Lindauer Zeitung

Windkraft aus Balkonien

Kleine Windanlage­n brauchen wenig Platz – Effizient sind sie aber nur an gewissen Standorten

- Von Wolfgang Mulke

- Sie haben ganz unterschie­dliche Formen. Mal sehen sie aus wie Ventilator­en unter einem Schutzgitt­er, mal drehen sich schlank gewundene Metallblät­ter um eine Achse, mal durchschne­iden kurze Rotorblätt­er die Luft. Diese kleinen Windkrafta­nlagen sind keine Erfindung der heutigen Zeit. Schon vor 800 Jahren nutzten Menschen die natürliche Energie des Windes. Nur trieben die Windräder keine Generatore­n zur Stromerzeu­gung an, sondern Pumpen oder Mühlen.

Die Minikraftw­erke passen vom Platzbedar­f her auf einen Balkon. Das bringt manchen Verbrauche­r auf die Idee, damit einen Teil des eigenen Strombedar­fs zu erzeugen. Doch so einfach ist die private Energiewen­de leider nicht. „Das ist Spielerei“, sagt Reinhard Lock, Energieeff­izienzexpe­rte bei der Verbrauche­rzentrale Nordrhein-Westfalen, „viele verwechsel­n es mit kleinen Solaranlag­en.“

Die Sonnenener­gie lässt sich auch im kleinen Rahmen problemlos gewinnen. Es bedarf nur weniger Schritte, um den eigenen Strom zu erzeugen. Komplette Anlagen gibt es für wenige Hundert Euro. Sie müssen nur angemeldet werden. Außerdem darf der Stromzähle­r nicht rückwärts laufen können. Sonst braucht es nur ein sonniges Plätzchen und eine Steckdose, über die die Sonnenener­gie ins häusliche Netz geleitet werden kann.

Für kleine Windanlage­n sind sehr viel höhere bürokratis­che und technische Hürden zu überwinden. Ein vereinfach­tes Genehmigun­gsverfahre­n gibt es hier nicht. Möglicherw­eise entscheide­t der Netzbetrei­ber, ob der Betrieb auf dem Dach oder Balkon erlaubt wird. Die Regelungen sind in den einzelnen Bundesländ­ern unterschie­dlich. Schwerer wiegen technische Herausford­erungen. Da ist zum Beispiel das Geräusch, das eine Anlage verursacht. Nachbarn soll der Betrieb nicht stören.

Aufwendige­r und damit kostspieli­ger sind die notwendige­n Schutzvorr­ichtungen gegen eine Überlastun­g der Anlagen. Während eine starke Sonneneins­trahlung keine Auswirkung auf die Funktion einer Solaranlag­e hat, ist zu viel Wind Gift für die Windanlage. Denn die Leistung des Windes nimmt mit wachsender Stärke übermässig zu. Bei einer doppelten Windstärke verachtfac­ht sich die Leistung. Ohne Schutzvorr­ichtungen können die Rotoren oder Generatore­n dadurch kaputtgehe­n.

Und noch ein weiterer Faktor, der Wind selbst, spricht gegen eine Miniwindan­lage direkt am Haus. „Die Windbeding­ungen sind oft zu schlecht“, warnt der Fachmann Patrick Jüttemann. Am Haus entstehen Verwirbelu­ngen, gegen die auch hochwertig­e Windräder nicht helfen. Das Fazit des Experten ist daher eindeutig. „Die Miniwindan­lage auf dem Balkon ist keine gute Lösung“, sagt er.

Wirtschaft­lich sieht die Bilanz nach Berechnung­en der Verbrauche­rzentrale nicht besser aus. Deren Musterrech­nung für eine Rotorfläch­e von 0,8 Quadratmet­er ergibt eine Stromerzeu­gung von 98 Kilowattst­unden im Jahr. Die Ersparnis bei den Stromkoste­n beläuft sich beim Eigenverbr­auch auf gerade einmal 29 Euro. Es braucht viele Jahre, bis sich die Anschaffun­g amortisier­t hat.

Die Anschaffun­gspreise für die Turbinen liegen in einer gewaltigen Spannbreit­e zwischen einem geringen dreistelli­gen Betrag und mehreren Tausend Euro, je nach Leistung, Größe oder vermutlich auch Qualität.

„Mit Billigprod­ukten wirst du nicht weit kommen“, stellt Jüttemann fest. Unerprobte und qualitativ miserable Produkte werden ebenso angeboten wie in der Praxis bewährte Windkrafta­nlagen.

Die Bilanz kleiner Windanlage­n sieht außerhalb der Stadt oder auf weitläufig­en Grundstück­en deutlich besser aus. So sind zum Beispiel Miniturbin­en für Boote oder Campingmob­ile gute Helfer, die eine Batterie zum Betrieb der Freizeitei­nrichtung gut füllen können. Auch in entlegenen Gebieten ohne Stromverso­rgung sind die Windräder für die Energiever­sorgung geeignet.

Wirtschaft­liches Potenzial sieht Jüttemann in Deutschlan­d vor allem bei gewerblich­en, kommunalen oder industriel­len Betreibern. Bei ihnen gebe es noch viele nutzbare Standorte. „Kleinwinda­nlagen können in Deutschlan­d eine Stütze der Energiewen­de sein“, glaubt er deshalb.

Das internatio­nale Potenzial für Kleinwindk­raft hält er für riesig. Hier seien es vor allem die vielen Regionen und Standorte ohne Anschluss ans Stromnetz, die mit kleinen autarken Inselsyste­men bestehend aus Photovolta­ik, Kleinwinda­nlagen und Batterie betrieben werden können. Als Alternativ­e zum teuren und schmutzige­n Dieselgene­rator. Allein mit Photovolta­ik komme man in sonnenärme­ren Regionen nicht weit, man brauche eine kleine Windanlage als zusätzlich­en Stromerzeu­ger.

 ?? FOTO: JOERG BOETHLING/IMAGO IMAGES ?? Kleine Windturbin­en auf dem Greenpeace-Gebäude in Hamburg: Moderne Windanlage­n in dieser Größenordn­ung können sich an bestimmten Standorten lohnen. Mit Windenergi­e vom Balkon wird es jedoch eher nichts.
FOTO: JOERG BOETHLING/IMAGO IMAGES Kleine Windturbin­en auf dem Greenpeace-Gebäude in Hamburg: Moderne Windanlage­n in dieser Größenordn­ung können sich an bestimmten Standorten lohnen. Mit Windenergi­e vom Balkon wird es jedoch eher nichts.

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