Lindauer Zeitung

„Raumfahrt zum Wohle unserer Gesellscha­ft“

Grünen-Politikeri­n Anna Christmann über Chancen der Industrie und Zweifel an Raketensta­rts in Deutschlan­d

- Von Björn Hartmann und Anja Maier

- Grünen-Politikeri­n Anna Christmann kümmert sich um den Raumfahrts­ektor. Sie will das staatliche Programm ausbauen, mehr Innovation und mehr privates Geld für die Branche gewinnen.

Frau Christmann, Sie koordinier­en vom Bundeswirt­schaftsmin­isterium aus die Luft- und Raumfahrt, demnächst werden Sie zusätzlich Wirtschaft­sminister Robert Habecks Start-up-Beauftragt­e. Was wollen Sie erreichen?

Die Luft- und Raumfahrt ist das perfekte Aufgabenfe­ld für eine GrünenPoli­tikerin wie mich. Ich will mich für jene Technologi­en einsetzen, die wir brauchen – mit Blick auf die Herausford­erungen, vor denen wir stehen, und auf unsere Ziele. Vor allem natürlich für den Klimaschut­z. Ich war bereits vorher Innovation­spolitiker­in und darf das jetzt weiter sein. Darauf freue ich mich.

Und was wollen Sie anders machen als die Union, deren Themenfeld­er das bislang waren?

Wir Grüne verstehen Innovation­en besonders umfassend: Sie sollen der Gesellscha­ft dienen. Insgesamt geht es mir darum, gute Rahmenbedi­ngungen für die zu liefern, die in diesen Innovation­sfeldern unterwegs sind. Das wollen wir in der Koalition gemeinsam angehen.

Was verbinden Sie grundsätzl­ich mit der Raumfahrt?

Ich sehe die Raumfahrt als Ermöglichu­ngstechnol­ogie für Dinge, die wir brauchen. Wir müssen mehr wissen über das Klima, über die Erde, damit wir die richtigen Entscheidu­ngen treffen können. Es geht auch um gute und sichere Kommunikat­ion und natürlich geht es auch ums Entdecken, darum, unser Wissen zu mehren.

Im Koalitions­vertrag finden sich an mehreren Stellen das Thema Space. Wie sieht die neue Raumfahrts­trategie der Bundesregi­erung aus?

Diese Strategie werden wir jetzt sehr schnell erarbeiten – bis Ende des Jahglückli­ch res soll sie vorliegen. Es soll eine Strategie der Ermöglichu­ng sein: Raumfahrt zum Wohle unserer Gesellscha­ft. Unser Schwerpunk­t wird auf dem Klima liegen, aber auch auf dem Innovation­s-Ökosystem.

Was verstehen Sie unter einem Innovation­s-Ökosystem?

Wir wollen die Hürden gerade für kleinere Start-ups abbauen und ein Umfeld schaffen, in dem sich sowohl die Großen als auch die Kleinen entwickeln können. Zum Beispiel kann der Staat dafür sorgen, dass bei öffentlich­en Ausschreib­ungen unterschie­dliche Akteure teilnehmen, und so Technologi­en und das gesamte Innovation­ssystem fördern.

Sie wollen das Nationale Raumfahrtp­rogramm stärken. Bedeutet das, dass der Etat erweitert wird? Zuletzt standen immer rund 300 Millionen Euro jährlich zur Verfügung.

Die Haushaltsv­erhandlung­en stehen noch am Anfang. Ich bin gar nicht so der neuen Bundesregi­erung.

Auf der ESA-Ministerra­tskonferen­z werden alle drei Jahre die wichtigen Projekte der Europäisch­en Raumfahrtb­ehörde festgelegt.

Bei der letzten Runde im Herbst 2019 stellten die beteiligte­n europäisch­en Länder rund 14,4 Milliarden Euro bereit. Deutschlan­d steuerte davon 22,8 Prozent bei, Frankreich 18,5, Italien 15,9 Prozent. (art)

über diesen Namen. National – das klingt, als würden wir Raumfahrt nur in Deutschlan­d sehen. Tatsächlic­h geht es jedoch darum, die europäisch­e Raumfahrt insgesamt zu stärken, mit unserem nationalen Budget ebenso wie im Rahmen der Europäisch­en Weltraumor­ganisation ESA.

Wir haben in Deutschlan­d größere Raumfahrts­tandorte in BadenWürtt­emberg, Bayern und Bremen. Was haben die vom Raumfahrtp­rogramm der Ampel?

Wir brauchen Menschen, die die Technologi­en entwickeln und Projekte konkret umsetzen. Wenn wir als Bundesregi­erung Programme aufsetzen, werden wir diese ausschreib­en. Und wenn es da eine breite Beteiligun­g gibt, um so besser.

Die Branche ist im Vergleich zu anderen Wirtschaft­szweigen klein. Rechnen Sie mit neuen Jobs?

Es geht ja nicht nur um staatliche­s Geld, sondern auch um private Investitio­nen.

Gut 40 Prozent aller Beschäftig­ten der deutschen Raumfahrti­ndustrie arbeiten im Südwesten. Bis zu 60 Prozent der in Deutschlan­d ausgebilde­ten Raumfahrti­ngenieure kommen von einer Südwest-Hochschule, sagt Rolf-Jürgen Ahlers, Vorstandsc­hef des Forums Luftund Raumfahrt Baden-Württember­g.

Wie vielfältig der Südwesten aufgestell­t ist, zeigt ein Blick in die

Wenn es gelingt, die zu mobilisier­en, kann die gesamte Branche wachsen, und das bedeutet dann mehr Arbeitsplä­tze.

Im Herbst findet die ESA-Ministerra­tskonferen­z statt, auf der die großen gemeinsame­n EU-Projekte beschlosse­n werden. Mit welchen Plänen gehen Sie dorthin?

Die ESA hat schon gute Vorschläge gemacht, worüber wir sprechen sollten. Zum Beispiel zum Thema Greener Space, aber auch Weltraumsc­hrott und Sicherheit im Weltraum, damit wir alle gemeinsam den Weltraum gut nutzen können und das nicht von einem Einzelnen dominiert wird. Zudem wollen wir darüber sprechen, wie wir in Europa einen agileren Raumfahrts­ektor als bisher schaffen.

Sind Sie bereit, wieder soviel Geld auszugeben wie bei der letzten Konferenz? 2019 waren es rund 3,3 Milliarden Euro, Deutschlan­d der größte Einzelzahl­er.

Details: Die Fakultät für Luft- und Raumfahrtt­echnik und Geodäsie der Universitä­t Stuttgart gilt als größte Luft- und Raumfahrtf­akultät in Europa und feierte 2010 das 100jährige Bestehen. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt hat hier Institute, ebenso die Fraunhofer-Gesellscha­ft.

Hiesige Unternehme­n sind vor allem für den Bau von Satelliten, ihren Triebwerke­n, Fernerkund­ungs

Es steht Deutschlan­d als größtem Wirtschaft­sstandort in der EU sicher gut an, auch entspreche­nd mitzuwirke­n. Das haben wir letztes Mal gezeigt, das ist unser Anspruch diesmal.

Wie wollen Sie dem in der Raumfahrt sehr mächtigen Frankreich trotzen, das seine Interessen mit einem Minister vertritt, während Deutschlan­d eine Beauftragt­e schickt?

Ich sehe das als gemeinsame Aufgabe, einen starken europäisch­en Raumfahrts­tandort zu schaffen. Wir haben Projekte gemeinsam mit Frankreich, gemeinsam mit Italien, es gibt EU- und ESA-Projekte. Ich finde es positiv, dass Frankreich sehr engagiert ist, und möchte, dass Deutschlan­d auch eine treibende Kraft ist.

Es gab bereits zwei Brandansch­läge auf den Bremer Satelliten­spezialist­en OHB, weil er Geschäfte mit der Bundeswehr macht. Wie wichtig ist die militärisc­he Nutzung von Weltraumte­chnologie? Brandansch­läge verurteile ich. Gewalt kann nicht Teil einer gesellscha­ftlichen Debatte sein. Das erschwert den Dialog. Darüber zu reden, wofür wir Technologi­en einsetzen wollen, hilft der Akzeptanz der Technologi­en. Entscheide­nd ist, dass nicht die Technologi­e selbst gut oder böse ist, sondern das, wofür wir sie einsetzen. Und um sie für den richtigen Zweck einzusetze­n, muss man sehr gut in diesen Technologi­en sein.

Wie stehen Sie zu den Plänen, Raketen von einem Schiff in der Außerorden­tlichen Wirtschaft­szone der Nordsee zu starten?

Dass Argument, es müsse dringend einen Startplatz in Deutschlan­d geben, finde ich nicht überzeugen­d. Wir müssen Startplätz­e in Europa prüfen und gemeinsam nutzen, zum Beispiel die in den nordischen Staaten. Wir müssen uns auch fragen, wie viele Startplätz­e wir in Europa und der Welt brauchen. Und ob der Start von einem Schiff in der Nordsee überhaupt ein Weg ist, schnell und gut ins All zu kommen, ist noch nicht abschließe­nd geklärt. und lebenserha­ltenden Systemen sowie bei der Satelliten­kommunikat­ion internatio­nal bekannt. Dazu gehört vor allem das Cluster am Bodensee mit Airbus Defence and Space in Immenstaad. Der Konzern gehört zu den weltweit führenden Spezialist­en für Satelliten­technik. Ein weiteres Beispiel ist das Unternehme­n Faulhaber mit Sitz in Schönaich (Kreis Böblingen), das Miniund Mikroantri­ebe herstellt. (sz)

 ?? FOTO: ATG MEDIALAB/DPA ?? Computerze­ichnung mit dem Solar Orbiter vor der Sonne: Die Sonnensond­e „Solar Orbiter“wurde von Airbus Defence and Space geplant und gebaut. Der Raumfahrts­ektor soll zu technologi­schen Durchbrüch­en verhelfen.
FOTO: ATG MEDIALAB/DPA Computerze­ichnung mit dem Solar Orbiter vor der Sonne: Die Sonnensond­e „Solar Orbiter“wurde von Airbus Defence and Space geplant und gebaut. Der Raumfahrts­ektor soll zu technologi­schen Durchbrüch­en verhelfen.

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