Nun ist bereits die 26. Generation am Ruder
Ungewöhnliches Konzept - Obstbauernfamilie hat vor 20 Jahren von sich reden gemacht
- Ein Obstladen außerhalb der eigenen Hofstelle, am Rande eines Gewerbegebiets und direkt an der Zufahrt zur Autobahn, in einem markanten ovalen Gebäude und noch dazu mit einem Drive-in-Schalter: Mit einem ungewöhnlichen Konzept hat die Lindauer Obstbauernfamilie Nüberlin vor knapp 20 Jahren viel von sich reden gemacht – auch weit über Stadt und Landkreis Lindau hinaus. Inzwischen ist die junge Generation am Ruder und schätzt sich glücklich. „Diesen Verkaufsladen zu bauen, war eine der besten Entscheidungen überhaupt, auch im Hinblick auf die Zukunft“, sagt Florian Nüberlin.
Er und seine Schwester Lena führen das fort, was sie von ihrem Vater Martin und dessen Vorvätern übernommen haben. Die beiden Geschwister sind bereits die 26. Generation, die den Bauernhof im Lindauer Stadtteil Rickenbach bewirtschaftet. Zu einem reinen Obstbaubetrieb hat sich der Hof allerdings erst in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt. „Mein Opa hat mit dem Obstbau im kleinen Stil begonnen, mein Vater hat ihn ausgebaut“, erzählt Florian Nüberlin (32). Er selbst hat Gartenbau an der Fachhochschule in Weihenstephan studiert, seine Schwester Lena (29) ist Obstbaumeisterin.
Gemeinsam bewirtschaften die Geschwister 23 Hektar Obstbaufläche und erzeugen im Durchschnitt 800 Tonnen Obst pro Jahr – überwiegend Äpfel in rund 20 verschiedenen Sorten, aber auch Birnen, Zwetschgen, Kirschen und Erdbeeren sowie Walnüsse von etwa 60 Bäumen. Mit dieser Obstmenge zählen sie in Lindau zu den größeren Obstbauern, sind aber im Vergleich zu ihren Kollegen in der württembergischen Nachbarschaft eher im Mittelfeld anzusiedeln. Und dennoch: „Wenn wir unser Obst nur über den Großmarkt verkaufen würden, könnten wir kaum davon leben“, sagt Florian Nüberlin im Hinblick auf die geringen Preise im Großhandel. Deshalb betrachtet er es als „ein großes Glück, dass wir unsere Äpfel in unserem eigenen Verkaufsladen vermarkten können. Denn von jedem Kilo, das wir direkt an Endkunden verkaufen, bleibt wesentlich mehr bei uns hängen.“
Das ist der Grund, warum fast alle Obstbauern in Lindau und Umgebung nach Möglichkeiten der Direktvermarktung suchen. Die einen haben einen Verkaufsstand auf der Hofstelle oder am Straßenrand, andere gehen auf Wochenmärkte, wieder andere vermarkten Obst und Gemüse in professionell ausgebauten Verkaufsräumen oder beschreiten andere kreative Wege der Produktveredelung oder -vermarktung. Immer ist es Obst vom Bodensee direkt vom Erzeuger.
Der Familie Nüberlin geht es nicht anders. „Wenn wir unseren Laden nicht hätten, würden wir nach anderen Möglichkeiten der Direktvermarktung suchen“, sagt Florian Nüberlin. Zum Teil geschieht dies auch: Er und seine Schwester beliefern zum Beispiel Tankstellen mit Obst und bieten Edelbrände im Internet und auf dem Lindauer Weihnachtsmarkt an. Entscheidend ist aber ihr Verkaufsladen an prädestinierter Stelle. Doch Florian Nüberlin weiß: „Die beste Lage nutzt nichts, wenn die Qualität nicht stimmt. Deshalb geht bei uns Qualität vor Quantität.“
Bis vor 20 Jahren hat die Familie Nüberlin ihr Obst noch direkt an der Hofstelle in Rickenbach verkauft, nur etwa 500 Meter von dem heutigen Laden entfernt. Als die Stadt Lindau in diesem Bereich ein neues Gewerbegebiet plante, bedeutete dies einen großen Einschnitt: „Wir hatten damals schon viele Kunden aus Vorarlberg. Und es war klar, dass unser Hofladen schwieriger zu erreichen sein wird“, berichtete Florian Nüberlin. Sein Vater wagte den entscheidenden Schritt: Er kaufte ein Grundstück im neuen Gewerbegebiet, errichtete direkt an der Autobahnzufahrt einen ovalen Neubau und setzte noch eine pfiffige Idee oben drauf: Autofahrer sollten vor einem großen Fenster des Ladens anhalten können, eine Glocke läuten und ihre Bestellung aufgeben. Werbewirksam war dieser Drive-in-Schalter auf jeden Fall, doch genutzt wurde er nur im ersten Jahr und auch da nur wenige Male. „Die Leute wollen lieber in den Laden gehen. Wir haben ja ein sehr breites Sortiment“, erklärt Florian Nüberlin.
Neben Obst und Walnüssen aus eigenem Anbau gibt es dort auch hausgemachte Erzeugnisse. Marmelade kochen die Geschwister Nüberlin selbst am Herd. Ihre prämierten Edelbrände entstehen in ihren beiden Brennereien. Apfelchips lassen sie aus eigenen Äpfeln von einem spezialisierten Betrieb herstellen. Darüber hinaus bietet der Laden saisonales Gemüse, Müsli, Nudeln, Eier,
Honig und dergleichen, möglichst von Erzeugern aus der Region. Und dann gibt es da noch die knackigen Äpfel mit einer Zahl als Namen: Nummer 29. Eine holländische Baumschule habe sie gezüchtet, er selbst sei – abgesehen von Versuchsstationen – derzeit der einzige Obstbauer in Europa, der sie anbaut, erzählt Florian Nüberlin begeistert über die jüngste Besonderheit auf seinem Hof.
Auch Strom produziert die Familie Nüberlin selbst, nämlich mit ihrer Photovoltaikanlage auf dem Dach des Obstlagers, das sich nach wie vor direkt auf der Hofstelle befindet. Mit dieser Anlage kann der Energiebedarf des Lagers komplett gedeckt und zum Teil auch das Wohnhaus versorgt werden.
Dies alles klingt nach viel Arbeit. Deshalb hilft Vater Martin Nüberlin, der viele Jahre Vorsitzender der Erzeugergemeinschaft Lindauer Obstbauern gewesen ist, tatkräftig mit. Zudem hat die Familie einen Obstbaumeister fest angestellt, beschäftigt im Verkaufsladen vier bis fünf Verkäuferinnen in Teilzeit und je nach Saison zwölf bis 15 Erntehelfer aus Polen.
Der Verkaufsladen ist derzeit von Montag bis Freitag von 9 bis 18 Uhr und am Samstag von 9 bis 14 Uhr geöffnet, in der Kirschen- und Erdbeerzeit sogar an allen sieben Tagen der Woche.