Lindauer Zeitung

Eine Premiere voller Wut und Tränen

Zahlreiche Disqualifi­kationen machen Mixed-Teamspring­en zur Farce – Springerin Althaus und Trainer Horngacher gehen die FIS scharf an

- Von Patrick Reichardt, Thomas Eßer und Claas Hennig

(dpa) - Die untröstlic­he Katharina Althaus weinte an der eiskalten Olympia-Schanze von Zhangjiako­u, Bundestrai­ner Stefan Horngacher schimpfte voller Wut gegen die Regelhüter: Deutschlan­ds Skisprung-Mixed-Team hat nach einer viel diskutiert­en Disqualifi­kation von Topspringe­rin Althaus eine Medaille klar verpasst und im Anzug-Chaos einen schweren emotionale­n Rückschlag erlitten. „Für mich ist es ein Kasperleth­eater. Das ist nicht mehr im Sinne des Sports“, sagte Männer-Coach Horngacher, der nach dem Wirrwarr sogar indirekt mit seinem Rückzug drohte.

Das DSV-Quartett mit Althaus, Karl Geiger, Constantin Schmid und Selina Freitag lag auf Medaillenk­urs, als Althaus wegen eines nicht regelkonfo­rmen Anzugs bei der Kontrolle durch den Weltverban­d FIS disqualifi­ziert wurde. „Ich bin mega stinksauer, ich bin enttäuscht. Es tut richtig weh. Mir tut es für das Team leid, dass mein Name da steht“, sagte die Oberstdorf­erin, die im selben Anzug am Samstag noch Silber im Einzel gewonnen hatte. Es sei ihre erste Disqualifi­kation überhaupt gewesen. Nahezu unfassbar: Die Topnatione­n Norwegen, Japan und Österreich ereilte das gleiche Schicksal – Gold holte sich die praktisch konkurrenz­lose Sloweninne­n und Slowenen. Silber und Bronze gingen völlig überrasche­nd an Russland und Kanada. „Das finde ich schon sehr fragwürdig, um nicht zu sagen skandalös. Das können wir alle nicht nachvollzi­ehen“, sagte Teammanage­r Horst Hüttel,

der vor lauter Frust sein Funkgerät zerstörte.

Schlussspr­inger Geiger hatte das emotionale Chaos innerhalb weniger Sekunden erlebt. Zunächst bejubelte Deutschlan­ds Skisprungs­tar seinen mit Abstand besten Sprung auf dieser Schanze, dann sah er auf dem großen Monitor die „Acht“aufleuchte­n und realisiert­e die folgenschw­ere Disqualifi­kation seiner Teamkolleg­in. „Ich habe es erst gar nicht mitbekomme­n. Boah, das ist echt eine harte Nummer.

Das ist schon mega skurril, dass da drei rausgehaue­n werden“, kommentier­te der 28 Jahre alte Geiger, der im Einzel als 15. enttäuscht hatte. „Irgendwas ist komisch.“Am Ende waren sogar fünf Athletinne­n disqualifi­ziert worden, neben Althaus auch die Japanerin Sara Takanashi sowie Daniela Iraschko-Stolz aus Österreich und zwei Norwegerin­nen.

Doch was war passiert? Das konnten weder Horngacher noch FrauenBund­estrainer Maximilian Mechler schlüssig erklären. „Es liegt in unserer Verantwort­ung, dass der Anzug auch passt. Vor zwei Tagen hat er noch gepasst und jetzt ist es extrem enttäusche­nd. Das ist extrem bitter für uns“, sagte der Isnyer Mechler. Horngacher prangerte auch den Weltverban­d an: „Das ganze Prozedere mit Messung und Management von der FIS ist aus meiner Sicht nicht besser geworden, sondern eher schlechter.“An eine solche Häufung an Disqualifi­kationen von Topathlete­n bei einem Großereign­is konnte sich niemand erinnern.

Auch Hüttel war außer sich, dass es ausgerechn­et vier große Nationen des Skispringe­ns erwischte: „Wir sind ja nicht alle bescheuert, und wir wollen ja nicht alle manipulier­en. So macht man die Sache ein Stück weit kaputt.“Die Funktionär­e waren sich einig, dass diesmal mit anderen Maßstäben und anderer Detailvers­essenheit gemessen wurde als sonst üblich. Für die Sprungklei­dung gibt es genaue Regeln. Je größer der Anzug ist, desto mehr Tragfläche bietet er den Athletinne­n und Athleten. „Bei Olympia fangen sie dann an, anders oder mehr zu messen“, schimpfte Horngacher.

Leidtragen­de waren nicht nur die vier besiegten Nationen, sondern auch der Sport. In Erinnerung bleiben wird ein denkwürdig­es Mixed ohne großen sportliche­n Wettkampf um Gold, Silber und Bronze – und das bei der olympische­n Premiere. „Wir haben uns so darüber gefreut, dass wir einen zweiten Wettkampf hier bei Olympia haben“, sagte die niedergesc­hlagene Althaus. „Die FIS hat das mit dieser Aktion zerstört.“Auch Österreich­s Sportliche­r Leiter Mario Stecher sah einen „immensen Imageschad­en für das Skispringe­n.“

Für Deutschlan­d endete eine famose Siegesseri­e: 2015, 2017, 2019 und 2021 wurden jeweils die WM-Titel in dieser Disziplin gewonnen, diesmal wurde es auf besonders bittere Art und Weise nichts.

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FOTO: ZHU ZHENG/IMAGO IMAGES Wegen eines zu weiten Anzugs disqualifi­ziert: Katharina Althaus.

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