Frustig ist das Studentenleben
In Zeiten von Kontaktbeschränkungen und Online-Vorlesungen ist das Studium unattraktiver geworden
- Sind die Clubs geschlossen und finden Seminare online statt, dann bleibt für das Studentenleben immerhin noch das Uni-Café. Alina und Stephan sitzen an diesem Nachmittag an einem gemütlichen Tischchen im Café des Studierendenwerks der Berliner Humboldt-Universität, vor sich ihre aufgeklappten Notebooks. Die beiden Drittsemester aus Süddeutschland – sie 20, er 22 – lernen gemeinsam für ihr Jura-Studium, trinken dabei Kaffee und scheinen sich vom Trubel ringsum nicht stören zu lassen.
Berlin haben sie in den vergangenen knapp anderthalb Jahren nur im Pandemiezustand erlebt. „Ich finde das sehr schade, denn ich hätte mich gern mehr ins kulturelle Leben gestürzt“, sagt Alina. Dabei seien sie mit ihrem Studienfach sogar noch gut dran, ergänzt ihr Kommilitone. Fast alle Uni-Veranstaltungen in ihrem Fachbereich hätten in Präsenz stattgefunden. Beide sind sich einig: Sie wollen die Zeit nutzen, um im Lernstoff gut voranzukommen.
Nicht alle an den Hochschulen sehen die Sache so entspannt wie die beiden angehenden Juristen. So gibt es Untersuchungen, die von einer erschreckenden Zunahme an Depressionen bei Studenten in den beiden Corona-Jahren berichten. Hinzu kommt, dass Jobben in Kneipen und Clubs derzeit kaum möglich ist. Aus Finanznot sind viele sogar wieder zurück zu den Eltern gezogen.
Zur Tristesse über das verpasste Studentenleben gesellt sich bei vielen ein allgemeiner Frust über die politischen Entscheidungen der vergangenen Monate: Alle sprechen über Kitas und Schulen, die keinesfalls geschlossen werden dürfen. An den Unis wird das mit dem digitalen Lernen schon irgendwie laufen, scheint die Einstellung vieler Entscheidungsträger zu sein. „Auch im neuen Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz werden die Hochschulen nicht erwähnt“, beschwert sich stellvertretend für viele Studierende die Bundesvorsitzende des Rings Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS), Franca Bauernfeind, im Gespräch mit dieser Zeitung. In der Pandemie habe sich das Hochschulsystem als nicht krisenfest erwiesen. Das müsse sich dringend ändern. Besonders dramatisch war und ist die Situation für BAföGEmpfänger. Da ihre Förderungsdauer an die für jedes Studienfach festgelegte Regelstudienzeit geknüpft ist, drohte vielen der aktuell etwa
Anders als in Deutschland ist der Lehrbetrieb an den Schweizer Hochschulen kaum beeinträchtigt. „Bei uns wird zwar an den Türen genau kontrolliert, ob jemand geimpft oder getestet ist. Die meisten Veranstaltungen finden aber in Präsenz statt“, erzählt Lukas (19), der sich an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich zum Maschinenbauingenieur ausbilden lässt. Im vergangenen
Herbst, also mitten in der Pandemie, hat der Berliner mit seinem Studium begonnen. Sein Studentenleben bezeichnet er als „fast norMaster 450 000 BAföG-Bezieher der Studienabbruch. Denn wegen der zahlreichen ausgefallenen Seminare und der insgesamt ungewissen Situation an den Hochschulen ist die vorgegebene Studienzeit kaum einzuhalten. mal“– Kneipenbesuche seien zwar teuer, aber möglich, und an der Uni gebe es ausreichend Veranstaltungen zum Kennenlernen, insbesondere für Erstsemester.
Je nach Studiengang unterschiedlich wird in Österreich verfahren. Während zum Beispiel im MedizinStudium vieles in Präsenz stattfindet, absolvieren Wirtschaftswissenschafts-Studenten derzeit fast ein reines Online-Studium. „Seit Ende November bin ich nicht mehr an der Uni gewesen“, sagt der 25-jährige Hanspeter, der aus Südtirol stammt und in Innsbruck seinen
Immerhin: Die Politik erkannte die Notsituation, und die für die Hochschulen zuständigen Bundesländer verlängerten die Regelstudienzeit und damit die Förderdauer um inzwischen drei Semester. Zusätzlich in Angewandter Ökonomie macht. Außerdem werde das Studentenleben dadurch erschwert, dass die Kneipen und Clubs um 22 Uhr schließen müssen.
In den USA hat sich das Leben der Studenten mit Beginn der Pandemie komplett gewandelt. Anders als in den meisten europäischen Universitätsstädten spielt sich das Studentenleben in den Vereinigten Staaten vor allem auf dem Hochschulcampus ab: Man wohnt auf dem Universitätsgelände, nimmt dort seine Mahlzeiten ein, trifft sich zum Sport oder geht ins Uni-Kino. erklärte sich der Bund bereit, die dadurch entstehenden BAföG-Zusatzkosten zu übernehmen. Auch für das gerade zu Ende gehende Wintersemester – das vierte Corona-Semester – ist eine solche Abmachung vorgesehen.
Doch Corona macht das beinahe unmöglich. Da auch viele Präsenzveranstaltungen ausfallen müssen, werden die hohen Studiengebühren für Leistungen bezahlt, die bei Weitem nicht an das übliche Niveau heranreichen.
Nebeneffekt der infolge der Pandemie geschwundenen Attraktivität der US-Hochschulen ist, dass Studenten aus dem Ausland fernbleiben. So waren im Studienjahr 2020/21 an den Colleges und Universitäten 16 Prozent weniger Auslandsstudenten eingeschrieben als vor der Pandemie. „Letztmalig“, wie das Bundesbildungsministerium betont.
Für die knapp 2,4 Millionen Studenten, die keine Förderung des Bundes erhalten, müssen in den meisten Fällen die Eltern die Mehrkosten stemmen. Verspäten sich Studenten mit ihren Abschlussprüfungen beispielsweise um zwei Jahre – was in der Corona-Zeit nichts mit Bummelei zu tun hat –, so können für Eltern leicht Zusatzkosten von bis 20 000 Euro entstehen. Die geplante Reform der Ausbildungsförderung, die den Kreis der BAföG-Empfänger deutlich erweitern soll, dürfte als Hilfe für Pandemiegeschädigte zu spät kommen. RCDS-Chefin Bauernfeind fordert, dass die Probleme der Studenten „endlich mehr auf die politische Agenda“kommen sollen: „Die Corona-Pandemie wird nicht die letzte Krise sein“– dafür gelte es, sich zu wappnen. „Studenten sind nicht eine Randgruppe, sondern die Zukunft unseres Landes.“
Moritz Stockmar vom Bundesvorstand der Juso-Hochschulgruppen kritisiert ebenfalls, dass die Studenten mit ihren Problemen während der Pandemie weitgehend alleingelassen würden. Als drängendste kurzfristige Maßnahme bezeichnet er, dass „niedrigschwellige und kostenfreie psychologische Beratung an Hochschulen in ausreichenden Mengen“zur Verfügung gestellt werde. In der zunehmenden Digitalisierung des Studiums sieht er auch Vorteile und wünscht sich, dass die Erfahrungen, die man während der Pandemie sammelt, „für die Verbesserung der normalen Lehre“verwertet werden.
Darin wird er unterstützt von Benjamin Kurtz, dem Vorsitzenden des Bundesverbands Liberaler Hochschulgruppen. „HochschulVeranstaltungen sollten künftig in einem hybriden Format abgehalten werden, sodass Studierende die Art der Teilnahme an ihre Lebenswirklichkeit anpassen können“, sagt er.
Doch das sind Ideen für die Zukunft. Die Gegenwart empfinden viele Studenten jedenfalls als bedrückend. Ob ihnen da der Tipp der Karriereberaterin Christine Backhaus aus Frankfurt am Main eine Hilfe ist? Sie empfiehlt, die Zeit während der Pandemie sinnvoll zu nutzen und durch fleißiges Lernen „dem individuellen Karriereziel einen Schritt näher zu kommen“.