Team Vorsicht und das Prinzip Hoffnung
Ministerpräsident Söder stellt sich an die Spitze derer, die Corona-Lockerungen fordern
(dpa) - Es ist ein Auftritt, wie Markus Söder ihn mag. Eine Pressekonferenz mit gleich zwei bundesweiten Schlagzeilen als Ergebnis. Erstens: Bayern lockert die Corona-Regeln, gleich in mehreren Bereichen. Und zweitens: Der Freistaat setzt die Impfpflicht für Pflegekräfte vorerst aus. Mit beiden Botschaften schafft der bayerische Ministerpräsident am Montag Fakten, auch ohne die nächste Corona-Runde von Bund und Ländern in der kommenden Woche abzuwarten. „Manchmal muss man auch Dinge entscheiden“, argumentiert der CSU-Chef. Und: Bayern wolle nun einen „Akzent“setzen, um „eine sanfte und kontrollierte Öffnung voranzubringen“. Akzent setzen – wohl eher eine positivere Formulierung für „vorpreschen“.
Dabei macht Söder genau das ganz bewusst, das sehen auch CSUVorstandsmitglieder so: Der CSUChef prescht vor, um Lob und Zuspruch in der Bevölkerung zu bekommen. Söder, der in einer Umfrage zu Jahresanfang in der Wählergunst eingebrochen war, weiß um die neue Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung: Einer neuen Erhebung zufolge gibt es zum ersten Mal seit Längerem eine Mehrheit, die sich für Öffnungsschritte ausspricht. Und die monatelang grummelnde Parteibasis lässt sich mit dem neuen Kurs auch wieder beruhigen.
Rückblick: Lange Zeit in der zwei Jahre dauernden Corona-Pandemie gefiel sich Söder als Anführer des selbst ernannten Teams Vorsicht. Die Konsequenz, mit der der CSUPolitiker agierte, brachte ihm vor allem anfangs nie gekannte Zustimmungswerte in der Bevölkerung – und hätte ihm letztlich sogar fast die Kanzlerkandidatur der Union beschert.
Heute allerdings ist die Lage anders – und weitaus komplizierter: Zum einen hat die Union die Bundestagswahl verloren. Auch die einst vor Kraft strotzende CSU muss sich in Berlin nun in der Opposition zurechtfinden. Und vor allem: Im kommenden Jahr naht die Landtagswahl in Bayern – bei der es auch für Söder persönlich um alles geht.
Zum anderen ist die Corona-Lage differenzierter: Die Sorgen vor dem raschen Anstieg der Delta-Zahlen aus dem Herbst sind längst vergessen. Zwar steigen die Sieben-Tage-Inzidenzen wie nie zuvor, in immer neue, bislang ungeahnte Höhen – aber eben wegen der neuen Omikron-Variante, die in der Regel zu milderen Verläufen führt. Tatsächlich sind die Kliniken weitaus weniger belastet als früher. Deshalb sind die Hoffnungen auf ein Ende des Corona-Schreckens auch so groß. Nicht nur in der Bevölkerung, in der ein immer größerer Teil die Gegenmaßnahmen schlichtweg leid ist, sondern auch in der Politik.
Vor der neuen Bund-Länder-Runde ist die Lockerungsdebatte deshalb in vollem Gange. Dabei wollen die einen, vor allem die FDP, deutlich schneller lockern als andere, etwa Baden-Württembergs Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne). Die einen treibt eher noch die Sorgen um, wie lange der rasche Anstieg der Corona-Zahlen noch weitergeht. Die anderen setzen fest auf Prognosen, wonach der Höhepunkt der Omikron-Welle in Deutschland Mitte Februar erreicht sein könnte.
Sogar Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) stellt nun baldige Lockerungen von CoronaBeschränkungen in Aussicht. „Ich glaube, dass wir deutlich vor Ostern lockern werden. Davon bin ich fest überzeugt“, so Lauterbach in der „Bild“-Zeitung – Ostern ist in diesem Jahr Mitte April. Gleichzeitig warnt Lauterbach aber, jetzt zu lockern, vor dem Omikron-Höhepunkt, bedeute, Öl ins Feuer zu gießen.
Ausgerechnet Söder gehört nun zu jenen, die lieber früher als später lockern wollen – und tut dies auch. Statt „Team Vorsicht“heißt es neuerdings „Team Augenmaß“. Es brauche nun „eine kluge Politik mit Vorsicht und Hoffnung“, so argumentiert der CSU-Vorsitzende.
Deshalb lässt Bayern nun noch mehr Zuschauer in Fußballstadien und zu Kulturveranstaltungen. Deshalb wird die Corona-Sperrstunde, an deren Sinn es zuletzt immer mehr Zweifel gegeben hatte, nun abgeschafft. Schon beim vergangenen Öffnungsschritt für Sport und Kultur war Söder vorgeprescht – andere Bundesländer folgten. Und auch jetzt will Söder wieder vorangehen, will Lob und Zustimmung einsammeln – bevor womöglich gemeinsam die nächsten Öffnungsschritte beschlossen werden. „Er muss immer an der Spitze der Bewegung stehen – ob beim Weg in den Lockdown oder jetzt bei den Lockerungen“, sagt ein CSU-Vorstandsmitglied.
Lob und Zustimmung – das ist auch das, was Söder aktuell (wieder) von seiner eigenen Parteibasis bekommt. Viele, viele Unzufriedene hatte es dort in den vergangenen Monaten gegeben – doch eine frustrierte Stammwählerschaft ist eben keine gute Basis, wenn man nach diesem
Jahr schon das schicksalhafte Landtagswahljahr 2023 im Blick hat. Auch deshalb dürfte Söder, der schon immer ein Gespür für Stimmungen in Partei und Bevölkerung hatte, seinen Kurs verändert haben. „Der Druck aus der CSU für mehr Lockerungen ist groß“, sagt ein CSU-Mann.
„Es bleibt beim Team Vorsicht“, betont Söder. Aber wenn man sehe, dass es in den Kliniken eben nun keine Überlastung gebe, „dann müssen wir auch das Prinzip Hoffnung zeigen“. Deshalb sei die Lage heute eine andere. „Wenn die Situation gleich ist, muss man gleich handeln, wenn die Situation anders ist, muss man anders handeln“, sagt Söder.
Eine andere Situation sieht Söder auch bei der Impfpflicht für die Pflege. Omikron hat die Lage insgesamt verändert, inzwischen ist eine allgemeine Impfpflicht in Arbeit, und zudem drohe, warnt Söder, eine Abwanderung von Pflegekräften. Deshalb kündigt er nun an, Bayern werde die Impfpflicht fürs Gesundheitswesen vorerst nicht umsetzen.
Auch diesen Punkt hätte man, räumt Söder ein, erst einmal beim nächsten Bund-Länder-Treffen besprechen können. Aber manchmal müsse man eben Dinge entscheiden.
Es sollen heute seine Schlagzeilen sein.