Chinesisches Wind-Roulette
Sturmböen sorgen beim Olympia-Start für Probleme – Weiterer Ärger ist absehbar
(SID) - Die Abfahrer pokerten vergeblich, die Biathleten schimpften, und bei den Snowboardern machte sich sogar „Panik“breit. Die WindSpiele von Peking verlangen den Athleten alles ab – und sorgen für jede Menge Frust. Weil es am Olympia-Berg Xiaohaituo fast unaufhörlich bläst, sieht Ski-Star Mikaela Shiffrin ihre Gold-Mission in Gefahr. „Selbst wenn du alles richtig machst: Eine Windböe – und das war's!“, sagte sie über die Lage in Yanqing. Im 130 Kilometer entfernten Zhangjiakou sieht es nicht besser aus. „Dieser Ort“, sagte der norwegische Olympiasieger Tarjei Bö, „ist nicht für Biathlon gemacht.“Auch nicht für Skispringen, ja nicht einmal für Snowboarden. Statt fairer Wettkämpfe gibt’s chinesisches Roulette.
Eine „höhere Macht“, wie der frühere Bundestrainer Werner Schuster den Wind nannte, verhinderte den Olympiasieg von Katharina Althaus auf der Normalschanze – ihr blieb Silber als Trost. Annika Morgan hatte beim Slopestyle, wo die Boarderinnen bei ihren Sprüngen über Hindernisse teils meterhoch in der Luft stehen, erst Angst, dann „echt Panik“.
Nicht alle reagieren auf die widrigen Verhältnisse so entspannt wie Aleksander Aamodt Kilde, der Topfavorit für die Abfahrt. Als sein Rennen am Sonntag Stunde um Stunde verschoben wurde, zockte er seelenruhig Karten. Doch das „Pokerspiel“am Xiaohaituo, wie der deutsche Cheftrainer Christian Schwaiger die Hängepartie nannte, ging nicht auf: Gleich der erste Wettkampf der Alpinen musste um einen Tag verlegt werden. „Es war extrem böig, in Sachen Sicherheit und Fairness war das sicher eine gute, die richtige Entscheidung“, sagte Schwaiger zur Absage. Romed Baumann gab die Stimmung im Athletenlager so wieder: „Lieber kein Rennen als ein unfaires Rennen.“Dieses wäre bei Windgeschwindigkeiten von 50 bis 60 km/h sicher gewesen.
Es dürfte nicht die letzte Änderung im Zeitplan gewesen sein. „Das Thema wird uns sicher die nächsten zwei Wochen begleiten“, glaubt Schwaiger. Renndirektor Markus Waldner gab zu:
„Das ist ein schwieriger Berg, windstill ist es hier nie.“Wie sich der Wind im Renntempo anfühlt, hat Shiffrin bereits im Training erlebt. „Ab und an ist es wie ein Tornado, in dem du dich völlig verlierst“, erzählte sie und prophezeite: „Bei diesen Spielen wird vieles vom Glück abhängen.“
Das haben die Biathleten bereits erlebt. „Irgendwann weiß man als Schütze nicht mehr, wohin man eigentlich schießt“, berichtete Benedikt Doll nach der Mixed-Staffel. Selbst die sündhaft teure Eisbahn unterhalb der Skipiste bleibt nicht verschont. „Mal ist nichts, mal kommt was“, sagte Rodel-Weltmeister Felix Loch und klagte: „Wind macht keinen Spaß, du kannst nichts machen.“
Der Wind, fasste Ski-Trainer Schwaiger zusammen, „ist überall ein Riesenthema. Da muss man schon hinterfragen, warum man hier ein Großereignis fährt.“Sein Schützling Josef Ferstl machte deshalb eine Ansage in Richtung des Ringe-Ordens IOC: „Aus Fehlern sollte man lernen.“
Nach den vielen Fahrkarten im medaillenlosen Mixed soll nun ausgerechnet Franziska Preuß bei ihrem Debüt in Peking für die deutschen Biathleten ins Schwarze treffen. Die große Hoffnungsträgerin tappt allerdings selbst völlig im Dunkeln, was ihre aktuelle Leistungsstärke betrifft. „Natürlich bin ich sehr gespannt, was der Körper aktuell so hergibt“, sagte Preuß vor dem Einzelrennen am Montag (10.00 MEZ/ ZDF und Eurosport): „Ich lasse mich da jetzt mal überraschen.“
Zwei lange Monate musste Preuß pausieren, nachdem sie sich bei einem Treppensturz den Fuß verstaucht hatte und kurz vor Silvester auch noch an Corona erkrankt war. Vier Weltcups verpasste die 27-Jährige, die zuvor als aussichtsreichste Medaillenkandidatin der deutschen Biathleten gegolten hatte.
„Ich freue mich einfach, wieder dabei zu sein und mitmischen zu können“, sagte sie in Peking. Auf Preuß wartet in der Eiskammer von Zhangjiakou jedenfalls eine Herausforderung, die kaum schwerer sein könnte. Das Rennen über 15 Kilometer, etwa
1650 Meter über dem Meeresspiegel, bei klirrender Kälte und frostigen Winden sieht Preuß für sich selbst deshalb eher als „Einstieg“.
Wie schwer die wechselhaften Winde zu bändigen sind, musste Vanessa Voigt bereits in der Mixed-Staffel am Samstag schmerzhaft erfahren. Die Olympia-Debütantin drehte zwei Strafrunden, die Medaillenchancen des DSV-Quartetts um Denise Herrmann, Benedikt Doll und Philipp Nawrath waren damit schon früh dahin. Am Ende reichte es beim Triumph der Norweger nur zu einem fünften Platz. (SID)