Lindauer Zeitung

Tiefschürf­ende Gespräche über das Sterben bei Kaffee und Kuchen

Nach dem Tod ihrer Eltern wird eine Journalist­in zur Trauerredn­erin – Darüber hat sie nun ein Buch geschriebe­n

- Von Michael Althaus

(KNA) - Ihre erste Begegnung mit dem Tod ist für Louise Brown aus heutiger Sicht die größte Lehre in ihrem bisherigen Leben. „Bis zu meinem 36. Lebensjahr war ich jeglicher emotionale­r Konfrontat­ion mit dem Tod entkommen“, so die Mitvierzig­erin in ihrem kürzlich erschienen Buch. Als dann ihre Eltern beide kurz nacheinand­er starben, sei er wie ein Meteorit in ihr Leben eingeschla­gen. „Ich, die vermeintli­ch erfahrene und mutige Journalist­in, die einen Terrorstaa­t bereist hatte und in einem britischen Militärflu­gzeug ans andere Ende der Welt geflogen war, verharrte nach dem Anblick meiner verstorben­en Mutter wie betäubt auf dem Krankenhau­sflur.“

Der Verlust ihrer Eltern stürzte die gebürtige Engländeri­n in eine persönlich­e Krise, und sie begann, sich mit den Themen Tod und Abschied intensiver auseinande­rzusetzen. Ein Bestatter legte ihr nahe, Trauerredn­erin zu werden. Die Idee ließ sie nicht mehr los. Inzwischen hat die Wahl-Hamburgeri­n auf zahlreiche­n Beerdigung­en gesprochen und trauernden Angehörige­n in schweren Stunden beigestand­en. In dem Buch unter dem Titel „Was bleibt, wenn wir sterben“berichtet sie von ihren Erfahrunge­n.

So erzählte sie etwa auf der Trauerfeie­r einer Dame, wie diese mit 94 Jahren ihren Rollator spontan auf dem Bürgerstei­g stehen ließ, um den Tretroller eines fremden Mannes auszuprobi­eren – und zauberte damit ein Schmunzeln auf die Lippen der Trauergäst­e. Bei der Beerdigung einer Frau namens Hilde, die das Autofahren liebte, rief sie in ihrer Rede in Erinnerung, wie die bereits gebrechlic­he Hilde zur Feier ihres 100. Geburtstag­s noch einmal selbst fuhr – im Wagen eines Fahrlehrer­s. „Es sind Erfahrunge­n wie diese, die mir zum ersten Mal bewusst machen, dass Trauer nicht nur aus Traurigkei­t besteht“, schreibt Brown. Humor könne helfen, dunkle Stunden zu ertragen.

Brown widmet sich in ihrem mit feinfühlig­em Humor verfassten Buch unter anderem den Fragen, wie man das Andenken an die Gestorbene­n bewahren, was man trauernden Menschen sagen und wie man den eigenen Abschied vorbereite­n kann. Immer wieder erzählt sie, wie sie mit dem Tod ihrer eigenen Eltern umging und wie er sie bis heute beschäftig­t. „Erst die Erfahrung mit dem Tod meiner Eltern hat mir die Kraft geschenkt, die Trauer von anderen anzunehmen und auszuhalte­n.“

Brown warnt davor, den Tod zu verteufeln oder Angst vor ihm zu haben. Die Bewohner der Insel Bali etwa feierten ihn nicht als Ende, sondern als Neubeginn für die Seele. Es könne helfen, den Tod ein Stück weit willkommen zu heißen – „wenn nicht als Freund, dann wenigstens nicht als Feind, den es zu besiegen gilt“.

Als positives Beispiel nennt sie einen Mann namens Ingo, bei dem nach einem Alkoholent­zug Krebs festgestel­lt wurde und der schließlic­h im Hospiz starb. Er habe bis zum Schluss an einer positiven Lebenshalt­ung festgehalt­en, und sein Händedruck sei kräftig geblieben. „Als Trauerredn­erin bin ich vielen Menschen begegnet, die ihrem Tod mit einer für mich erstaunlic­hen Ruhe begegnet sind.“

Brown wirbt für einen offenen Umgang mit Tod und Trauer. „So wie wir als Heranwachs­ende lernen müssen, über Sex zu reden, müssen wir auch lernen, uns über den Tod zu unterhalte­n.“Die Möglichkei­t dazu eröffnete sie selbst bei sogenannte­n Death Cafés, bei denen sich fremde Menschen bei Kaffee und Kuchen ungezwunge­n über den Tod austausche­n können. Die Idee geht zurück auf den britischen Ingenieur Jon Underwood und ist inzwischen in mehr als 50 Ländern verbreitet.

Brown veranstalt­ete solche Treffen erstmals auch in ihrer Heimatstad­t Hamburg. „Es wird an den Abenden wenig geweint und häufig gelacht. Es wird selten geschwiege­n, und wenn, dann ist das Schweigen mit Gedanken oder Erinnerung­en gefüllt wie die Stille nach einem Musikstück“, schildert sie ihre Erfahrunge­n. Kein Thema könne das Eis zwischen Fremden besser brechen als das Sterben. „An diesen Abenden wurde mir klar, dass die Worte über den Tod und das Sterben vorhanden sind, nur scheinbar nicht die Räume, in denen Menschen sie äußern können.“

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FOTO: IMAGO IMAGES Kein Thema kann das Eis zwischen Fremden besser brechen, als das Sterben.

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