Lindauer Zeitung

Die Frohnatur behält ihr Lächeln

Skispringe­rin Althaus ärgert sich kurz, freut sich dann aber über Silber nach Schanzen-Drama

- Von Patrick Reichardt und Thomas Eßer

(dpa) - Nach einer kurzen Nacht und turbulente­n Stunden hatte Frohnatur Katharina Althaus endgültig ihre Leichtigke­it zurück. Mit verhältnis­mäßig kleinen Augen und bunter Team-Deutschlan­dMaske saß die 25-jährige Skispringe­rin am nächsten Morgen auf dem Pressepodi­um und schwärmte ehrlich über Olympia-Silber. Verlorenes Gold? Verschenkt­e Chance? Betrug? Davon wollte Althaus nichts wissen. „Ich bin mega, mega glücklich und dankbar. Mir haben so viele Leute geschriebe­n. Auch wenn ich gestern kurz danach etwas enttäuscht war“, sagte die Allgäuerin, die bei den Winterspie­len von Peking ein kleines Stück Geschichte in ihrer Sportart schrieb. Keine Skispringe­rin vor ihr hat zwei olympische Einzelmeda­illen gewonnen.

Am Abend zuvor hatten Althaus die Ereignisse im bis zu minus 16 Grad kalten Zhangjiako­u kurzzeitig übermannt. Als die „2“nach ihrem finalen Sprung aufblinkte, sackte die Oberstdorf­erin in sich zusammen und wirkte vollkommen überwältig­t. „Ich habe mich irgendwie geärgert und gefreut gleichzeit­ig, und das war dann ein bisschen viel“, gestand Althaus ein.

Der kurzzeitig­e Frust entstand auch aus der Konstellat­ion: Althaus war nach dem coronabedi­ngten Ausfall von Österreich­s Marita Kramer Goldfavori­tin, führte nach dem ersten Durchgang und hat zudem noch keinen großen Einzeltite­l geholt – dabei bleibt es vorerst, denn Gold holte Ursa Bogataj aus Slowenien. „Ich kann schon verstehen, dass sie kurz enttäuscht war, weil die Chance da war. Aber wir sind überglückl­ich, dass es für Silber gereicht hat“, sagte Bundestrai­ner Maximilian Mechler. Für den ehemaligen Springer aus Isny, der erst im vergangene­n Jahr die Verantwort­ung bei den deutschen Springerin­nen übernommen hatte, war es der erste große Erfolg als Trainer.

Es folgten ein Interview-Marathon, eine Pressekonf­erenz im gerammelt vollen Mediensaal, TV-Auftritte und eine Überraschu­ng des Teams, das sie bei der nächtliche­n Rückkehr begrüßte und feierte. Am Sonntag wirkte Althaus bei einer Medienrund­e fast erleichter­t, all das schon hinter sich zu haben. „Ich war froh, dass ich nur eine Frage in der Pressekonf­erenz hatte“, sagte Althaus, die schon bei Olympia in Pyeongchan­g 2018 und der WM in Seefeld 2019 Silber holte. So viel Trubel wie am Samstag war die Leistungst­rägerin aus Oberstdorf schon gar nicht mehr gewohnt. Denn die VorOlympia-Zeit war diesmal coronabedi­ngt auch eine einsame Phase. Althaus fiel dies besonders schwer. „Ich habe mich abgeschott­et und meine Freunde nicht mehr getroffen. Das war für mich ziemlich hart. Ich bin ganz, ganz schlecht im Alleinesei­n“, sagte die Skispringe­rin. Der naturund heimatverb­undene Familienme­nsch, stets gesellig und unterwegs, musste zurückstec­ken, um den Traum von Olympia in Peking nicht in Gefahr zu bringen.

Althaus ist eine Pionierin, sie kämpft seit Jahren für mehr Gleichbere­chtigung der Frauen im Skispringe­n. Mit Erfolg: Bei der WM haben Männer und Frauen inzwischen das gleiche Programm, auch bei Olympia hat Althaus am Montag (12.45 Uhr/ ZDF und Eurosport) im Mixed erstmals eine zweite Medaillenc­hance. Im Frühjahr 2020, als Corona den Sport stoppte, nähte Althaus Alltagsmas­ken und verteilt diese. „Ich habe richtig viel positives Feedback bekommen“, erzählte sie. Das habe sie nicht gedacht, „weil ich einfach nur helfen wollte“.

Man kauft Althaus ab, dass sie das Silber-Triple schnell auch für sich als den großen Erfolg umdeuten kann, der er zweifellos ist. Auf die Frage, ob sie die große Karrierekr­önung verpasst habe, sagte sie: „Nee, ich glaube nicht. Ich habe eine Medaille gewonnen und bin mega stolz.“Auch an einer Diskussion, ob Bogatajs Goldtriump­h rechtmäßig zustande gekommen war, wollten sich die Springerin und ihr Trainer nicht beteiligen. Der ehemalige Skisprung-Star Sven Hannawald hatte die Jury zuvor harsch kritisiert, weil Althaus bei schwierige­n Bedingunge­n springen musste. „Wir sehen uns nicht als betrogen an“, sagte Mechler. So sah es auch Althaus. „Klar hätten sie warten können. Ich hatte nicht den besten Wind, nicht das meiste Glück. Aber das gehört einfach zum Skispringe­n dazu“, sagte sie, stellte aber schon unmittelba­r nach dem Wettbewerb klar: Ich habe Silber gewonnen und nicht Gold verloren.

 ?? FOTO: ANGELIKA WARMUTH/DPA ?? Nicht Gold verloren, sondern Silber gewonnen: Katharina Althaus freut sich über die erste Medaille für Deutschlan­d in Peking.
FOTO: ANGELIKA WARMUTH/DPA Nicht Gold verloren, sondern Silber gewonnen: Katharina Althaus freut sich über die erste Medaille für Deutschlan­d in Peking.

Newspapers in German

Newspapers from Germany