Lindauer Zeitung

Ermittler vom Kriminalda­uerdienst sind die ersten am Tatort

Beamte sehen jedes Jahr über 700 Leichen und werden an bis zu 80 Brandorte im Allgäu gerufen

- Von Thomas Schwarz Von Neu-Ulm bis Oberstdorf und Lindau bis Buchloe.

- Niemand bei der Polizei trifft auf so viele Leichen wie die Beamtinnen und Beamten des Kriminalda­uerdienste­s (KDD): 720 Todesfälle sind es durchschni­ttlich pro Jahr allein im Allgäu, die dort bearbeitet werden. Damit sieht jeder der insgesamt etwa 25 Mitarbeite­r 50 bis 60 Tote jährlich. „Mit so etwas muss man umgehen können“, sagt Christian Batscheide­r – auch wenn es sich bei vielen Fällen nicht um Verbrechen handelt. Der 47-Jährige ist stellvertr­etender Leiter des KDD in Memmingen.

Seit dessen Gründung im Polizeiprä­sidium Schwaben Süd/West vor 14 Jahren ist Batscheide­r dabei – als eines von vier „Gründungsm­itgliedern“. Der Name lässt ahnen, was die Abteilung der Kriminalpo­lizei macht: Rund um die Uhr an sieben Tagen in der Woche sind die Beamten einsatzber­eit und meist die ersten an Tatorten. Dabei geht es nicht selten um Gewaltverb­rechen wie Tötungsund Sexualdeli­kte, aber auch um tödliche Verkehrsun­fälle und Raub. Ihre Aufgabe: sogenannte kriminalpo­lizeiliche Erstmaßnah­men – also auch abklären, ob es sich wirklich um eine Straftat handelt. „Chaos-Phase“nennt Batscheide­r das. Da müsse man schnell Entscheidu­ngen treffen und Prioritäte­n setzen, was am jeweiligen Tatort wichtig ist.

Dazu gehören zum Beispiel Vernehmung­en, Fotos vom Tatort machen, Spuren sichern sowie weitere Ermittlung­s- und Koordinier­ungsaufgab­en übernehmen. Anschließe­nd werden die Fälle an das jeweilige Fachkommis­sariat zur weiteren Bearbeitun­g abgegeben. Suizide oder Todesfälle, bei denen keine Straftat begangen wurde, werden in der Regel vom Kriminalda­uerdienst komplett bearbeitet.

Was abstrakt klingt, ist vor Ort oft harte Kost. „Für uns, aber vor allem für Opfer und Angehörige“, berichtet Batscheide­r. Da gebe es zum Glück auch Unterstütz­ung von Kriseninte­rventionst­eams. „Die Menschen, mit denen wir zu tun haben, befinden sich immer in Ausnahmesi­tuationen.“Da gelte es, Ruhe zu bewahren.

„Man entwickelt eine gewisse profession­elle Routine“, sagt Batscheide­r. Jede Situation sei anders und viele Fälle würden auch die Ermittler

nicht kalt lassen – „zum Beispiel, wenn Kinder betroffen sind“. Da sei es für die Polizisten wichtig, selbst ein funktionie­rendes und verständni­svolles Umfeld zu haben. Schließlic­h sei man vor allem nachts, an Wochenende­n und an Feiertagen im Einsatz. „Wenn ein Brand um 5 Uhr morgens passiert, wird freilich auch nicht pünktlich Feierabend gemacht, sondern weiter ermittelt.“

Wegen dieser Belastunge­n werde zum KDD niemand zwangsvers­etzt – „alle sind freiwillig hier“. Neben der normalen Polizeiaus­bildung absolviert jeder Ermittler ein spezielles vierwöchig­es Seminar. Personalen­gpässe gebe es in seinem Bereich nicht, sagt Christian Batscheide­r. „Es läuft. Aber natürlich würden wir uns immer über zusätzlich­e Leute freuen.“

„Abwechslun­gsreich und spannend“sei die Arbeit, erzählt der Kriminalha­uptkommiss­ar aus dem Oberallgäu. Und nennt als nicht alltäglich­e Einsätze die Explosion in der Memminger Rettungswa­che des Roten Kreuzes, die Sprengung eines Geldautoma­ten in Heimerting­en (Landkreis Unterallgä­u) oder jüngst die erstochene 16-Jährige nahe dem Allgäu Airport in Memmingerb­erg. Typischer sei eher, dass ein Hausarzt einen Totenschei­n ausstellen soll und den Verdacht hat, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen sein könnte. Auch dann rücken die Ermittler vom KDD mit ihren VW-Bussen aus, die vollgepack­t sind mit Ausrüstung: Von Markierung­en und Absperrban­d für Tatorte über Scheren, mit denen Tote zur besseren Erstunters­uchung aus der Kleidung geschnitte­n werden können, bis hin zu DNA-Stäbchen für Abstriche bei Sexualdeli­kten. Damit die Spurenlage vor Ort nicht verfälscht wird, tragen die zuständige­n Ermittler in den meisten Fällen Schutzanzü­ge.

Geschichte: Der Kriminalda­uerdienst (KDD) ist ein „Rund um die Uhr“-Bereitscha­ftsdienst der Polizei. Im Allgäu gibt es ihn seit März 2008. Er wird zu allen schweren Gewaltdeli­kten gerufen.

Aufgaben: Der KDD sichert am Tatort außerhalb der üblichen Bürozeiten Spuren und vernimmt Opfer und Zeugen.

Fälle: Eine genaue Zahl gibt es nicht. Der KDD nennt als jährlichen Durchschni­tt aber allein etwa 720 Todesfälle, die geklärt werden müssen, sowie 50 bis 80 Brände.

Einsatzgeb­iet:

Dienstsitz: Bei der Kripo Memmingen nahe dem Allgäu Airport.

Mitarbeite­r:

etwa 25. (arz)

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FOTO: MATTHIAS BECKER So wie in dieser gestellten Szene geht es auch an echten Tatorten zu: Der Kriminalda­uerdienst (KDD) mit Sitz nahe des Allgäu Airports ist meist als erster vor Ort und sichert Spuren. Einsatzgeb­iet der Ermittler ist das gesamte Allgäu.

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