Warum ein Therapeut Humor haben sollte
Therapeuten sollten Mut machen und sich nicht hinter Notizen verstecken
(dogs) - Seine Klienten sind Menschen wie du und ich. Einige brauchen ihn als Psychiater, manche als Psychotherapeuten und wieder andere als Coach. Dr. Christian Peter Dogs lädt die Leser der Lindauer Zeitung dazu ein, ihm bei der Arbeit über die Schulter zu schauen und verspricht: „Bei vielen Fällen werden Sie manches von sich selbst wiedererkennen.“Dieses Mal geht er mit seinem eigenen Berufsstand ins Gericht. Er erklärt, warum für ihn Therapeuten auch als Menschen erlebbar sein müssen – mit ihren Stärken und Schwächen.
„Sie haben doch nicht Ihr Lächeln verloren?“In vielen Gesprächen – auch im privaten Umfeld – erlebe ich immer wieder, dass viele Menschen sich unseren Beruf sehr trocken, belastend, klug und allwissend vorstellen. Irgendwie geistert noch die Vorstellung von Sigmund Freud herum, wie er klug und still dasitzt und verständnisvoll nickt, gelegentlich auch einnickt. Der Therapeut hört und schaut zu und bleibt für die Patienten stets ein Rätsel.
Es entsteht der Eindruck, als existiere eine scharfe Grenze: Die Behandler sind normal und die, die als Patienten zu ihnen kommen, sind gestört. Selten geben sich die Psychiater und Psychotherapeuten selbst zu erkennen, erwarten aber von ihren Klienten, dass sie intimste Geheimnisse offenlegen. Ein sehr ungleiches Verhältnis, in dem sich die einen ausziehen und die anderen völlig verkleidet bleiben.
Nun kann man sagen: So ist das schließlich beim Arzt. Der Internist zieht sich auch nicht aus, wenn er seine Patienten untersucht. Das stimmt sicherlich. Aber auch beim körperlich tätigen Arzt freut man sich über ein Lächeln, Anteilnahme und über die eine oder andere persönliche Bemerkung, dass ihm so ein
Symptom schon selbst begegnet ist. Das gilt für uns Psychotherapeuten noch viel mehr.
War es früher üblich, sich hinter Schreibtischen zu verkriechen, so ist es heute eine schreckliche Unsitte, dass sich fast alle angewöhnt haben, eine Notizkladde wie ein Schild vor sich zu halten. Man macht ständig Aufzeichnungen und versucht dabei, ein Gespräch aufzubauen.
Ich muss zugeben, dass ich in all den Jahrzehnten, in denen ich Ärzte und Diplom-Psychologen ausgebildet habe, vergeblich versucht habe, dieses Gesprächsverhalten zu korrigieren. Für mich ist es fundamental wichtig, während der Kommunikation Augenkontakt zu halten und mimisch und gestenreich zu vermitteln, dass ich aufmerksam zuhöre und emotional an allen Inhalten des Gesprächs beteiligt bin.
Wir wissen aus vielen Studien, dass in der verbalen Kommunikation immer der emotional Aktive führt. Reden Sie mal mit einem Italiener, dann wissen Sie, was ich meine. Therapeuten müssen als Menschen erlebbar sein, mit ihren Stärken und Schwächen, und affektiv mitschwingen. Sie dürfen nicht während der Interaktion als sachliche, Notizen machende Kontrollinstanzen auftreten. Notizen kann man sich nach dem Gespräch machen. Das zahlt sogar die Krankenkasse.
Wie sehr freue ich mich über lebensfrohe, authentische Therapeuten, die den Patienten helfen, ihre Möglichkeiten und Fähigkeiten zu erkennen. Die Zuversicht und Hoffnung ausstrahlen und sich darauf konzentrieren, aufzuzeigen, was an Veränderungen möglich ist, statt sich auf die Defizite im Leben und besonders in der Kindheit zu stürzen.
Gerade in den jetzt so schwer belastenden Corona-Zeiten müssen wir Therapeuten Mut machen und die Psychotherapie von der schrecklichen Schwermut befreien, mit der Generationen von angeblichen Koryphäen unser Fachgebiet vergiftet haben.
Wir arbeiten schließlich mit Menschen zusammen, die durch schreckliche Ereignisse krank geworden sind – ihr Zustand wird nicht besser, wenn sie subdepressiven Behandlern gegenübersitzen, die damit beschäftigt sind, sich Notizen zu machen. Die wichtigsten Ereignisse im Leben kann man sowieso nicht in Worte fassen.
Auch wenn ich dafür schon oft kritisiert worden bin, so bin ich immer noch der tiefen Überzeugung, dass ein guter Therapeut Humor haben muss. Er sollte lachen können – auch und unbedingt über sich selbst.
Dr. Christian Peter Dogs ist Psychiater und ärztlicher Psychotherapeut, war 30 Jahre Chefarzt verschiedener psychosomatischer Fachkliniken (unter anderem der Panorama Fachklinik in Scheidegg), Coach für Unternehmer und Manager der ersten Führungsebene. Das Buch „Gefühle sind keine Krankheit: Warum wir sie brauchen und wie sie uns zufrieden machen“, das er zusammen mit der Stern-Redakteurin Nina Poelchau geschrieben hat, wurde zum Spiegelbestseller. Außerdem war er Kolumnist der Wirtschaftswoche und des Stern. Ab sofort hat er auch in der LZ einen festen Platz. Online gibt es alle Teile der Kolumne unter
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