Fernduell am rechten Rand
Präsidentschaftskandidat Éric Zemmour schwächt Marine Le Pen in Frankreich
- Ihre Ansprache ist bereits vorbei, als Marine Le Pen das Rednerpult verlässt und vor ihr Publikum tritt. Bei abgedunkelter Beleuchtung sagt sie mit sanfter Stimme: „Jetzt will ich mir einige Minuten Zeit nehmen, um über mich selbst zu sprechen.“Die Präsidentschaftskandidatin des rechtspopulistischen Rassemblement National macht das, was sie in den letzten Monaten geübt hat: Sie gibt sich von ihrer menschlichen Seite. Nicht mehr die Einpeitscherin mit der rauen Stimme, sondern die alleinerziehende Mutter. Die Frau, die gefallen ist, Niederlagen erlitten hat und wieder aufgestanden ist, wie sie selbst berichtet.
Die 53-Jährige glaubt daran, dass die französische Präsidentschaftswahl im April die Begegnung zwischen einem Kandidaten oder einer Kandidatin und dem Volk ist. Und deshalb entblößt sie sich vor den rund 3000 Anhängerinnen und Anhängern, die am Samstag in die Messehalle nach Reims gekommen sind. Doch das Seelenstriptease ist lediglich die Zugabe zu einer Rede, die der seit Jahren eingeübten Rhetorik folgt. Eine halbe Stunde lang geht es um die Einwanderung, die das Land zerstöre.
„Wir erleben eine echte Enteignung. Wir erkennen das Land nicht mehr, das wir lieben.“Immer wieder wird ihre fast einstündige Ansprache von Rufen „On est chez nous“(wir sind bei uns) unterbrochen.
Parolen, die auch die Anhänger von Éric Zemmour skandieren. Der Kandidat der von ihm gegründeten Partei Reconquête (Wiedereroberung) tritt am Samstag gut 200 Kilometer von Reims in Lille auf. 6000 Menschen versammeln sich um den mehrfach wegen Rassismus Verurteilten, der sich Le Pens Stammland im Norden für seine Kundgebung ausgesucht hat. Eine Kampfansage an die Chefin des Rassemblement National (RN), die nur 30 Kilometer von Lille entfernt ihren Wahlkreis hat.
Zemmour versucht seit Wochen systematisch, Le Pen Wählerinnen und Wähler wegzunehmen. Laut einer am Samstag veröffentlichten Umfrage verlor die Rechtspopulistin in den vergangenen Wochen mehrere Prozentpunkte und liegt nun mit 14 Prozent gleichauf mit Zemmour – hinter der konservativen Kandidatin Valérie Pécresse und Präsident Emmanuel Macron. Auch einige Kader ihrer Partei wie der Europaparlamentarier Gilbert Collard liefen zu dem Kolumnisten über. Sogar Le Pens Nichte, die vor allem in Südfrankreich beliebte Ex-Abgeordnete Marion Maréchal, kann sich ein Engagement für den 63-Jährigen vorstellen. Le Pens Vater, der wegen Antisemitismus verurteilte Parteigründer Jean-Marie Le Pen, schloss zunächst eine Unterstützung Zemmours nicht aus, bekundete dann aber seiner Tochter seine volle Loyalität.
Die Rechtsaußen-Wählerinnen und Wähler in Frankreich sind zwischen Le Pen und Zemmour gespalten. „Wir unterstützen beide. Wir hätten gerne, dass sie sich zusammenschließen“, bekennen JeanClaude und Fabrice, zwei Le-PenAnhänger, auf einer ZemmourKundgebung Anfang Dezember. „Wir müssen Macron schlagen.“
Le Pen sieht in Zemmours Werben einen Versuch der „Sabotage“. Zemmour kämpfe nicht, um zu gewinnen, sondern um den Rassemblement National zu töten, sagt sie der Zeitung „Le Figaro“.
In seiner Entourage gebe es erzkonservative Katholiken, Heiden, und „einige Nazis“. Sie wirft ihrem rechtsextremen Gegner vor, das Land zu spalten. „Ich glaube, man muss versöhnen, wieder aufbauen, anknüpfen.“
In Reims nimmt Le Pen den Namen Zemmour kein einziges Mal in den Mund. Statt dessen drischt sie auf den Staatschef Macron ein, der seine Kandidatur zwar noch nicht verkündete, die Umfragen aber solide mit rund 25 Prozent anführt. „Seine Amtszeit war ein riesiges Chaos mit Krisen, die Emmanuel Macron provoziert und am Leben gehalten hat.“Gegen dieses Chaos wolle sie die Präsidentin sein, die Frankreich seine Sicherheit zurückgebe. „Meine Hand wird nicht zittern, wenn es darum geht, die Franzosen gegen die Überflutung durch Einwanderung zu schützen.“
Ein Satz, der der Rednerin großen Applaus einbringt. „Ich bin bereit“, versichert sie am Ende ihrer Ansprache. Sie weiß: Ihre dritte Präsidentschaftskandidatur wird auch ihre letzte sein. So oder so.