„Wir träumen der Weltspitze nur hinterher“
Katarina Witt übt Kritik an der Planlosigkeit des von der Weltspitze weit entfernten deutschen Eiskunstlaufs
(dpa) - Katarina Witt holte 1984 und 1988 Olympia-Gold im Eiskunstlauf. Von derartigen Erfolgen sind ihre Nachfolgerinnen weit entfernt. Die 56-jährige Sächsin sieht die Schuld dafür nicht bei den Athletinnen, sondern bei der Deutschen Eislauf-Union. Im Interview fordert Witt bessere Trainingsmöglichkeiten und eine erneute Bewerbung Deutschlands um Olympische Winterspiele.
Sie haben einen besonderen Blick auf die Eiskunstlauf-Damen. Sind die Vierfach-Springerinnen aus Russland zu bewundern oder stellt sich die Frage: Bleibt die Kunst auf der Strecke?
Zunächst eine große Verbeugung meinerseits für diese sportlichen Höchstleistungen. Mit dem Punktesystem ist das Eiskunstlaufen mathematischer und fairer geworden. Daher bauen zum Teil Läuferinnen nach einem Fehler noch während der Kür ihr Programm spontan um, damit sie trotzdem noch genügend Punkte sammeln. Dann wird es tatsächlich zur Kunst, die Balance zwischen Sprüngen und Choreografie beizubehalten.
Gilt das auch für das erst 15 Jahre alte russische Wunderkind Kamila
Walijewa? Auch sie beherrscht die Vierfachen und holte bei der EM im Januar in Tallinn ihren ersten internationalen Titel.
In ihren Programmen stimmte alles. Ich bin wirklich erstaunt, wie sie mit 15 Jahren diese Ausstrahlung und Erfahrung auf dem Eis verkörpert, wie leichtfüßig die Sprünge aussehen – und woher sie dieses Selbstbewusstsein nimmt.
Deutschland kann da nicht mehr mithalten. Woran liegt es, dass Team-Olympiasieger Russland so erfolgreich ist?
Die Talentdichte, die sich dort in nur einer von zahlreichen Eislauf-Akademien tummelt, finden wir in ganz Deutschland nicht. Es braucht perfekte Trainingsbedingungen, um es in die Weltklasse zu schaffen oder die Sportart zu dominieren. Außerdem Vorbilder und Konkurrenz. In Russland sind die Eisbahnen reichlich voll damit.
Ist das ein Grund, warum die deutschen Eiskunstläufer es schwer haben, zu den besten zehn bei einer EM zu gehören?
Ja, ganz genau. Es nutzt nichts, auf die Sportler kritisch einzuklopfen. Man kann ihnen weder den Ehrgeiz, den Fleiß noch den Willen absprechen. Die Trainingsbedingungen in
Deutschland sind leider so, dass wir der gesamten Weltspitze nur hinterherträumen.
Muss man deshalb akzeptieren, hinterherzulaufen?
Nein, man muss sich bei der Deutschen Eislauf-Union hinterfragen: Was müssen wir tun, damit wir wieder in der Weltspitze mitmischen können? Dafür müssen die Bedingungen für die Sportler geschaffen werden. Oder man entscheidet: Wir sind zufrieden, wie es ist, bleiben im undankbaren Mittelfeld und hoffen auf den einen oder anderen Ausreißer nach oben und auf einzelne Erfolge. Ich denke, es ist eine Sache von Planung und kompromissloser Ehrlichkeit.
Hätte man aus dem Paarlauf-Olympiasieg von Aljona Savchenko und Bruno Massot 2018 nicht mehr für die Popularität des Eiskunstlaufs in Deutschland machen können?
Ja, sicherlich. So ein Momentum kann etwas auslösen. Zum Beispiel, dass die nächste Generation oder mehr Kinder sie als Vorbilder ansehen und Lust auf Eiskunstlauf bekommen. Vielleicht hat sich in manchem Verein daraus etwas entwickelt, aber die Eis-Welt um uns herum hat sich um ein Vielfaches weitergedreht. Wir sind in kleinen Schrittchen vorangegangen, während die Russen in Meilenstiefeln davonstürmen.
Die deutschen Olympia-Starter erleben in Peking nicht nur Winterspiele unter Corona-Bedingungen, sondern werden mit vielen politischen Themen konfrontiert wie Menschenrechten in China. Hat das Internationale Olympische Komitee alles richtig gemacht? Athleten sind mündiger geworden, sind eine junge Generation, die sich für Nachhaltigkeit und Menschenrechte stark macht und viel offensiver ihr Mitspracherecht einfordert. Und sie haben Recht! Es muss eine engere Zusammenarbeit zwischen ihnen und den Verbänden geben und man sollte ihnen mehr Gehör schenken und damit Vertrauen schaffen.
War die Vergabe der Winterspiele nach Peking falsch?
Es bekommt derjenige die Spiele, der um sie kämpft. Wenn wir nur richtig gewollt hätten, wären wir mit Deutschland und München die Ersten in der Welt gewesen, wo nach Sommerspielen auch Winterspiele stattgefunden hätten. Ich bin mir sicher, man hätte uns die Spiele auf dem Silbertablett serviert. Aber wir wollten ja nicht!
Wie sieht es in Zukunft mit einer deutschen Olympia-Bewerbung aus? Sollte man es trotz des Scheiterns zuletzt mit München und Hamburg wieder versuchen?
Es gibt kein größeres öffentliches Bekenntnis zu seinen Athleten und der Wichtigkeit des Sports, als wenn man eine Austragung anstrebt. Einer Sportnation wie Deutschland würden Olympische Spiele schon mal wieder stehen. Was können die anderen, was wir nicht können? Warum finden die Winterspiele nach 2006 in Turin 2026 erneut in Italien und in Mailand/Cortina d'Ampezzo statt? Wir haben einige Chancen an uns vorbeiziehen lassen.
Eishockeyteam gewinnt Trainingsmatch: Das deutsche Eishockeyteam hat drei Tage vor dem Turnierstart ein Trainingsspiel gegen die Slowakei 5:3 gewonnen. Am Montag waren Tom Kühnhackl, Dominik Kahun, Marcel Brandt, Jonas Müller und Matthias Plachta die deutschen Torschützen. Am Donnerstag startet der Olympiazweite von 2018 gegen Kanada ins Turnier.
Rijhnen fährt weiter zweigleisig: Eisschnellläufer Felix Rijhnen will auch nach seiner aufregenden Olympia-Premiere dem Inlineskaten treu bleiben. „Ich habe vor, das parallel zu machen. Das hat ja letztes Jahr schon gut funktioniert“, sagte der 31-Jährige aus Frankfurt/Main. In Peking hatte Rijhnen über 5000 Meter sein erstes olympisches Rennen bestritten und in 6:19,86 Minuten den 13. Platz belegt. In den vergangenen Jahren hatte er sich mehr aufs Inlineskaten konzentriert, war dort unter anderem je zweimal Welt- und Europameister geworden und hatte 2019 den Berlin-Marathon gewonnen. Ab März will er ein Trainingslager absolvieren und im April in die Wettkämpfe einsteigen.