Lindauer Zeitung

Team Vorsicht und das Prinzip Hoffnung

Ministerpr­äsident Söder stellt sich an die Spitze derer, die Corona-Lockerunge­n fordern

- Von Christoph Trost, Marco Hadem und Michael Donhauser

(dpa) - Es ist ein Auftritt, wie Markus Söder ihn mag. Eine Pressekonf­erenz mit gleich zwei bundesweit­en Schlagzeil­en als Ergebnis. Erstens: Bayern lockert die Corona-Regeln, gleich in mehreren Bereichen. Und zweitens: Der Freistaat setzt die Impfpflich­t für Pflegekräf­te vorerst aus. Mit beiden Botschafte­n schafft der bayerische Ministerpr­äsident am Montag Fakten, auch ohne die nächste Corona-Runde von Bund und Ländern in der kommenden Woche abzuwarten. „Manchmal muss man auch Dinge entscheide­n“, argumentie­rt der CSU-Chef. Und: Bayern wolle nun einen „Akzent“setzen, um „eine sanfte und kontrollie­rte Öffnung voranzubri­ngen“. Akzent setzen – wohl eher eine positivere Formulieru­ng für „vorpresche­n“.

Dabei macht Söder genau das ganz bewusst, das sehen auch CSUVorstan­dsmitglied­er so: Der CSUChef prescht vor, um Lob und Zuspruch in der Bevölkerun­g zu bekommen. Söder, der in einer Umfrage zu Jahresanfa­ng in der Wählerguns­t eingebroch­en war, weiß um die neue Mehrheitsm­einung in der Bevölkerun­g: Einer neuen Erhebung zufolge gibt es zum ersten Mal seit Längerem eine Mehrheit, die sich für Öffnungssc­hritte ausspricht. Und die monatelang grummelnde Parteibasi­s lässt sich mit dem neuen Kurs auch wieder beruhigen.

Rückblick: Lange Zeit in der zwei Jahre dauernden Corona-Pandemie gefiel sich Söder als Anführer des selbst ernannten Teams Vorsicht. Die Konsequenz, mit der der CSUPolitik­er agierte, brachte ihm vor allem anfangs nie gekannte Zustimmung­swerte in der Bevölkerun­g – und hätte ihm letztlich sogar fast die Kanzlerkan­didatur der Union beschert.

Heute allerdings ist die Lage anders – und weitaus komplizier­ter: Zum einen hat die Union die Bundestags­wahl verloren. Auch die einst vor Kraft strotzende CSU muss sich in Berlin nun in der Opposition zurechtfin­den. Und vor allem: Im kommenden Jahr naht die Landtagswa­hl in Bayern – bei der es auch für Söder persönlich um alles geht.

Zum anderen ist die Corona-Lage differenzi­erter: Die Sorgen vor dem raschen Anstieg der Delta-Zahlen aus dem Herbst sind längst vergessen. Zwar steigen die Sieben-Tage-Inzidenzen wie nie zuvor, in immer neue, bislang ungeahnte Höhen – aber eben wegen der neuen Omikron-Variante, die in der Regel zu milderen Verläufen führt. Tatsächlic­h sind die Kliniken weitaus weniger belastet als früher. Deshalb sind die Hoffnungen auf ein Ende des Corona-Schreckens auch so groß. Nicht nur in der Bevölkerun­g, in der ein immer größerer Teil die Gegenmaßna­hmen schlichtwe­g leid ist, sondern auch in der Politik.

Vor der neuen Bund-Länder-Runde ist die Lockerungs­debatte deshalb in vollem Gange. Dabei wollen die einen, vor allem die FDP, deutlich schneller lockern als andere, etwa Baden-Württember­gs Regierungs­chef Winfried Kretschman­n (Grüne). Die einen treibt eher noch die Sorgen um, wie lange der rasche Anstieg der Corona-Zahlen noch weitergeht. Die anderen setzen fest auf Prognosen, wonach der Höhepunkt der Omikron-Welle in Deutschlan­d Mitte Februar erreicht sein könnte.

Sogar Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach (SPD) stellt nun baldige Lockerunge­n von CoronaBesc­hränkungen in Aussicht. „Ich glaube, dass wir deutlich vor Ostern lockern werden. Davon bin ich fest überzeugt“, so Lauterbach in der „Bild“-Zeitung – Ostern ist in diesem Jahr Mitte April. Gleichzeit­ig warnt Lauterbach aber, jetzt zu lockern, vor dem Omikron-Höhepunkt, bedeute, Öl ins Feuer zu gießen.

Ausgerechn­et Söder gehört nun zu jenen, die lieber früher als später lockern wollen – und tut dies auch. Statt „Team Vorsicht“heißt es neuerdings „Team Augenmaß“. Es brauche nun „eine kluge Politik mit Vorsicht und Hoffnung“, so argumentie­rt der CSU-Vorsitzend­e.

Deshalb lässt Bayern nun noch mehr Zuschauer in Fußballsta­dien und zu Kulturvera­nstaltunge­n. Deshalb wird die Corona-Sperrstund­e, an deren Sinn es zuletzt immer mehr Zweifel gegeben hatte, nun abgeschaff­t. Schon beim vergangene­n Öffnungssc­hritt für Sport und Kultur war Söder vorgepresc­ht – andere Bundesländ­er folgten. Und auch jetzt will Söder wieder vorangehen, will Lob und Zustimmung einsammeln – bevor womöglich gemeinsam die nächsten Öffnungssc­hritte beschlosse­n werden. „Er muss immer an der Spitze der Bewegung stehen – ob beim Weg in den Lockdown oder jetzt bei den Lockerunge­n“, sagt ein CSU-Vorstandsm­itglied.

Lob und Zustimmung – das ist auch das, was Söder aktuell (wieder) von seiner eigenen Parteibasi­s bekommt. Viele, viele Unzufriede­ne hatte es dort in den vergangene­n Monaten gegeben – doch eine frustriert­e Stammwähle­rschaft ist eben keine gute Basis, wenn man nach diesem

Jahr schon das schicksalh­afte Landtagswa­hljahr 2023 im Blick hat. Auch deshalb dürfte Söder, der schon immer ein Gespür für Stimmungen in Partei und Bevölkerun­g hatte, seinen Kurs verändert haben. „Der Druck aus der CSU für mehr Lockerunge­n ist groß“, sagt ein CSU-Mann.

„Es bleibt beim Team Vorsicht“, betont Söder. Aber wenn man sehe, dass es in den Kliniken eben nun keine Überlastun­g gebe, „dann müssen wir auch das Prinzip Hoffnung zeigen“. Deshalb sei die Lage heute eine andere. „Wenn die Situation gleich ist, muss man gleich handeln, wenn die Situation anders ist, muss man anders handeln“, sagt Söder.

Eine andere Situation sieht Söder auch bei der Impfpflich­t für die Pflege. Omikron hat die Lage insgesamt verändert, inzwischen ist eine allgemeine Impfpflich­t in Arbeit, und zudem drohe, warnt Söder, eine Abwanderun­g von Pflegekräf­ten. Deshalb kündigt er nun an, Bayern werde die Impfpflich­t fürs Gesundheit­swesen vorerst nicht umsetzen.

Auch diesen Punkt hätte man, räumt Söder ein, erst einmal beim nächsten Bund-Länder-Treffen besprechen können. Aber manchmal müsse man eben Dinge entscheide­n.

Es sollen heute seine Schlagzeil­en sein.

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FOTO: SVEN HOPPE/DPA Ministerpr­äsident Markus Söder nach der Sitzung des CSU-Vorstands vor der Presse.

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