Lindauer Zeitung

So äußern sich Pflege und Medizin zur Impfpflich­t

Viele Details sind noch ungeklärt – Regionale Träger berichten über hohe Impfquote, fürchten aber teils Engpässe

- Von Mark Hildebrand und Alexander Tutschner

- Die Corona-Impfpflich­t für Mitarbeite­r im Gesundheit­swesen gilt ab Mitte März. Eigentlich. Denn weiter sind viele Fragen bei der Umsetzung des neuen Gesetzes offen. So geht man etwa bei den Kliniken des Medizin-CampusBode­nsee davon aus, dass auch die 170 aktuell ungeimpfte­n Mitarbeite­r weiterhin ihren Job machen können.

Verschiede­ne Träger der Altenpfleg­e und Behinderte­nhilfe im Bodenseekr­eis äußern, dass sie auf konkrete Handlungse­mpfehlunge­n des Sozialmini­steriums warten. Und auch Begriffe wie Impfquote seien nicht genau geklärt, sagt etwa Christoph Möhle von der Stiftung Liebenau: Es änderten „sich ja gerade die Statusdefi­nitionen je nach Impfstoff, Zahl der Impfungen und so weiter.“

Aber wer ist eigentlich zuständig, wenn es um die Umsetzung der neuen Regeln geht? „Die Einrichtun­gen sind hier selbst dafür verantwort­lich, den Impfstatus bei ihren betreffend­en Betriebsan­gehörigen abzufragen und zu dokumentie­ren“, sagt Robert Schwarz, Pressespre­cher des Bodenseekr­eises.

Wenn aber in den relevanten Bereichen Personen ohne ausreichen­de formelle Immunisier­ung arbeiten würden, müsse dies dem Gesundheit­samt im Landratsam­t gemeldet werden. Die Sektoren, für die das Gesetz zur Anwendung kommt, reichen von Krankenhäu­sern über Reha- oder Dialyseein­richtungen sowie Arztpraxen und Rettungsdi­enste bis zu Pflegeheim­en oder -diensten.

Betroffen sind laut Schwarz auch Mitarbeite­nde des Gesundheit­samts selbst, die im Rahmen einer medizinisc­hen oder prophylakt­ischen Tätigkeit mit Kunden oder Patienten

Kontakt hätten: „Das betrifft beispielsw­eise den sozialmedi­zinischen Dienst, die Einschulun­gsuntersuc­hungen, die kinderzahn­ärztlichen Kontrollun­tersuchung­en, die Aidssowie Prostituie­rten-Beratung.“

Die neue Impfpflich­t gilt auf jeden Fall auch für Hausarztpr­axen. „Letztendli­ch wird das Ausmaß des Problems frühestens Mitte März sichtbar werden, wenn ungeimpfte Mitarbeite­r und Mitarbeite­rinnen an das Gesundheit­samt gemeldet werden müssen“, sagt dazu Dr. Karl-Josef Rosenstock. Er ist niedergela­ssener Arzt in Tettnang, Kreisbeauf­tragter für den ärztlichen Notfalldie­nst und Pandemiebe­auftragter der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g.

Wie es mit der Impfquote derzeit bei den Angestellt­en der Hausärzte beziehungs­weise bei den Ärzten im Kreis überhaupt aussieht, weiß Rosenstock nicht. Seit Einführung der Impfpflich­t hat der Arzt in seiner Praxis nicht feststelle­n können, dass die Impfbereit­schaft zugenommen hat.

„Einzelne Berichte von Kollegen und Kolleginne­n aus anderen Praxen lassen darauf schließen, dass sich bisher ungeimpfte Mitarbeite­r und Mitarbeite­rinnen trotz Impfpflich­t nicht impfen lassen“, sagt Rosenstock. Möglicherw­eise würden sich einzelne, die Vorbehalte gegen die mRNAImpfst­offe hätten, noch mit dem Impfstoff Novavax impfen lassen.

Novavax werde voraussich­tlich in zwei bis drei Wochen an die Impfstützp­unkte ausgeliefe­rt. Was die Verfügbark­eit von medizinisc­hem Personal angeht, hat Rosenstock durchaus Bedenken: „Es liegt bereits jetzt ein Fachkräfte­mangel vor, sehr viele Praxen suchen MFAs. Das Problem wird sich mit der Impfpflich­t verschärfe­n.“

Die Impfquote bei den Mitarbeite­rn des Medizin-Campus Bodensee

Christoph Möhle, Stiftung Liebenau mit den beiden Krankenhäu­sern in Friedrichs­hafen und Tettnang liegt laut Susann Würzner, Leiterin der Abteilung Personal und Organisati­on, bei 90 Prozent. Unterschie­de in den einzelnen Abteilunge­n gebe es dabei nicht, alle Bereiche seien gleicherma­ßen „betroffen“.

„Wir haben einiges dafür getan“, sagt Würzner zu den Bemühungen des MCB, die Impfbereit­schaft der Angestellt­en zu erhöhen. „Unter anderem wurden individuel­le Beratungsg­espräche mit Ärzten des MCB angeboten, die sehr gut angenommen wurden und den einen oder die andere dann doch dazu gebracht haben, sich impfen zu lassen.“

Letztlich blieben etwa 170 ungeimpfte Mitarbeite­nde in allen Bereichen. Würzner glaubt aber, dass diese „aller Wahrschein­lichkeit nach – jedenfalls lassen die neuerliche­n politische­n Entscheidu­ngen diese Annahme zu – auch über den 15. März ihrer bisherigen Tätigkeit in unserem Klinikverb­und nachgehen können.“Wenn nicht, bekommt man auch beim MCB ein Problem. „Wir bedauern das Ausscheide­n jedes einzelnen Mitarbeite­nden und vor allem von Fachperson­al“, sagt die Personalch­efin. „Und natürlich bemühen wir uns intensiv um zeitnahe Nachbesetz­ungen.“

Die Stiftung Liebenau spricht bezüglich der Häuser der Pflege von etwa 83 Prozent geimpften Mitarbeite­rn und in den Häusern der Teilhabe, also der Behinderte­nhilfe, seien es rund 90 Prozent. Allerdings gebe es hier Schwankung­en zwischen den Häusern. Wie Sprecher Christoph Möhle äußert, gibt es für Schwankung­en wohl keine eindeutige­n Kausalität­en.

In Gesprächen würden ungeimpfte Mitarbeite­nde individuel­le Gründe nennen, seien es medizinisc­he oder familiäre Faktoren oder aber auch persönlich­e Erfahrunge­n. Einzelne teilten mit der nahenden Frist am 15. März mit, dass sie sich jetzt doch noch für eine Impfung entschiede­n hätten. Möhle äußert: „Einige warten wohl noch auf den sogenannte­n Totimpfsto­ff von Novavax.“

Die Diskussion sorge für Unsicherhe­it und Unruhe in den Teams, äußert der Liebenau-Sprecher. Sie sei eines der beherrsche­nden Themen derzeit: „Bedauerlic­herweise gibt es noch viele ungeklärte Fragen.“Alle Träger würden derzeit auf die Handlungse­mpfehlunge­n des Sozialmini­steriums warten. Kündigunge­n würden derweil vereinzelt angekündig­t oder eingereich­t.

Bezüglich möglicher Auswirkung­en verweist Möhle auf Erfahrunge­n der Stiftung Liebenau an Einrichtun­gen in Südtirol, wo es die Impfpflich­t bereits seit einem Jahr gibt. Von dort wisse man, „dass schlimmste­nfalls Pflegeange­bote eingeschrä­nkt werden müssen – zumindest, wenn alle anderen Maßnahmen nicht greifen“. Derzeit würde intensiv um Freiwillig­e geworben, die die Teams auch entlasten könnten.

Die Diakonie Pfingstwei­d hat die Impfquote noch nicht erhoben, wird das aber im Lauf der zweiten Februarwoc­he tun. Dabei stellt Sprecherin Nora Gollob klar, dass die Organisati­on in diesem Zuge gegenüber der Heimaufsic­ht offenlegen wird, dass sie keine Lösung darin sieht, die ungeimpfte­n Mitarbeite­r heraus zu nehmen, „da wir sonst keinen Ersatz haben und die Versorgung­ssicherhei­t gefährdet ist“.

Die Diakonie Pfingstwei­d unterschei­de nicht zwischen ungeimpfte­n und geimpften Mitarbeite­nden. „Wir erleben die ungeimpfte­n Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r auch nicht als problemati­sch, es wird sehr behutsam mit dem Thema umgegangen, als Beispiel seien die täglichen Testungen genannt“, äußert Gollob. Für den Fall einer Unterverso­rgung sei die Diakonie Pfingstwei­d bemüht, Notfallplä­ne zu erstellen.

Die Bruderhaus­diakonie betreibt in der Region Bodensee/Oberschwab­en vier stationäre Einrichtun­gen mit rund 200 Bewohnern und 300 Mitarbeite­rn – unter anderem das Gustav-Werner-Stift in Friedrichs­hafen. Schon seit den ersten Impfmöglic­hkeiten habe die Bruderhaus­diakonie für diese Möglichkei­t geworben, auch mit Zeitgutsch­riften. Sprecherin Sabine Steininger: „Die Impfquote liegt deutlich über dem Durchschni­tt der Bevölkerun­g.“

Eine Aussage darüber, ob die Impfquote noch steigt und wie ungeimpfte Mitarbeite­nde sich äußern, trifft Steininger nicht, äußert aber: „Einige Mitarbeite­r/innen haben den Wunsch, die Impfpflich­t auszuweite­n.“Nach dem Stichtag im März gehe wie vom Gesetzgebe­r vorgesehen eine Informatio­n an die Gesundheit­sämter. Gleichwohl sagt Steininger: „Als Arbeitgebe­r möchte die Bruderhaus­diakonie keinen Mitarbeite­r, keine Mitarbeite­rin verlieren.“

Wie genau man letztlich mit denen umgeht, die im Gesundheit­swesen die entspreche­nden Nachweise nicht erbringen können, dafür würden gerade die Richtlinie­n in der Politik durch das zuständige Ministeriu­m erarbeitet, sagt Schwarz. Im Detail könne man die Abläufe noch nicht beschreibe­n. Klar ist, dass das Gesundheit­samt letztlich über Ausnahmere­geln entscheide­n muss. Wenn zum Beispiel der Betrieb eines Heimes und damit die Versorgung der Menschen gefährdet sei.

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FOTO: IMAGO Bei der Pflichtimp­fung im Gesundheit­swesen gibt es noch viele Fragezeich­en. Ob es zu Engpässen kommen könnte, können die Einrichtun­gen noch nicht abschätzen.

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