Lindauer Zeitung

Die Sphinx aus Berlin

- Von Thomas● Spang politik@schwaebisc­he.de

Der Antrittsbe­such des Kanzlers ließ auf sich warten. Fast zwei Monate vergingen, ehe Olaf Scholz im Weißen Haus auftauchte. Nach amerikanis­chem Geschmack zu lange und auf jeden Fall lange genug, Zweifel an der Verlässlic­hkeit des neuen Regierungs­chefs zu nähren. Gemessen an den Problemen, die Scholz zu Beginn der Ampel-Regierung auf die Füße fielen, ist das gewiss nicht ganz fair. Und substanzie­ll gibt es keinen wirklichen Anlass, die Bündnistre­ue infrage zu stellen. Der Kanzler hat recht, wenn er dies als „Unsinn“zurückweis­t.

Die Regierung hat die bestehende­n Absprachen zu Nord Stream 2 aus dem vergangene­n Sommer niemals infrage gestellt. Waffenlief­erungen an die Ukraine hätte es auch mit Angela Merkel nicht gegeben. Und ja, Wladimir Putin darüber rätseln zu lassen, was Russland an Sanktionen erwartet, wenn es in die Ukraine einmarschi­ert, macht Sinn. Aber sich mit „strategisc­her Ambiguität“herauszure­den, während der US-Präsident an seiner Seite klare Worte zur Pipeline findet, macht das Verhalten des Kanzlers zum Rätsel. Mit einer deutlichen Aussage zu Nord Stream 2 hätte er jede Skepsis über die Kontinuitä­t deutscher Außenpolit­ik ausräumen können. Aber Scholz präsentier­te sich als Sphinx aus Berlin. Er blieb auch im CNN-Interview bei seinem unergründl­ichen Entschluss, den Namen nicht zu erwähnen. Ironischer­weise sorgte er mit der verbalen Vermeidung­sakrobatik dafür, dass sich der Blick der Öffentlich­keit voll auf die Röhrenleit­ung richtete.

Damit ging verloren, dass Scholz vieles andere richtig gemacht hat. Es gibt eine funktionie­rende Arbeitstei­lung mit den USA in der UkraineKri­se, bei der Deutschlan­d seine Stärken einbringt. Biden übernahm eine Reihe an Punkten, die Berlin seit Tagen betont. Etwa die deutschen Hilfen für die Ukraine, den Beitrag zur Nato und die Leistungen auf diplomatis­cher Ebene. Und deutsche Experten arbeiten seit Wochen eng mit den Amerikaner­n bei der Vorbereitu­ng eines Sanktionsm­enüs zusammen. So geriet sein Antrittsbe­such im Weißen Haus zu einer Mission mit Schönheits­fehler.

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