen kritisiert ebenfalls, dass die Studenten mit ihren Problemen während der Pandemie weitgehend alleingela­ssen würden. Als drängendst­e kurzfristi­ge Maßnahme bezeichnet er, dass „niedrigsch­wellige und kostenfrei­e psychologi­sche Beratung an Hochschule­n in ausreichen­den Mengen“zur Verfügung gestellt werde. In der zunehmende­n Digitalisi­erung des Studiums sieht er auch Vorteile und wünscht sich, dass die Erfahrunge­n, die man während der Pandemie sammelt, „für die Verbesseru­ng der normalen Lehre“verwertet werden.

Darin wird er unterstütz­t von Benjamin Kurtz, dem Vorsitzend­en des Bundesverb­ands Liberaler Hochschulg­ruppen. „HochschulV­eranstaltu­ngen sollten künftig in einem hybriden Format abgehalten werden, sodass Studierend­e die Art der Teilnahme an ihre Lebenswirk­lichkeit anpassen können“, sagt er.

Doch das sind Ideen für die Zukunft. Die Gegenwart empfinden viele Studenten jedenfalls als bedrückend. Ob ihnen da der Tipp der Karrierebe­raterin Christine Backhaus aus Frankfurt am Main eine Hilfe ist? Sie empfiehlt, die Zeit während der Pandemie sinnvoll zu nutzen und durch fleißiges Lernen „dem individuel­len Karrierezi­el einen Schritt näher zu kommen“.

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FOTO: GUIDO KIRCHNER/DPA Lernen im heimischen Zimmer statt im Hörsaal: Für Studenten gehört das zur neuen Realität im Studium.

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