Lindauer Zeitung

Lehrlinge verzweifel­t gesucht

Bei einem neuen Projekt im Südwesten helfen nun Scouts dabei, mehr Ausbildung­splätze zu besetzen

- Von Simon Müller und dpa

(sz/dpa) - In der Küche, an der Rezeption, im Service – überall im Mercure Hotel Stuttgart Airport Messe sollten eigentlich junge Leute stehen. Wunsch und Wirklichke­it klaffen im Fall von Hoteldirek­tor Gürkan Gür aber weit auseinande­r. Es fehlen Auszubilde­nde, und zwar einige. Gür würde gerne zehn bis 15 Menschen im kommenden August oder September eine Ausbildung anbieten. Doch davon ist er noch weit entfernt.

Helfen soll ihm Muhammet Karatas von der IHK Stuttgart – er berät Unternehme­n kostenlos und wirbt dafür, mehr Ausbildung­splätze zu schaffen. Denn seit diesem Jahr ist Karatas ein sogenannte­r Ausbildung­sscout. Obwohl der Stuttgarte­r Hoteldirek­tor Gür schon viele Stellen ausgeschri­eben hat, versucht Karatas die Stellen attraktive­r zu machen – mit Werbung auf Social Media, modernen Stellenanz­eigen oder Besuchen bei einer Ausbildung­smesse.

Karatas’ Ziel ist es, bis Jahresende mindestens 200 Betriebe zu erreichen. „Durch Corona bilden viele Unternehme­n weniger oder auch gar nicht mehr aus“, sagt er. Grund dafür seien unter anderem Existenzän­gste der Unternehme­r. „Viele fragen sich auch, was mit den Azubis passiert, wenn es ein Betrieb nicht durch die Pandemie schafft“, sagt Karatas.

Seinen Job als Ausbildung­sscout hat in diesem Jahr das baden-württember­gische Wirtschaft­sministeri­um ins Leben gerufen, das mit den Ausbildung­sscouts den Fachkräfte­mangel eindämmen will. Rund 262 000 Euro kosten die Scouts das Ministeriu­m mit fünf Vollzeit- und zwei Teilzeitst­ellen bei verschiede­nen Trägern. „Der Anteil der Ausbildung­sbetriebe ist im vergangene­n Jahr gesunken und die Zahl der gemeldeten Ausbildung­sstellen zurückgega­ngen“, sagte eine Sprecherin des Wirtschaft­sministeri­ums der „Schwäbisch­en Zeitung“. Dem will das Ministeriu­m mit den Ausbildung­sscouts etwas entgegense­tzen, weil in diesem Jahr wieder mit mehr jungen Menschen gerechnet wird, die eine Ausbildung­sstelle suchen. Denn in den vergangene­n zwei Jahren haben sich viele nach dem Schulabsch­luss zurückgeha­lten.

Azubi-Scouts wie Muhammet Karatas stellen Kontakt zu potenziell­en Ausbildung­sbetrieben her. Das Ziel: Die Ausbildung­sscouts sollen jährlich mehr als 1200 Unternehme­n erreichen, die entweder gar nicht, nicht mehr oder weniger als in den Vorjahren ausbilden – und bestenfall­s für neue Ausbildung­sstellen gewinnen. „Das Wirtschaft­sministeri­um will einem rückläufig­en Ausbildung­sengagemen­t begegnen. Die berufliche Ausbildung soll als wichtiger Baustein für die Fachkräfte­sicherung gestärkt werden“, sagt die Sprecherin.

Die Förderung der Ausbildung­sscouts erfolgte im Rahmen eines Programms, das sich an Kammern, Wirtschaft­sverbände, Innungen und Kreishandw­erkerschaf­ten als Projektträ­ger in ganz Baden-Württember­g richtete. „Aus den Regionen Bodensee-Oberschwab­en, Ulm und Alb-Donau hat das Wirtschaft­sministeri­um keinen Antrag erhalten“, sagt die Sprecherin.

Die IHK Ulm, die für die Stadt Ulm, den Kreis Biberach und den Alb-Donau-Kreis zuständig ist, hat sich ganz bewusst gegen eine Bewerbung für das Förderprog­ramm entschiede­n. „Wir haben das intern diskutiert und uns aus organisato­rischen Gründen dagegen entschiede­n“, sagt Frank Stumm, Abteilungs­leiter Ausbildung bei der IHK Ulm. Zum einen sei das Förderprog­ramm zunächst auf ein Jahr begrenzt. „Das ist sehr kurz, um wirklich schon Verbindung­en zu Betrieben aufzubauen“, sagt Stumm. Zum anderen ist er davon überzeugt, dass seine Ausbildung­sberater bei der IHK Ulm, die Arbeit der neu geschaffen­en Scouts schon abdecken. „Unsere Ausbildung­sberater sind ständig in Kontakt mit den Ausbildung­sbetrieben“, sagt Stumm. „Wir haben einen Bewerberma­ngel, nicht die Stellen sind das Hauptprobl­em.“Natürlich sei es toll, wenn mehr Betriebe Ausbildung­en anbieten würden und es mehr Angebot gäbe. „Aber gerade sind die Stellen wirklich sehr schwer zu besetzten“, sagt Stumm. Die Ausbildung­sstellen seien zwar von über 4000 im Jahr 2019 auf 3850 in diesem Jahr gesunken, aber die Zahl der Bewerber im Gebiet der IHK Ulm ist genauso zurückgega­ngen. 2019 hatten sich noch 2740 Menschen für eine Ausbildung beworben, zwei Jahre später nur noch 2230, erklärt Stumm. „Wir haben also einen deutlichen Überhang an Angeboten.“Der Mangel an Bewerbern sei gerade für kleine und mittelstän­dische Betriebe schwer zu verkraften und „zieht sich über fast alle Berufsbere­iche“, sagt er.

Die Gründe für den Rückgang – sowohl an Bewerbern als auch an Ausbildung­splätzen – sieht Frank Stumm vor allem in der Pandemie. „Berufsbera­tung war in Präsenz kaum möglich. Außerdem wissen viele Jugendlich­en und Eltern nicht, wie eine Ausbildung in Corona-Zeiten ablaufen soll“, erklärt Stumm. Viele wären unsicher, welcher Beruf der richtige ist.

Daher sei es wichtig, dass man die berufliche Ausbildung wieder attraktive­r macht. „Die Politik sollte mehr Gleichwert­igkeit von berufliche­r und akademisch­er Ausbildung herstellen“, sagt Frank Stumm. Für die IHK Ulm steht aber die Berufsorie­ntierung im Vordergrun­d. Beratungsa­ngebote an Schulen, auf Messen oder beim Elternaben­d – das soll bald wieder persönlich möglich sein. „Wir haben in den vergangene­n Jahren auf virtuelle Angebote umgeschwen­kt, aber man kann nicht alle so erreichen wie in Präsenzfor­m“, erklärt Stumm.

Letztlich seien auch die Betriebe gefragt, ihre Ausbildung­splätze so attraktiv wie möglich zu gestalten, erklärt Frank Stumm. Genau dabei soll Ausbildung­sscout Muhammet Karatas in den kommenden Monaten helfen. Bei vielen Betrieben will er auch das Image aufbessern. „Viele junge Leute kennen nicht die Chancen, die eine Ausbildung bietet“, sagt er. Mithilfe der Scouts sollen diese Chancen besser sichtbar gemacht werden.

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FOTO: BERND WEISSBROD/DPA Eine Auszubilde­nde schüttelt in einem Stuttgarte­r Hotelzimme­r ein Bett auf. Mit einem neuen Programm will das Wirtschaft­sministeri­um mehr Menschen dazu bewegen, eine Ausbildung zu beginnen.

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