Einspruch gegen die Grundsteuer
Eine Gesetzesänderung erspart Tausenden Immobilieneigentümern im Südwesten womöglich viel Geld
- Noch bis Ende Juni müssen sich Grundstückseigentümer in Baden-Württemberg gedulden, ehe sie erste Anhaltspunkte über die Höhe ihrer von 2025 an zu zahlenden Grundsteuer bekommen. Zu diesem Stichtag müssen die Gutachterausschüsse der Gemeinden nämlich die dafür maßgeblichen Bodenrichtwerte ermittelt haben. Aus ihnen errechnet sich – zusammen mit Grundstücksgröße, Steuermesszahl und Hebesatz der Kommune – die Höhe der künftigen Grundsteuer.
Zwar soll die Neuregelung der Grundsteuer „aufkommensneutral“umgesetzt werden. Das heißt, das Grundsteueraufkommen von aktuell rund 1,8 Milliarden Euro jährlich soll auch künftig ungefähr so hoch ausfallen. Doch so viel steht fest: Es wird Gewinner und Verlierer geben. Das wird auch von der Landesregierung im Südwesten nicht bestritten. Wer in kleineren, abgeschiedenen Gemeinden lebt, kann mit Entlastungen rechnen. Teurer wird es für Hausbesitzer und Mieter in Städten und deren Randbezirken.
Berechnungen des Bundes der Steuerzahler Baden-Württemberg im Auftrag der „Schwäbischen Zeitung“haben ergeben, dass auf Basis der aktuellen Bodenrichtwerte und Hebesätze die Grundsteuer etwa im Ortsteil Hattingen im Kreis Tuttlingen um etwa die Hälfte sinkt. In Teilen der zu Ravensburg gehörenden Ortschaft Eschach würde sie sich hingegen fast verdoppeln, und in der Aalener Kernstadt um 264 Prozent steigen.
Andrea Schmid-Förster vom Steuerzahlerbund rechnet final mit noch höheren Abweichungen, da die Bodenrichtwerte, die von den Gutachterausschüssen alle zwei Jahre ermittelt werden, „tendenziell steigen werden“.
Mit einer Änderung im Landesgrundsteuergesetz hat die grünschwarze Landesregierung kurz vor Weihnachten 2021 Grundstückseigentümern die Möglichkeit geschaffen, gegen die Ermittlung und Festsetzung der Bodenrichtwerte vorzugehen. In dem Gesetz heißt es: „Ein anderer Wert des Grundstücks kann auf Antrag angesetzt werden, wenn der durch ein qualifiziertes Gutachten nachgewiesene tatsächliche Wert des Grund und Bodens zum Zeitpunkt der Hauptfeststellung mehr als 30 Prozent von dem Wert … abweicht.“
„Grundstücksbesitzern in BadenWürttemberg kann diese Änderung im Einzelfall erheblich viel Steuern sparen“, urteilt Jürgen Lindauer. Er leitet das Fokusteam Grundsteuer bei dem Beratungsunternehmen KPMG in Frankfurt. Im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“nennt Lindauer Anhaltspunkte, unter welchen Umständen der Wert eines Grundstücks um mehr als 30 Prozent vom ermittelten Bodenrichtwert abweichen kann. „Eine extreme Hanglage, ein extremer Zuschnitt, eine Kontaminierung des Bodens oder ein Grundstück in einer Luftschneise könnten solche Differenzen rechtfertigen“, sagt Lindauer.
Im Jahr 2018 hatte das Bundesverfassungsgericht das derzeitige Besteuerungssystem von Grundstücken und Bauwerken für verfassungswidrig erklärt. Die Einheitswerte von 1935 in Ost- und 1964 in Westdeutschland, auf denen die Besteuerung basiert, gehören Ende 2024 der Vergangenheit an. Der Bund hatte daraufhin ein zentrales Modell zur Neuberechnung vorgelegt – es betrachtet unter anderem die Fläche und den Wert der Immobilie –, es den Bundesländern aber gestattet, davon abzuweichen.
Baden-Württemberg hat von dieser Öffnungsklausel Gebrauch gemacht und als bislang einziges Land ein Gesetz auf den Weg gebracht. Die Landesregierung setzt auf ein sogenanntes Bodenwertmodell für die rund 5,6 Millionen wirtschaftlichen
Dass solche Differenzen in der Praxis überhaupt möglich sind, ist der Methodik geschuldet, mit der die Bodenrichtwerte erhoben werden. Diese werden nicht für jedes einzelne Grundstück separat ermittelt. Stattdessen werden aus ökonomischen Gründen mehrere Grundstücke zu sogenannten Bodenrichtwertzonen zusammengefasst, für die Einheiten im Südwesten. Die Steuer soll sich ergeben aus der Grundstücksfläche und dem Bodenrichtwert, der für das Grundstück gilt. Wesentlich für die Berechnung ist auch der Hebesatz. Den legt der Gemeinde- oder Stadtrat einer Kommune fest. Größe und Wert der Gebäude, die auf dem Grundstück stehen, sollen im Südwest-Modell keine Rolle spielen.
Bei einem Bodenrichtwert von 365 Euro pro Quadratmeter, einer Grundstücksgröße von 1000 Quadratmetern, der für Wohnzwecke maßgeblichen Steuermesszahl von 0,91 Promille und einem Hebesatz von 500 Prozent läge die neue Grundsteuer bei 1660,75 Euro (365x1000x0,00091x5). Aktuell fallen für diese Liegenschaft Grundsteuern in Höhe von 863 Euro an. (ank) dann ein Bodenrichtwert gilt. Das Baugesetzbuch schreibt dabei vor, dass diese Richtwertzonen Gebiete umfassen, „die nach Art und Maß der Nutzung weitgehend übereinstimmen“. Und die Immobilienwertermittlungsverordnung fordert für die Abgrenzung, „dass lagebedingte Wertunterschiede … grundsätzlich nicht mehr als 30 Prozent betragen“. Andrea Schmid-Förster vom Steuerzahlerbund nennt das „Idealvorstellungen, die sich in der Praxis so nur schwer umsetzen lassen“.
Der Bodenrichtwert selbst soll aus tatsächlichen Kaufpreisen, aus der Kaufpreissammlung oder dort, wo keine Verkäufe stattfanden, aus vergleichbaren Gebieten oder mittels anderer geeigneter Methoden abgeleitet werden. Auch das lässt Raum für Interpretationen.
Um unterschiedliche Lagen angemessen zu berücksichtigen, versuchen die Gutachterausschüsse deshalb, sehr kleinteilige Richtwertzonen zu bilden. „In Ravensburg mit seinen Ortschaften gab es zum Stichtag 1. Januar 2021 beispielsweise 131 Richtwertzonen“, erklärt Herbert Sonntag, Leiter der Geschäftsstelle des Gutachterausschusses. Ob das ausreicht oder weitere Zonen gebildet werden müssen, werde im Zuge der gerade laufenden Bodenrichtwertermittlung geprüft.
Zu einer Aussage, wie häufig solche „Problemgrundstücke“in der
Praxis vorkämen, wollte sich Sonntag nicht hinreißen lassen. „Hier eine Einschätzung abzugeben wäre Spekulation, da dies jeweils von einer Vielzahl an individuellen Gegebenheiten eines Grundstücks abhängen kann“, sagt der Gutachter.
Ins gleiche Horn stößt sein Kollege Hansjörg Obergfell, Abteilungsleiter Gutachterausschuss bei der Stadt Friedrichshafen und zuständig für Gemeinden im östlichen Bodenseekreis. Ob ein Grundstück um mindestens 30 Prozent vom Bodenrichtwert abweiche, könne nur im Einzelfall durch ein qualifiziertes Gutachten festgestellt werden. Und qualifiziert ist ein Gutachten, wenn es durch den zuständigen Gutachterausschuss oder von anerkannten Sachverständigen erstellt worden ist.
Zahlen muss dieses Gutachten der Grundstückseigentümer. „Nicht in Ordnung“, findet das SchmidFörster vom Steuerzahlerbund. Denn etliche Hundert bis einige Tausend Euro, abhängig vom Wert des Grundstückes, kommen da schnell zusammen. „Die Frage ist, ob sich das der Grundstückseigentümer leisten kann oder will“, bemängelt SchmidFörster. Sie sähe es lieber, wenn der Verlierer des Prozesses die Kosten trägt – analog zum Vorgehen bei Gerichtsverfahren. KPMG-Berater Lindauer geht allerdings davon aus, dass sich ein solches Gutachten „häufig rentieren dürfte“.