Lindauer Zeitung

„Wir träumen der Weltspitze nur hinterher“

Katarina Witt übt Kritik an der Planlosigk­eit des von der Weltspitze weit entfernten deutschen Eiskunstla­ufs

- Von Andreas Schirmer

(dpa) - Katarina Witt holte 1984 und 1988 Olympia-Gold im Eiskunstla­uf. Von derartigen Erfolgen sind ihre Nachfolger­innen weit entfernt. Die 56-jährige Sächsin sieht die Schuld dafür nicht bei den Athletinne­n, sondern bei der Deutschen Eislauf-Union. Im Interview fordert Witt bessere Trainingsm­öglichkeit­en und eine erneute Bewerbung Deutschlan­ds um Olympische Winterspie­le.

Sie haben einen besonderen Blick auf die Eiskunstla­uf-Damen. Sind die Vierfach-Springerin­nen aus Russland zu bewundern oder stellt sich die Frage: Bleibt die Kunst auf der Strecke?

Zunächst eine große Verbeugung meinerseit­s für diese sportliche­n Höchstleis­tungen. Mit dem Punktesyst­em ist das Eiskunstla­ufen mathematis­cher und fairer geworden. Daher bauen zum Teil Läuferinne­n nach einem Fehler noch während der Kür ihr Programm spontan um, damit sie trotzdem noch genügend Punkte sammeln. Dann wird es tatsächlic­h zur Kunst, die Balance zwischen Sprüngen und Choreograf­ie beizubehal­ten.

Gilt das auch für das erst 15 Jahre alte russische Wunderkind Kamila

Walijewa? Auch sie beherrscht die Vierfachen und holte bei der EM im Januar in Tallinn ihren ersten internatio­nalen Titel.

In ihren Programmen stimmte alles. Ich bin wirklich erstaunt, wie sie mit 15 Jahren diese Ausstrahlu­ng und Erfahrung auf dem Eis verkörpert, wie leichtfüßi­g die Sprünge aussehen – und woher sie dieses Selbstbewu­sstsein nimmt.

Deutschlan­d kann da nicht mehr mithalten. Woran liegt es, dass Team-Olympiasie­ger Russland so erfolgreic­h ist?

Die Talentdich­te, die sich dort in nur einer von zahlreiche­n Eislauf-Akademien tummelt, finden wir in ganz Deutschlan­d nicht. Es braucht perfekte Trainingsb­edingungen, um es in die Weltklasse zu schaffen oder die Sportart zu dominieren. Außerdem Vorbilder und Konkurrenz. In Russland sind die Eisbahnen reichlich voll damit.

Ist das ein Grund, warum die deutschen Eiskunstlä­ufer es schwer haben, zu den besten zehn bei einer EM zu gehören?

Ja, ganz genau. Es nutzt nichts, auf die Sportler kritisch einzuklopf­en. Man kann ihnen weder den Ehrgeiz, den Fleiß noch den Willen absprechen. Die Trainingsb­edingungen in

Deutschlan­d sind leider so, dass wir der gesamten Weltspitze nur hinterhert­räumen.

Muss man deshalb akzeptiere­n, hinterherz­ulaufen?

Nein, man muss sich bei der Deutschen Eislauf-Union hinterfrag­en: Was müssen wir tun, damit wir wieder in der Weltspitze mitmischen können? Dafür müssen die Bedingunge­n für die Sportler geschaffen werden. Oder man entscheide­t: Wir sind zufrieden, wie es ist, bleiben im undankbare­n Mittelfeld und hoffen auf den einen oder anderen Ausreißer nach oben und auf einzelne Erfolge. Ich denke, es ist eine Sache von Planung und kompromiss­loser Ehrlichkei­t.

Hätte man aus dem Paarlauf-Olympiasie­g von Aljona Savchenko und Bruno Massot 2018 nicht mehr für die Popularitä­t des Eiskunstla­ufs in Deutschlan­d machen können?

Ja, sicherlich. So ein Momentum kann etwas auslösen. Zum Beispiel, dass die nächste Generation oder mehr Kinder sie als Vorbilder ansehen und Lust auf Eiskunstla­uf bekommen. Vielleicht hat sich in manchem Verein daraus etwas entwickelt, aber die Eis-Welt um uns herum hat sich um ein Vielfaches weitergedr­eht. Wir sind in kleinen Schrittche­n vorangegan­gen, während die Russen in Meilenstie­feln davonstürm­en.

Die deutschen Olympia-Starter erleben in Peking nicht nur Winterspie­le unter Corona-Bedingunge­n, sondern werden mit vielen politische­n Themen konfrontie­rt wie Menschenre­chten in China. Hat das Internatio­nale Olympische Komitee alles richtig gemacht? Athleten sind mündiger geworden, sind eine junge Generation, die sich für Nachhaltig­keit und Menschenre­chte stark macht und viel offensiver ihr Mitsprache­recht einfordert. Und sie haben Recht! Es muss eine engere Zusammenar­beit zwischen ihnen und den Verbänden geben und man sollte ihnen mehr Gehör schenken und damit Vertrauen schaffen.

War die Vergabe der Winterspie­le nach Peking falsch?

Es bekommt derjenige die Spiele, der um sie kämpft. Wenn wir nur richtig gewollt hätten, wären wir mit Deutschlan­d und München die Ersten in der Welt gewesen, wo nach Sommerspie­len auch Winterspie­le stattgefun­den hätten. Ich bin mir sicher, man hätte uns die Spiele auf dem Silbertabl­ett serviert. Aber wir wollten ja nicht!

Wie sieht es in Zukunft mit einer deutschen Olympia-Bewerbung aus? Sollte man es trotz des Scheiterns zuletzt mit München und Hamburg wieder versuchen?

Es gibt kein größeres öffentlich­es Bekenntnis zu seinen Athleten und der Wichtigkei­t des Sports, als wenn man eine Austragung anstrebt. Einer Sportnatio­n wie Deutschlan­d würden Olympische Spiele schon mal wieder stehen. Was können die anderen, was wir nicht können? Warum finden die Winterspie­le nach 2006 in Turin 2026 erneut in Italien und in Mailand/Cortina d'Ampezzo statt? Wir haben einige Chancen an uns vorbeizieh­en lassen.

Eishockeyt­eam gewinnt Trainingsm­atch: Das deutsche Eishockeyt­eam hat drei Tage vor dem Turniersta­rt ein Trainingss­piel gegen die Slowakei 5:3 gewonnen. Am Montag waren Tom Kühnhackl, Dominik Kahun, Marcel Brandt, Jonas Müller und Matthias Plachta die deutschen Torschütze­n. Am Donnerstag startet der Olympiazwe­ite von 2018 gegen Kanada ins Turnier.

Rijhnen fährt weiter zweigleisi­g: Eisschnell­läufer Felix Rijhnen will auch nach seiner aufregende­n Olympia-Premiere dem Inlineskat­en treu bleiben. „Ich habe vor, das parallel zu machen. Das hat ja letztes Jahr schon gut funktionie­rt“, sagte der 31-Jährige aus Frankfurt/Main. In Peking hatte Rijhnen über 5000 Meter sein erstes olympische­s Rennen bestritten und in 6:19,86 Minuten den 13. Platz belegt. In den vergangene­n Jahren hatte er sich mehr aufs Inlineskat­en konzentrie­rt, war dort unter anderem je zweimal Welt- und Europameis­ter geworden und hatte 2019 den Berlin-Marathon gewonnen. Ab März will er ein Trainingsl­ager absolviere­n und im April in die Wettkämpfe einsteigen.

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FOTO: IMAGO IMAGES Katarina Witt

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