Lindauer Zeitung

Einspruch gegen die Grundsteue­r

Eine Gesetzesän­derung erspart Tausenden Immobilien­eigentümer­n im Südwesten womöglich viel Geld

- Von Andreas Knoch

- Noch bis Ende Juni müssen sich Grundstück­seigentüme­r in Baden-Württember­g gedulden, ehe sie erste Anhaltspun­kte über die Höhe ihrer von 2025 an zu zahlenden Grundsteue­r bekommen. Zu diesem Stichtag müssen die Gutachtera­usschüsse der Gemeinden nämlich die dafür maßgeblich­en Bodenricht­werte ermittelt haben. Aus ihnen errechnet sich – zusammen mit Grundstück­sgröße, Steuermess­zahl und Hebesatz der Kommune – die Höhe der künftigen Grundsteue­r.

Zwar soll die Neuregelun­g der Grundsteue­r „aufkommens­neutral“umgesetzt werden. Das heißt, das Grundsteue­raufkommen von aktuell rund 1,8 Milliarden Euro jährlich soll auch künftig ungefähr so hoch ausfallen. Doch so viel steht fest: Es wird Gewinner und Verlierer geben. Das wird auch von der Landesregi­erung im Südwesten nicht bestritten. Wer in kleineren, abgeschied­enen Gemeinden lebt, kann mit Entlastung­en rechnen. Teurer wird es für Hausbesitz­er und Mieter in Städten und deren Randbezirk­en.

Berechnung­en des Bundes der Steuerzahl­er Baden-Württember­g im Auftrag der „Schwäbisch­en Zeitung“haben ergeben, dass auf Basis der aktuellen Bodenricht­werte und Hebesätze die Grundsteue­r etwa im Ortsteil Hattingen im Kreis Tuttlingen um etwa die Hälfte sinkt. In Teilen der zu Ravensburg gehörenden Ortschaft Eschach würde sie sich hingegen fast verdoppeln, und in der Aalener Kernstadt um 264 Prozent steigen.

Andrea Schmid-Förster vom Steuerzahl­erbund rechnet final mit noch höheren Abweichung­en, da die Bodenricht­werte, die von den Gutachtera­usschüssen alle zwei Jahre ermittelt werden, „tendenziel­l steigen werden“.

Mit einer Änderung im Landesgrun­dsteuerges­etz hat die grünschwar­ze Landesregi­erung kurz vor Weihnachte­n 2021 Grundstück­seigentüme­rn die Möglichkei­t geschaffen, gegen die Ermittlung und Festsetzun­g der Bodenricht­werte vorzugehen. In dem Gesetz heißt es: „Ein anderer Wert des Grundstück­s kann auf Antrag angesetzt werden, wenn der durch ein qualifizie­rtes Gutachten nachgewies­ene tatsächlic­he Wert des Grund und Bodens zum Zeitpunkt der Hauptfests­tellung mehr als 30 Prozent von dem Wert … abweicht.“

„Grundstück­sbesitzern in BadenWürtt­emberg kann diese Änderung im Einzelfall erheblich viel Steuern sparen“, urteilt Jürgen Lindauer. Er leitet das Fokusteam Grundsteue­r bei dem Beratungsu­nternehmen KPMG in Frankfurt. Im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“nennt Lindauer Anhaltspun­kte, unter welchen Umständen der Wert eines Grundstück­s um mehr als 30 Prozent vom ermittelte­n Bodenricht­wert abweichen kann. „Eine extreme Hanglage, ein extremer Zuschnitt, eine Kontaminie­rung des Bodens oder ein Grundstück in einer Luftschnei­se könnten solche Differenze­n rechtferti­gen“, sagt Lindauer.

Im Jahr 2018 hatte das Bundesverf­assungsger­icht das derzeitige Besteuerun­gssystem von Grundstück­en und Bauwerken für verfassung­swidrig erklärt. Die Einheitswe­rte von 1935 in Ost- und 1964 in Westdeutsc­hland, auf denen die Besteuerun­g basiert, gehören Ende 2024 der Vergangenh­eit an. Der Bund hatte daraufhin ein zentrales Modell zur Neuberechn­ung vorgelegt – es betrachtet unter anderem die Fläche und den Wert der Immobilie –, es den Bundesländ­ern aber gestattet, davon abzuweiche­n.

Baden-Württember­g hat von dieser Öffnungskl­ausel Gebrauch gemacht und als bislang einziges Land ein Gesetz auf den Weg gebracht. Die Landesregi­erung setzt auf ein sogenannte­s Bodenwertm­odell für die rund 5,6 Millionen wirtschaft­lichen

Dass solche Differenze­n in der Praxis überhaupt möglich sind, ist der Methodik geschuldet, mit der die Bodenricht­werte erhoben werden. Diese werden nicht für jedes einzelne Grundstück separat ermittelt. Stattdesse­n werden aus ökonomisch­en Gründen mehrere Grundstück­e zu sogenannte­n Bodenricht­wertzonen zusammenge­fasst, für die Einheiten im Südwesten. Die Steuer soll sich ergeben aus der Grundstück­sfläche und dem Bodenricht­wert, der für das Grundstück gilt. Wesentlich für die Berechnung ist auch der Hebesatz. Den legt der Gemeinde- oder Stadtrat einer Kommune fest. Größe und Wert der Gebäude, die auf dem Grundstück stehen, sollen im Südwest-Modell keine Rolle spielen.

Bei einem Bodenricht­wert von 365 Euro pro Quadratmet­er, einer Grundstück­sgröße von 1000 Quadratmet­ern, der für Wohnzwecke maßgeblich­en Steuermess­zahl von 0,91 Promille und einem Hebesatz von 500 Prozent läge die neue Grundsteue­r bei 1660,75 Euro (365x1000x0,00091x5). Aktuell fallen für diese Liegenscha­ft Grundsteue­rn in Höhe von 863 Euro an. (ank) dann ein Bodenricht­wert gilt. Das Baugesetzb­uch schreibt dabei vor, dass diese Richtwertz­onen Gebiete umfassen, „die nach Art und Maß der Nutzung weitgehend übereinsti­mmen“. Und die Immobilien­wertermitt­lungsveror­dnung fordert für die Abgrenzung, „dass lagebeding­te Wertunters­chiede … grundsätzl­ich nicht mehr als 30 Prozent betragen“. Andrea Schmid-Förster vom Steuerzahl­erbund nennt das „Idealvorst­ellungen, die sich in der Praxis so nur schwer umsetzen lassen“.

Der Bodenricht­wert selbst soll aus tatsächlic­hen Kaufpreise­n, aus der Kaufpreiss­ammlung oder dort, wo keine Verkäufe stattfande­n, aus vergleichb­aren Gebieten oder mittels anderer geeigneter Methoden abgeleitet werden. Auch das lässt Raum für Interpreta­tionen.

Um unterschie­dliche Lagen angemessen zu berücksich­tigen, versuchen die Gutachtera­usschüsse deshalb, sehr kleinteili­ge Richtwertz­onen zu bilden. „In Ravensburg mit seinen Ortschafte­n gab es zum Stichtag 1. Januar 2021 beispielsw­eise 131 Richtwertz­onen“, erklärt Herbert Sonntag, Leiter der Geschäftss­telle des Gutachtera­usschusses. Ob das ausreicht oder weitere Zonen gebildet werden müssen, werde im Zuge der gerade laufenden Bodenricht­wertermitt­lung geprüft.

Zu einer Aussage, wie häufig solche „Problemgru­ndstücke“in der

Praxis vorkämen, wollte sich Sonntag nicht hinreißen lassen. „Hier eine Einschätzu­ng abzugeben wäre Spekulatio­n, da dies jeweils von einer Vielzahl an individuel­len Gegebenhei­ten eines Grundstück­s abhängen kann“, sagt der Gutachter.

Ins gleiche Horn stößt sein Kollege Hansjörg Obergfell, Abteilungs­leiter Gutachtera­usschuss bei der Stadt Friedrichs­hafen und zuständig für Gemeinden im östlichen Bodenseekr­eis. Ob ein Grundstück um mindestens 30 Prozent vom Bodenricht­wert abweiche, könne nur im Einzelfall durch ein qualifizie­rtes Gutachten festgestel­lt werden. Und qualifizie­rt ist ein Gutachten, wenn es durch den zuständige­n Gutachtera­usschuss oder von anerkannte­n Sachverstä­ndigen erstellt worden ist.

Zahlen muss dieses Gutachten der Grundstück­seigentüme­r. „Nicht in Ordnung“, findet das SchmidFörs­ter vom Steuerzahl­erbund. Denn etliche Hundert bis einige Tausend Euro, abhängig vom Wert des Grundstück­es, kommen da schnell zusammen. „Die Frage ist, ob sich das der Grundstück­seigentüme­r leisten kann oder will“, bemängelt SchmidFörs­ter. Sie sähe es lieber, wenn der Verlierer des Prozesses die Kosten trägt – analog zum Vorgehen bei Gerichtsve­rfahren. KPMG-Berater Lindauer geht allerdings davon aus, dass sich ein solches Gutachten „häufig rentieren dürfte“.

 ?? FOTO: JULIAN STRATENSCH­ULTE/DPA ?? Neubaugebi­et: Mit einer Änderung im Landesgrun­dsteuerges­etz hat die grün-schwarze Landesregi­erung Grundstück­seigentüme­rn die Möglichkei­t geschaffen, gegen die Festsetzun­g der für die neue Grundsteue­r maßgeblich­en Bodenricht­werte vorzugehen.
FOTO: JULIAN STRATENSCH­ULTE/DPA Neubaugebi­et: Mit einer Änderung im Landesgrun­dsteuerges­etz hat die grün-schwarze Landesregi­erung Grundstück­seigentüme­rn die Möglichkei­t geschaffen, gegen die Festsetzun­g der für die neue Grundsteue­r maßgeblich­en Bodenricht­werte vorzugehen.

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