Ermittler vom Kriminaldauerdienst sind die ersten am Tatort
Beamte sehen jedes Jahr über 700 Leichen und werden an bis zu 80 Brandorte im Allgäu gerufen
- Niemand bei der Polizei trifft auf so viele Leichen wie die Beamtinnen und Beamten des Kriminaldauerdienstes (KDD): 720 Todesfälle sind es durchschnittlich pro Jahr allein im Allgäu, die dort bearbeitet werden. Damit sieht jeder der insgesamt etwa 25 Mitarbeiter 50 bis 60 Tote jährlich. „Mit so etwas muss man umgehen können“, sagt Christian Batscheider – auch wenn es sich bei vielen Fällen nicht um Verbrechen handelt. Der 47-Jährige ist stellvertretender Leiter des KDD in Memmingen.
Seit dessen Gründung im Polizeipräsidium Schwaben Süd/West vor 14 Jahren ist Batscheider dabei – als eines von vier „Gründungsmitgliedern“. Der Name lässt ahnen, was die Abteilung der Kriminalpolizei macht: Rund um die Uhr an sieben Tagen in der Woche sind die Beamten einsatzbereit und meist die ersten an Tatorten. Dabei geht es nicht selten um Gewaltverbrechen wie Tötungsund Sexualdelikte, aber auch um tödliche Verkehrsunfälle und Raub. Ihre Aufgabe: sogenannte kriminalpolizeiliche Erstmaßnahmen – also auch abklären, ob es sich wirklich um eine Straftat handelt. „Chaos-Phase“nennt Batscheider das. Da müsse man schnell Entscheidungen treffen und Prioritäten setzen, was am jeweiligen Tatort wichtig ist.
Dazu gehören zum Beispiel Vernehmungen, Fotos vom Tatort machen, Spuren sichern sowie weitere Ermittlungs- und Koordinierungsaufgaben übernehmen. Anschließend werden die Fälle an das jeweilige Fachkommissariat zur weiteren Bearbeitung abgegeben. Suizide oder Todesfälle, bei denen keine Straftat begangen wurde, werden in der Regel vom Kriminaldauerdienst komplett bearbeitet.
Was abstrakt klingt, ist vor Ort oft harte Kost. „Für uns, aber vor allem für Opfer und Angehörige“, berichtet Batscheider. Da gebe es zum Glück auch Unterstützung von Kriseninterventionsteams. „Die Menschen, mit denen wir zu tun haben, befinden sich immer in Ausnahmesituationen.“Da gelte es, Ruhe zu bewahren.
„Man entwickelt eine gewisse professionelle Routine“, sagt Batscheider. Jede Situation sei anders und viele Fälle würden auch die Ermittler
nicht kalt lassen – „zum Beispiel, wenn Kinder betroffen sind“. Da sei es für die Polizisten wichtig, selbst ein funktionierendes und verständnisvolles Umfeld zu haben. Schließlich sei man vor allem nachts, an Wochenenden und an Feiertagen im Einsatz. „Wenn ein Brand um 5 Uhr morgens passiert, wird freilich auch nicht pünktlich Feierabend gemacht, sondern weiter ermittelt.“
Wegen dieser Belastungen werde zum KDD niemand zwangsversetzt – „alle sind freiwillig hier“. Neben der normalen Polizeiausbildung absolviert jeder Ermittler ein spezielles vierwöchiges Seminar. Personalengpässe gebe es in seinem Bereich nicht, sagt Christian Batscheider. „Es läuft. Aber natürlich würden wir uns immer über zusätzliche Leute freuen.“
„Abwechslungsreich und spannend“sei die Arbeit, erzählt der Kriminalhauptkommissar aus dem Oberallgäu. Und nennt als nicht alltägliche Einsätze die Explosion in der Memminger Rettungswache des Roten Kreuzes, die Sprengung eines Geldautomaten in Heimertingen (Landkreis Unterallgäu) oder jüngst die erstochene 16-Jährige nahe dem Allgäu Airport in Memmingerberg. Typischer sei eher, dass ein Hausarzt einen Totenschein ausstellen soll und den Verdacht hat, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen sein könnte. Auch dann rücken die Ermittler vom KDD mit ihren VW-Bussen aus, die vollgepackt sind mit Ausrüstung: Von Markierungen und Absperrband für Tatorte über Scheren, mit denen Tote zur besseren Erstuntersuchung aus der Kleidung geschnitten werden können, bis hin zu DNA-Stäbchen für Abstriche bei Sexualdelikten. Damit die Spurenlage vor Ort nicht verfälscht wird, tragen die zuständigen Ermittler in den meisten Fällen Schutzanzüge.
Geschichte: Der Kriminaldauerdienst (KDD) ist ein „Rund um die Uhr“-Bereitschaftsdienst der Polizei. Im Allgäu gibt es ihn seit März 2008. Er wird zu allen schweren Gewaltdelikten gerufen.
Aufgaben: Der KDD sichert am Tatort außerhalb der üblichen Bürozeiten Spuren und vernimmt Opfer und Zeugen.
Fälle: Eine genaue Zahl gibt es nicht. Der KDD nennt als jährlichen Durchschnitt aber allein etwa 720 Todesfälle, die geklärt werden müssen, sowie 50 bis 80 Brände.
Einsatzgebiet:
Dienstsitz: Bei der Kripo Memmingen nahe dem Allgäu Airport.
Mitarbeiter:
etwa 25. (arz)